Viele Geflüchtete kommen zum Job-Café im Jobcenter. © NDR

Arbeitsmarkt-Integration für Geflüchtete: Funktioniert der "Job-Turbo"?

Stand: 18.03.2024 16:53 Uhr

Geflüchtete sollen in Zukunft schneller arbeiten können - mit dem "Job-Turbo". Das Programm des Bundesarbeitsministeriums soll helfen, Geflüchtete vor langer Arbeitslosigkeit zu schützen und gleichzeitig dem Arbeitskräftmangel entgegenwirken. Doch funktioniert das?

von Tabea Schröder

Großer Andrang im Jobcenter in Schwerin: Es ist bereits das dritte JobCafé. Hier treffen Arbeitgeber aus der Region auf Geflüchtete, die eine Arbeitsstelle suchen. George Trika aus Syrien, 31 Jahre, ist einer von ihnen. Er ist studierter Bauingenieur und seit zwei Jahren in Deutschland. Er träumt davon, auch hierzulande als Ingenieur zu arbeiten.

George Trika aus Syrien. © NDR Screenshot Foto: NDR Screenshot
George Trika aus Syrien im Deutschkurs
Das "Job-Turbo"-Programm

Eine der Maßnahmen des "Job-Turbo"-Programms ist das JobCafé im Job-Center Schwerin. Gestartet wurde die "Job-Turbo"-Initiative vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) im Oktober 2023. Das Ziel ist, Geflüchtete schneller in Arbeit zu vermitteln.

Die Geflüchteten, die den Integrationskurs abgeschlossen haben, sollen dem Arbeitsmarkt direkt zur Verfügung stehen. Allerdings verfügen die wenigsten zu diesem Zeitpunkt bereits über ein fortgeschrittenes Deutsch-Niveau. Das führt zu einer Vermittlung in Jobs, in denen man nur wenig Deutschkenntnisse benötigt. Oft sind diese Jobs im Niedriglohnsektor angesiedelt - wie etwa die Arbeit in Reinigungsfirmen, Supermärkten oder bei Fast-Food-Ketten.

Die sprachlichen Voraussetzungen zum Arbeiten

Die Vermittlung in akademische Berufe direkt nach dem Integrationskurs ist beinah unmöglich. Denn die meisten Arbeitgeber setzen mindestens ein B2-, wenn nicht sogar ein C1-Zertifikat voraus. Das bedeutet, dass der Geflüchtete die Sprache spontan und selbstständig anwenden bin hin zu fachkundigen Sprachkenntnissen vorweisen kann.
Im Vergleich: Um eine Ausbildung abzuschließen, ist das B2-Niveau verpflichtend nachzuweisen. Um in akademischen Heilberufen wie als Ärztin oder in pädagogischen Jobs wie als Lehrer zu arbeiten, müssen Geflüchtete sogar ein C1-Deutschniveau nachweisen.

Fehlende Deutsch-Kurse

Grafik zur Darstellung von Sprachniveaus in Europa. © NDR
Mit Kursen kann man unterschiedliche Sprachniveaus nachweisen: Von A1 für Anfänger bis C2 für muttersprachliche Kenntnisse.

George Trika wartet seit einem dreiviertel Jahr auf die Erlaubnis des Job-Centers, um einen offiziellen B2-Kurs zu beginnen. So lange geht er in den freiwilligen Deutschkurs des Projekts "Moni" in Schwerin. Ein offizielles Teilnahme-Zertifikat kann er dabei aber nicht erhalten.

Das Problem ist, dass neuerdings weniger offizielle B2-Kurse angeboten werden. Auf Nachfrage des NDR sagen die Sprachkursanbieter in Schwerin, sie würden seit Start des "Job-Turbos" weniger Mittel für fortgeschrittene Deutschkurse erhalten und könnten daher nur noch wenige Plätze anbieten. Dadurch verlängerten sich die Wartezeiten.

 

Weniger Deutschkurse für Geflüchtete

Doch nicht nur die fehlenden Platzkapazitäten in den Kursen sind ein Problem. Immer weniger Geflüchtete erhalten die Erlaubnis, um nach dem Integrationskurs weitere Sprachkurse zu belegen - selbst wenn sie nachweisen können, dass sie diese benötigen, um in Deutschland in ihrem früheren Beruf zu arbeiten.

Nina Prokhoda aus der Ukraine aus der Suche nach einem Job im JobCafé des Schweriner JobCenter. © NDR Screenshot Foto: NDR Screenshot
Nina Prokhoda aus der Ukraine (links) im JobCafé

Auch Nina Prokhoda ist davon betroffen. Die 32-jährige Ukrainerin ist vor einem Jahr vor dem Krieg geflohen. Ihre Bitte, einen B2-Sprachkurs zu machen, wurde vom Job-Center abgelehnt. Um den Deutschkurs doch noch machen zu dürfen, müsse sie ihrer Sachbearbeiterin schriftlich nachweisen, dass sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse für einen Job abgelehnt wurde, erzählt sie. Dabei benötige sie bessere Deutschkenntnisse, um hierzulande Arbeit als Finanzexpertin und Data-Analystin zu finden und um sich eine bildungsadäquate Zukunft aufzubauen.

"Ich weiß, dass die Politik Deutschlands jetzt strenger ist. Und alle müssen Geld sparen. Das verstehe ich. Aber ich denke, wenn eine Person lernen, arbeiten und eine finanzielle Unabhängigkeit erreichen will - dann ist das sehr wichtig. Ich denke, dann es wäre super, dieser Person eine Chance zu geben."
(Nina Prokhoda, Geflüchtete aus der Ukraine)

Der JobTurbo zwingt Geflüchtete in prekäre Arbeitsverhältnisse

Der "Job-Turbo" zielt darauf ab, Geflüchtete schon mit grundlegendsten Deutschkenntnissen in eine Arbeit zu vermitteln. Die Konsequenz ist dramatisch für die Geflüchteten, denn die Auswahl an Jobs wird dadurch stark eingeschränkt auf Berufe, in denen wenig Sprachkenntnisse erforderlich sind. Die meisten liegen im Niedriglohnsektor.

Ein Bild, das sich auch im JobCafé des Schweriner Job-Centers zeigt. Die vertretenen Arbeitgeber sind ein Fastfood-Restaurant, zwei Zeitarbeitsfirmen, ein Supermarkt, ein Hotel. Berufe für hochqualifizierte Arbeitskräfte werden hier gar nicht erst angeboten. Denn um als Ingenieur, Buchhalterin oder Ärztin zu arbeiten, muss man mindestens ein fortgeschrittenes Sprachniveau beherrschen. Diese Berufe sind mit der Logik des "Job-Turbo"-Programms nicht vereinbar.

Kaum Möglichkeiten für Studierte aus dem Ausland

George Trika geht im Schweriner JobCafé von Stand zu Stand. Geduldig hört er sich die Angebote der Firmen an, stellt viele Nachfragen. Er erhofft sich Hilfe bei einer Zeitarbeitsfirma und fragt nach der Möglichkeit, als Ingenieur eine Arbeit zu finden. "Also als Ingenieur direkt? Das weiß ich nicht. Aber sowas Ähnliches könnten wir anbieten. Lagerarbeiter oder Metallverarbeitung haben wir. Oder wenn sie etwas ganz Anderes machen möchten, hätten wir auch Jobs in der Pflege oder in der Reinigung", sagt eine Arbeitgeberin im JobCafé. George gibt zu bedenken, dass er schon Arbeitserfahrung und ein abgeschlossenes Studium im Ingenieurswesen habe. Er möchte seinen Traumberuf nicht aufgeben, sagt er.

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Bildungs- und Anerkennungsverbände schlagen Alarm

Der "Job-Turbo" verspricht den Geflüchteten, dass sie Deutsch neben der Arbeit lernen könnten und den Beruf könne man später auch nochmal wechseln, heißt es.

In der Praxis halten viele das für eine Illusion. Imke Brandt vom IQ-Netzwerk berät Geflüchtete in Anerkennungs- und Qualifizierungsfragen. Grundsätzlich begrüßt sie die Idee, Menschen schneller in Arbeit zu bringen. Die konkreten Maßnahmen des "Job-Turbo" sieht sie aber kritisch: "Warum sollte ein Gastronomie-Unternehmen die neu gewonnenen Arbeitskräfte freistellen, damit sie neben der Arbeit einen Sprachkurs absolvieren können, um dann zukünftig als Arzt, Ärztin, Juristin oder Buchhalter zu arbeiten?" Die Unternehmen hierzulande seien doch froh, dass sie endlich neue Arbeitskräfte gewonnen hätten und wollten sie - verständlicherweise - behalten. Und wenn berufsbegleitende Sprachkurse nicht möglich sind, würden die Geflüchteten wohl selten nach acht Stunden harter Arbeit noch die Kraft haben, im Feierabend zusätzlich Sprachkurse zu belegen, gibt Brandt zu bedenken.

"Wir verschenken hier gerade das Potenzial der hochqualifizierten Zugewanderten."
(Imke Brandt, Anerkennungsberaterin)


Nur die kurzfristige Perspektive im Blick

Eine langfristige Integration sei nicht der Schwerpunkt des "Job-Turbo“-Programms, so Anica Geese, Bereichsleiterin für Markt und Integration im JobCenter Schwerin. "Der Job-Turbo setzt ja erst einmal bei der kurzfristigen Sicht an. Mit der Frage: Was ist aktuell am Arbeitsmarkt erreichbar mit dem Sprachniveau, was ich habe? Und mittelfristig könnten die Arbeitskräfte von heute natürlich oder sollten im besten Fall, die Fachkräfte von morgen sein", sagt Geese.

Der "Job-Turbo" verkennt das Potenzial Hochqualifizierter

Das Versprechen, dass die Geflüchteten später, wenn sie Deutsch gelernt hätten, in ihren früheren Beruf wechseln könnten, kann das System nicht einhalten. Denn wenn Geflüchteten die verfügbaren Jobs wie beispielsweise in der Gastronomie- oder in der Reinigungsbranche annehmen, wird ihnen später der Zugang zu ihrem früheren Job erschwert.

Imke Brandt berichtet aus ihrem Arbeitsalltag: "Die meisten Geflüchteten trauen sich gar nicht, einen Job zu kündigen aus Angst vor Repressalien wie einer mehrmonatigen Bürgergeld-Sperre." Es sei zudem nicht eindeutig geklärt, ob das Job-Center die berufliche Anerkennung des früheren Berufs weiterhin unterstützt, wenn die Geflüchteten übergangsweise einen anderen Job annähmen.

George Trika und Nina Prokhoda werden auch weiterhin alles daran setzen, auch in Deutschland eine Arbeit in den Berufen zu finden, die sie in ihrer Heimat ausgeübt haben. Möglichst bald, hoffen sie.

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 20.03.2024 | 19:30 Uhr

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