Abgekoppelt vom System: Die Bahn und Mecklenburg-Vorpommern

Stand: 19.09.2024 11:28 Uhr

Seit gut einem Monat ist die Strecke Berlin - Hamburg durch MV gesperrt. Schienenersatzbusse, Umleitungen oder der Umstieg aufs Auto sind die Alternativen. Experten sehen das Grundproblem im System Bahn.

von Sebastian Giebel

Die letzte große Sperrung der Strecke Berlin - Hamburg ist noch gar nicht so lange her. Vor drei Jahren wurde an denselben Stellen gebaut. Neue Schienen, neue Weichen, neue Sicherungstechnik. Insgesamt viermal wurde die Strecke in den vergangenen 20 Jahren im größeren Umfang saniert. Mit den Auskünften der Bahn ist auch der zuständige Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) nicht zufrieden. "Logisch ist bei der Deutschen Bahn nicht alles. Wir sind ständig im Austausch, weil das ganz hohe Belastungen für Mecklenburg-Vorpommern sind. Es ist ein sehr mühsames Geschäft. Ob wir jetzt über Schienenersatzverkehr reden oder über vernünftige Verkehrskonzepte in der Umleitung." sagt Meyer.

Bei Streckensperrung zahlt der Bund

Für kommendes Jahr ist schon die nächste Sperrung angekündigt. Neun Monate lang soll dann die Strecke Hamburg - Berlin generalsaniert werden. Der Vorteil für die Bahn: Wenn die Strecke gesperrt und überholt wird, dann werden die Arbeiten aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Sanierungen "unter rollendem Rad" muss die Bahn dagegen selbst bezahlen.

Leere Busse: Viel Pendler steigen ins Auto

Für die Pendler in Richtung Hamburg bedeutet die Sperrung vor allem längere Fahrtzeiten. Mit Schienenersatzbussen sind die Fahrgäste oft doppelt so lang unterwegs wie mit der Bahn. Außerdem gibt es eine Schienenersatzbuslinie für den Fernverkehr und eine für den Nahverkehr. "Die Busse fahren von unterschiedlichen Standorten in Hamburg ab. Beziehungsweise sie kommen dort an. Das ist sicherlich extrem unklug," kritisiert Karl-Peter Neumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Die Busse - in der Regel einfache Linienbusse - sind oft leer. Viele Pendler sind wegen der Streckensperrung offenbar auf das Auto umgestiegen. Ob sie zur Bahn zurückkommen, ist unklar.

Strukturelle Probleme des Systems Bahn

"Mecklenburg-Vorpommern und andere Bundesländer sind Opfer der Bahnreform geworden." Sagt in diesem Kontext der Berliner Verkehrsforscher Professor Andreas Knie. 1994 wurden Reichsbahn und Bundesbahn vereint. Dabei wurde die Organisation des Regionalverkehrs in die Hand der Bundesländer gegeben. "Die Bahn wurde mit der Reform in unterschiedliche Unternehmensteile gerissen. Da weiß die linke Hand nicht, was die rechte macht. Wenn dann noch gebaut und saniert werden soll, kommt das alles nicht zusammen." so Knie. Der Verkehrsforscher fordert eine integrierte Bahn. Viel touristischen Bahnverkehr könne Mecklenburg-Vorpommern nicht alleine finanzieren. Das müsse bundesweit betrachtet werden. Das ginge mit dem derzeitigen Bahn-System nicht. "Wir brauchen eine Bahn, die verantwortlich ist gegenüber Kunden. Wo die regionale Struktur der Bahn wieder in ein Konzept überführt wird." Auch die aktuelle Folge des Podcasts "MV im Fokus"beschäftigt sich mit den strukturellen Problemen der Bahn. Hier spricht NDR-Bahnexperte Martin Möller mit Annette Ewen unter anderem über Lösungsansätze.

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AUDIO: Die Bahn und MV - abgekoppelt durch das System (38 Min)

Strategische Fehler der Vergangenheit

Mit einer besseren Strategie hätten die Probleme mit Schienenersatzverkehren und Umleitungen, die jetzt auf der Strecke Berlin - Hamburg bestehen, vermieden werden können. Projekte, die schon zur Zeit der Deutschen Einheit geplant wurden, sind bis heute nicht umgesetzt worden. Zum Beispiel die Strecke von Stralsund über Rostock nach Lübeck Mit 160 km/h sollten die Züge hier durchgehend, zweigleisig und elektrifiziert fahren können. Geplante Fertigstellung war 1997. Doch soweit ist es nie gekommen. Gleiches gilt für die Umfahrung der Berlin - Hamburg - Strecke über Stendal und Uelzen. Auch eine Verbindungskurve für direkte Züge zwischen Schwerin und Lübeck ist bisher nur geplant und nicht gebaut. So müssen die Züge weiter über Bad Kleinen fahren. All diese Projekte könnten, wenn sie umgesetzt worden wären nun dabei helfen, die Strecke Berlin - Hamburg während der Sperrung zu entlasten.

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Viele verpasste Chancen

Die Strecke Hamburg - Berlin ist nicht die einzige im Land, auf der es Probleme gibt. Vor allem im Sommer haben Urlauber regelmäßig Schwierigkeiten, von Berlin an die Ostsee zu kommen. Die Bundesregierung hatte im Sommer des vergangenen Jahres versprochen, die Bahnverbindung zwischen Berlin und Binz auszubauen. Die sogenannte "Vorpommern-Magistrale" ist ein 500-Millionen-Euro-Projekt. Doch daraus ist bisher nichts geworden. Bürgermeister aus Vorpommern hatten deshalb einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschrieben.

Der Betrieb der Mecklenburger Südbahn - eine Bahnstrecke, die Westmecklenburg mit der Mecklenburgischen Seenplatte verbindet -  wurde 2014 eingestellt. Aus dem Verkehrsministerium Schwerin hieß es damals, die Bahnstrecke sei unwirtschaftlich. Die Anwohner wollten sich damit nicht abfinden und haben protestiert. Letzten Endes gab die Landesregierung nach und bestellte erstmal wieder Saisonverkehr. Ein weiteres Gutachten zur Südbahn will das Land bis Jahresende vorlegen.

Auch Anbindung des Seehafens Rostock fehlt

Der Seehafen Rostock ist das größte Industriegebiet in Mecklenburg-Vorpommern. Von hier starten viele Fähren nach Skandinavien. Früher fuhr eine S-Bahn von Rostock zum Seehafen. Allerdings nur an den Rand des Gebiets. Denn zu DDR-Zeiten war es Sperrgebiet. Darum wurde die S-Bahn nicht stark genutzt. Anstatt die Strecke ein paar hundert Meter zum Fährhafen zu verlängern, wurde der Verkehr vom damaligen Verkehrsminister Volker Schlotmann (SPD) eingestellt. Das Landesverkehrsministerium verweist auf Busverkehr. Die Busse brauchen von der Innenstadt eine Stunde. Obwohl die Bahn den Güterbahnhof im Seehafen Rostock gerade für viele Millionen Euro umbaut, eine Anbindung an den Seehafen ist weiter nicht geplant. Und auch das Wirtschaftsministerium sieht derzeit Zitat: "keine Grundlage für die Wiederaufnahme von S-Bahn-Verkehren zum Seehafen." Bauarbeiten sind an dieser Stelle nicht in Sicht.

Lichtblick für Pendler: Bauarbeiten kommen voran

Auf der Strecke Berlin - Hamburg wird gebaut und die Arbeiten kommen voran. Die Strecke Büchen - Hamburg kann mittlerweile wieder mit dem Zug befahren werden. Und ab Ende September fährt auch wieder der Regionalexpress 1 von Rostock über Schwerin nach Hamburg. Der ICE von Berlin nach Hamburg wird noch bis Dezember über Sachsen-Anhalt und Niedersachsen umgeleitet. Eine Ausnahme gibt es zum Tag der Deutschen Einheit: Vom 2. bis 4. Oktober fährt zweimal täglich ein ICE vom Berliner Hauptbahnhof nach Schwerin und wieder zurück.

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 19.09.2024 | 19:30 Uhr

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