Mitreden! Deutschland diskutiert
Donnerstag, 24. April 2025, 20:15 bis
22:00 Uhr, NDR Info
"Mitreden!": Azubi-Mangel: Studieren zu viele?
Sind fast drei Millionen Studierende nicht zu viel, wenn jedes Jahr zehntausende Ausbildungsplätze leer bleiben? Hörer diskutierten mit Experten.
Die Nachfrage nach qualifiziertem Personal in Deutschland ist höher als das Angebot. Sind fast drei Millionen Studierende nicht zu viel, wenn jedes Jahr zehntausende Ausbildungsplätze leer bleiben? Das war Thema bei "Mitreden! Deutschland diskutiert" am Donnerstag, 24. April 2025.
Moderator Christian Orth begrüßte als Gäste:
Prof. Dr. Annabell Daniel
Bildungsforscherin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Prof. Dr. Enzo Weber
Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschug Nürnberg (IAB)
Tim Beckmann
ehemaliger Landesschülersprecher, 13. Klasse
Vincent May
Auszubildender in zwei Berufen, lernt fürs Abitur
Mehr als 2,86 Millionen Menschen waren zuletzt an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Das ist nah am Allzeithoch von 2021, mit damals etwas über 2,9 Millionen. Zugleich übertrifft die Zahl der Ausbildungsplatzangebote bei weitem die Zahl derer, die sich um eine Lehre oder eine Berufsausbildung bemühen. Der Wendepunkt kam vor etwa zehn Jahren: Nach 2017 war Jahr für Jahr die Lehrstellen-Nachfrage geringer als das Angebot.
Gerade wegen der, in den späten Nuller-Jahren und 2010er-Jahren explodierten Studierendenzahlen, war damals die Rede von der "Überakademisierung" Deutschlands. Viele kluge Köpfe, aber zu wenige, die richtig anpacken - so lautet ein hartnäckiges Klischee.
Bildungsexpertin Daniel: "Dass alle studieren wollen, ist ein Mythos"
Hintergrund der steigenden Akademisierung ist, dass zahlreiche Berufe heute anspruchsvoller sind: Kümmerten sich früher der Kinderpfleger oder die Kinderpflegerin um Kita-Kinder, sind heute immer mehr akademisch gebildete Pädagogen und Pädagoginnen für frühkindliche Bildung gefragt. Annabell Daniel, Bildungsforscherin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sagt: "Dass alle studieren wollen, ist ein Mythos." Sie ist am Donnerstagabend auch bei Mitreden zu Gast und wird erklären, warum soziale Herkunft - trotz gestiegener Abiturienten- und Studierendenzahlen - immer noch die meisten Bildungsbiografien vorherbestimmt.
Bildungsforscherin Daniel beschäftigt sich wissenschaftlich auch mit den Übergängen, zum Beispiel von der Schule in die Ausbildung. Noch immer werden Hunderttausende Ausbildungsverträge jedes Jahr geschlossen. Im dualen Ausbildungssystem aus Lernen im Betrieb und an beruflichen Schulen - einem Erfolgsmodell, das Deutschland in die ganze Welt exportiert hat.
Auszubildende sind überwiegend zufrieden im Job
Azubis sind dabei oft recht zufrieden. Das zeigt ein ums andere Mal die Umfrage des DGBunter ihren jungen Mitgliedern. Ergebnis: Fast 70 Prozent - also die überwiegende Mehrheit - gibt an, mit ihrer Berufsausbildung zufrieden zu sein. Am höchsten ist die Zufriedenheit bei Industriemechanikern und Industriekaufleuten mit um die 80 Prozent. Am wenigsten zufrieden: Hotelfachleute, Lageristinnen und Lageristen sowie zahnmedizinische Fachangestellte in Ausbildung (Zufriedenenheis-Quote rund 60 Prozent).
Aber: Wer sich erstmal für die Ausbildung entschieden hat, bleibt er auch? Zum Leidwesen der Betriebe muss man feststellen: oft nicht. 2022 wurde eine Rekordzahl von bereits geschlossenen Ausbildungsverträgen wieder aufgelöst - gut 155.000 waren das, und damit 29,5 Prozent aller Verträge, die erst im Herbst davor unterschrieben wurden. Dazu zählen nicht nur die, die gekündigt wurden, sondern auch Wechsler und Aussteiger in den Arbeitsmarkt, die das Ende ihrer Ausbildung nicht abwarten wollen. Die Hälfte dieser Fälle sind also keine Abbrüche, sondern Umstiege - in einen Betrieb, der dem oder der Azubine besser passt oder in einen anderen Ausbildungsberuf.
Arbeitsmarktexperte Weber rät zu passgenauen Weiterbildungen
Allerdings gibt es einen weiteren, beunruhigenden Trend: Der Anteil junger Erwachsener, die ganz ohne eine Ausbildung am Arbeitsmarkt teilhaben, ist in den vergangenen Jahren angestiegen - auf mittlerweile 13 Prozent. Ein mögliches Motiv: schnell Geld verdienen. Allerdings kann sich eine fehlende Qualifikation in der weiteren Laufbahn rächen. Davor warnt Enzo Wagner, Berufsforscher am IAB in Nürnberg und Gast bei "Mitreden!", und empfiehlt: mehr Weiterbildung und passgenauere, niederschwellige Wege in die Qualifikation.
