Die Etes-Anlage in Hamburg © NDR

Schottersteine speichern Windstrom im Hamburger Hafen

Stand: 02.11.2020 00:00 Uhr

Alles andere als steinzeitlich: Mithilfe von Schottersteinen in elektrothermischen Energiespeichern soll Strom aus erneuerbaren Energien in Form von Wärme gespeichert werden.

von Michael Latz

Die Zukunft kommt nicht in einem überraschenden Design oder mit Hightech daher, sondern in Form von unauffälligen Schottersteinen. Sie sind die Grundlage einer Idee, an der Windturbinen-Hersteller Siemens Gamesa, der Energieversorger Hamburg Energie und die TU Hamburg forschen. Seit Juni 2019 betreiben sie im Hamburger Hafen das Projekt ETES. Das Kürzel steht für Elektro-Thermischer Energiespeicher.

Erneuerbare Energie gilt als unberechenbar

Windrad. © NDR Foto: Marcel Behrend aus Neubrandenburg
Erneuerbare Energien wie etwa Windkraft liefern nicht gleichmäßig Strom. Sie sind von Witterungsbedingungen abhängig.

Das Projekt - so die Hoffnung - könnte dabei helfen, das wohl gravierendste Problem der erneuerbaren Energien zu lösen. Denn obwohl die Bedeutung von Windkraft und Solarenergie bei der Stromerzeugung wächst, sind die klimafreundlichen Energieträger naturgemäß unberechenbar. Bei Flaute oder dichter Wolkendecke etwa liefern sie keinen Strom - konventionelle Kraftwerke mit Gas und Kohle müssen einspringen. Und bei stürmischem Wetter oder an sonnenstarken Sommertagen sorgen die erneuerbaren Energien nicht selten für ein Überangebot auf dem Strommarkt. Die Betreiber müssen dann ihre Anlage vorübergehend stilllegen. Energie im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro geht dabei Jahr für Jahr verloren.

Wie in der Sauna - Steine als Wärmespeicher

Der Technologiekonzern Siemens Gamesa Renewable Energy hat den Testbetrieb eines elektrothermischen Energiespeichers im Hamburger Hafen aufgenommen.
Der Technologiekonzern Siemens Gamesa Renewable Energy hat den Testbetrieb des elektrothermischen Energiespeichers im Hamburger Hafen im Juni 2019 aufgenommen.

Mit dem Speichern von erneuerbaren Energien beschäftigen sich Forscher und Ingenieure gleich reihenweise. Die sechs norddeutschen Bundesländer haben sich zum Ziel gesetzt, die Herstellung von Wasserstoff aus grünem Strom voranzutreiben und seine Verwendung in der Industrie, im Verkehr oder in Privathaushalten zu erproben. Allerdings gilt die Wasserstofftechnologie noch als vergleichsweise teuer. Das ETES-Projekt verfolgt einen weit simpleren Ansatz: "Die Idee ist, erneuerbare Energie aus Wind oder Sonne in Form von Wärme zu speichern und sie später wieder nutzbar zu machen", erklärt Projektleiter Wulf Raether. Und zwar mithilfe der unscheinbaren Schottersteine.

Drei Windräder stehen unter leicht bewölktem Himmel. © NDR Foto: Julius Matuschik
AUDIO: Flüssiger Strom - die Zukunft von Wasserstoff (32 Min)

Vulkangestein aus Norwegen

Vulkangestein © picture-alliance Foto: Karol Kozlowski
So sieht Lavagestein in seinem natürlichen Vorkommen aus - hier auf den Azoren.

Bei den etwa zwei bis drei Zentimeter großen Steinchen handelt es sich um Vulkangestein. Ganz bewusst und nach einer sorgfältigen Auswahl haben sich die Ingenieure für diese Steine entschieden. Einerseits sind die Steine günstig und leicht zu beschaffen. Etwa 1.000 Tonnen davon hat Siemens Gamesa aus Norwegen nach Hamburg gebracht und in ein zehn Meter hohes Betonsilo gepackt. Andererseits speichern die Steine Wärme besonders gut und behalten ihre Struktur, wenn sie erhitzt werden oder abkühlen.

Auch ohne Wind Energie zur Verfügung stellen

Reporter Michael Latz im Gespräch mit Etes-Projektleiter Wulf Raether © NDR Foto: Marco Lange
Reporter Michael Latz (l.) im Gespräch mit ETES-Projektleiter Wulf Raether.

In der Versuchsanlage im Hamburger Hafen heizt eine Art Riesenfön die Steine auf bis zu 750 Grad auf. Einen ganzen Tag dauert es, bis das Silo seine maximale Kapazität von 130 Megawattstunden thermischer Energie aufgenommen hat. Genug Energie, um bis zu 3.000 Haushalte einen Tag lang mit Strom zu versorgen. Eine Woche lang kann der Steinhaufen die Energie speichern. Sobald sie gebraucht wird, wird die Wärme aus dem Speicher zurückgeholt. Mit ihr wird Dampf erzeugt, der schließlich eine Turbine und einen Generator antreibt.  Es ist das gleiche Prinzip nach dem Kohle- oder Gaskraftwerke Strom erzeugen, nur dass anstelle von fossilen Brennstoffen heiße Luft beziehungsweise erneuerbare Energien eingesetzt werden. Allerdings ist dieses einfache Prinzip kein Nullsummen-Spiel. Wie bei jedem anderen Dampfturbinen-Prozess geht mehr als die Hälfte der Energie bei der Stromerzeugung verloren. Dennoch hält Wulf Raether das ETES-Projekt für einen wichtigen Beitrag zur Energiewende: "Wir sind in der Lage, CO2-frei Energie zur Verfügung zu stellen, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint." Außerdem können die Speicher etwa an stürmischen Tagen überschüssige Energie aufnehmen.

Neues Leben für alte Kohlekraftwerke

Was im Hamburger Hafen im Kleinen erprobt wird, könnte außerdem im großen Stil ausgedienten Kohlekraftwerken eine neue Perspektive eröffnen. "Das ist der Charme bei der Idee. Überall wo es solche Kraftwerke gibt, kann man sich überlegen, nach dem Kohleausstieg den Verbrennungsteil aus der Anlage herauszutrennen und einen Speicher einzubauen", erklärt Wulf Raether. Steinspeicher mit einer Kapazität von ein bis zwei Gigawattstunden hält der Ingenieur für machbar - genug Energie, um bis 50.000 Haushalte einen Tag lang mit Strom zu versorgen. Diese Speicher könnten außerdem kombiniert werden. Nach einer solchen Umrüstung wären alte Kohlekraftwerke nicht länger Teil des Klimaproblems, sondern Stützen der Energiewende. Und noch ein anderer Punkt macht für Wulf Raether den Charme des ETES-Projekts aus: "Sollten wir den Speicher nach 20 bis 25 Jahren einmal erneuern müssen, kann man mit den Steinen immer noch Straßen bauen."

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Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

NDR Info Perspektiven: Auf der Suche nach Lösungen

In der Reihe NDR Info Perspektiven beschäftigen wir uns mit Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 02.11.2020 | 06:00 Uhr

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