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Unendliche Poesie - der Komponist Valentin Silvestrov

Dienstag, 10. Mai 2022, 21:00 bis 22:00 Uhr

Valentin Silvestrov am Klavier © picture alliance/dpa | Annette Riedl
Der ukrainische Komponist Valentin Silvestrov kurz vor dem Konzert "Für Freiheit und Frieden" auf Schloss Bellevue.

Ein Film über Chopin hat ihn auf seinen Weg gebracht. Das war sehr spät, meint Valentin Silvestrov, denn als er ihn sah, war er schon 15 Jahre alt. Aber dieser Film, der ein bisschen kitschig war, hat ihm gezeigt, was Musik bewirken kann, hat ihn für die Poesie der Musik sensibilisiert. Er lernte Klavier spielen und begann zu komponieren. Lange hat er damals gedacht, Bach, Beethoven und Mozart seien gute Komponisten, und Chopins Musik, die sei ein Wunder. Aber das war wohl seiner Jugend geschuldet. Schon lange weiß er, dass die Kraft der Poesie auch in der Form eines Kunstwerkes stecken kann.

Ist Silvestrovs Musik meditativ?

Vielfach wird geschrieben, seine Musik sei meditativ. Kann sein, meint Valentin Silvestrov. Es kommt darauf an, was man unter meditativ versteht. Wenn man damit meint, jemand liegt auf dem Sofa oder rauscht Haschisch, dann geht der Begriff an seiner Musik vorbei. Meditativ ist für Valentin Silvestrov zum Beispiel, wenn man eine Sonatenform als Ganzes denken kann. Das ist eine tiefe Form von Meditation, das Resultat einer intensiven intellektuellen Auseinandersetzung und Hingabe.

Am Anfang war die Melodie

Die größten Erkenntnisse und Leitgedanken für sein Komponieren hat Valentin Silvestrov am Klavier gewonnen. So hat er immer und immer wieder die Exposition einer Mozart-Sonate gespielt. Nur die Exposition. Tausend Mal hintereinander. Diese Kette wurde wie ein Rad. Und aus diesem Rad wuchs ein Kosmos, der sich in ein Unendliches, Helles weitete. Die Essenz seiner Musik ist daraus entstanden, die lautet: Man braucht keine Durchführung, keine Transposition. Nur die Melodie. Aber diese Melodie zu finden, das ist eine Gabe.

Autodidakt

Viele haben diese Gabe, zu komponieren, sagt Silvestrov, aber nur wenige trauen sich, sie anzunehmen. Viele suchen nach einem neuen Klang, aber das kommt ihm so vor, als suche man nach Buchstaben statt nach Wörtern. Man wird dafür gelobt, was man leistet, was man mechanisch erarbeitet, aber die wahre Musik, die ist ein Geschenk, eine Gabe.

Überlebensfähigkeit

Für einige sind die harmonischen Töne die Valentin Silvestrov benutzt veraltet, aber sie werden immer noch verstanden, erklärt der Komponist, genau so, wie man die Worte von Goethe oder von Puschkin heute noch verstehen kann. Und diese Worte, diese Musik besitzt dann häufig eine Substanz, die man als "Überlebenskraft" bezeichnen könnte.

"Valentin Silvestrov - ein zeitgenössischer Schubert"

Freunde auf der ganzen Welt haben den Komponisten schon eingeladen und Konzerte von ihm aufgeführt. Der ukrainische Dirigent und Komponist Virko Baley holte ihn 1988 nach Las Vegas und ein Freund schloss sich ihm an und veranstaltete ein Konzert im Kammermusiksaal der Carnegie Hall. Als Valentin Silvestrov damals durch die Straßen von New York ging, sah er die Ankündigung: "Valentin Silvestrov - ein zeitgenössischer Schubert". Er selbst wäre nie auf die Idee gekommen, sich so zu sehen, lacht er, aber es gefällt ihm. Die starke innige, über das Leben hinausweisende Poesie der Musik von Schubert gefällt ihm. Schubert - Valentin Silvestrov in New York, schmunzelt er, das wäre doch vielleicht auch ein guter Titel für ein Orchesterwerk, ähnlich wie Gershwins "Ein Amerikaner in Paris".

Romantische Musik

"Romantische" Musik liest man häufig in Beschreibungen der Musik von Valentin Silvestrov. Auch das muss man differenziert sehen. Man kann sagen, Chopins Musik sei romantisch, erklärt der Komponist, aber auch eine Bergbesteigung ist romanisch. Das sind so allgemeine Begriffe, die bleiben gern an der Oberfläche. Und das bleibt seine Musik auf keinen Fall.

Falsch verstanden?

Zum Andenken an seine 1996 verstorbene Ehefrau Larissa komponierte Valentin Silvestrov ein Requiem. Seine 7. Sinfonie sieht er als ein "Begleitwerk" dazu. Hier taucht ein Prinzip auf, das eigentlich für all seine Werke gilt: mit dem Ende der Musik ist die Tür nicht geschlossen. Gute Musik geht am Ende ins Helle. Ins Unendliche. Seit zwei Monaten lebt der ukrainische Komponist (geb. 1937 in Kiew) nun in Berlin. Seine Tochter und Freude haben ihn dazu überredet und ihm geholfen, eine Wohnung zu finden. Interviews geben und sich zur aktuellen Lage äußern, mag der Komponist im Moment nicht. Freunde erzählen, dass seine differenzierten Betrachtungen häufig durch die Übersetzungen und Kürzungen untergehen. Und sowieso: seine Musik sagt, was er zu sagen hat.

So wird das Ukrainian Freedom Orchestra die 7. Sinfonie von Valentin Silvestrov mit auf seine Tournee nehmen. Am 13. August spielt das Orchester in der Elbphilharmonie. Das ist Valentin Silvestrovs Beitrag zum Leben.

Eine Sendung von Margarete Zander.

 

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Neben einem Schallplattenspieler liegen Kopfhörer. © Photocase Foto: cosendolas

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