Claudia Christophersen © NDR Foto: Christian Spielmann

Von mutigen Frauen und kurzen Augenblicken des Lichts

Stand: 18.03.2022 06:00 Uhr

Die Bilder in der Ukraine beunruhigen, erschüttern uns. Und doch ereignen sie sich, die hellen Momente, die Mut machen.

von Claudia Christophersen

Angefangen hat Russlands Krieg gegen die Ukraine vor drei Wochen, in jener Nacht zum 24. Februar 2022. Inzwischen ist fast nichts mehr so, wie es vor diesem Datum war. Wenn sich hierzulande Menschen über hohe Benzinpreise, zittrige Aktienkurse beklagen oder teure Heizkosten befürchten, sind es doch vor allem die Bilder eines grausamen Krieges, die sich Tag für Tag in unser Gedächtnis einbrennen, die uns verfolgen im Schlaf, in Träumen.

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Handy mit Social Media Apps © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Pavlo Gonchar

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Die brutale Gewalt von Panzern, Raketen, Waffen. Zerschossene Häuser, zerbombte Straßenzüge, ausgebrannte Autos. Leichen, die verscharrt werden, weinende Frauen, die das Elend nicht fassen können, hilflose Kinder, die das, was passiert - das bleibt nur zu hoffen - noch nicht wirklich erfassen. Immer wieder sind es diese Bilder, die beängstigen, die entmutigen, die verzweifeln lassen.

Wie konnte es sein, dass wir so unvorbereitet sind auf das, was jetzt passiert? Auch Volker Weidermann beschäftigt das, wenn er in der "Zeit" schreibt: Da lesen wir die Bücher von russischen, ukrainischen Gegenwartsautorinnen und -autoren, - sind bewegt, berührt, betroffen. Und dann? Dann stellen wir die Geschichten mit ihren Appellen und Schicksalen zurück ins Regal. Ihre Botschaften sind angekommen, aber nicht durchgedrungen. "Wir waren in unseren Optimismus verliebt", so Weidermann.

Marina Ovsyannikova fordert zum Umdenken auf

Dann diese Szene: Montagabend, Nachrichten im russischen Staatsfernsehprogramm "Kanal 1", Prime Time. Plötzlich stellt sich eine Frau hinter die Moderatorin, hebt ein Plakat hoch, auf dem steht: "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet Ihr belogen." Sechs Sekunden bleibt die Frau im Bild, sechs Sekunden, die live übertragen werden. Ihr dürfte völlig klar gewesen sein, dass sie damit den Präsidenten ihres Landes nicht erfreut.

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Der Screenshot aus der abendlichen Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehen zeigt die Protestaktion von Marina Ovsyannikova. © picture alliance/dpa/Social Media

Protest im russischen Fernsehen: Welche Wirkung haben mutige Aktionen?

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Die Mitarbeiterin des Senders hatte ihre Aktion mit einem Video in den sozialen Medien kommentiert und erklärt: Ihr Vater sei Ukrainer, ihre Mutter sei Russin. Der Krieg gegen das Nachbarland Ukraine sei ein Verbrechen, für das allein Putin verantwortlich sei. Als Journalistin schäme sie sich, jahrelang Kremlpropaganda verbreitet zu haben. Deutliche, eindeutige, mutige, auch reuige Worte. Marina Ovsyannikova, so ist ihr Name, denkt um, dafür war und ist sie bereit, höchste Risiken und Gefahren in Kauf zu nehmen. Als Ikone des russischen Widerstands gegen den Krieg in der Ukraine wird sie bereits gefeiert.

War der Frieden nur eine Illusion?

Schwere Zeiten für Worte, die eine andere Wirklichkeit als die verordnete beschreiben. Protest, Kritik haben ihren Preis, und der ist in Russland gerade hoch. Braucht es mehr solcher Aktionen, braucht es mehr Protestlerinnen und Protestler, um Russlands Präsidenten zur Umkehr zu bringen? Mehr Frauen und Männer, die einstehen für die Wahrheit? Wieviel aber kostet sie? Ein paar Rubel, ein paar Jahre Gefängnis, ein Menschenleben?

Wahrheit kostet Kraft und braucht ein Klima, braucht eine Gesellschaft, die offen ist für Kritik. Francis Fukuyama hatte 1992 in seinem Buch "Das Ende der Geschichte" den Zusammenbruch der Sowjetunion als Punktsieg für westliche Demokratien gedeutet. Dass dieser Sieg nicht so leicht zu haben war, dass sich weltweit neue, ganz eigene Dynamiken konfliktär entwickelten, haben die letzten 30 Jahre gezeigt. War der Frieden nur eine Illusion, eine gern geglaubte Utopie? Waren wir, wie Weidermann schreibt, zu optimistisch?

Ein Augenblick des Lichts, der sich festsetzt

Das Kunstmuseum Wolfsburg stellt diese Frage gerade in seiner aktuellen Ausstellung "Macht! Licht!" und propagiert: Illusionen, Visionen, Utopien, leidenschaftliche Ideen müssen angestrahlt werden.

Ólafur Elíasson baute vor Jahren schon für die Biennale in Venedig eine Tonne, gerade auch in Wolfsburg ausgestellt. An dieser Tonne montiert ist ein Knopf - wird er gedrückt, blitzt auf dem Deckel für einen Sekundenbruchteil der Schriftzug "Utopia" auf. Grell, hell, eindeutig. Ein kurzer, wahrer, mutiger Augenblick des Lichts, der sich festsetzt. Längstens ist das Licht erloschen, die Idee bleibt haften.

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Ulrich Kühn, Claudia Christophersen und Alexander Solloch. © NDR Foto: Christian Spielmann

NachGedacht

Unsere Kolumnisten lassen die Woche mit ihren Kulturthemen Revue passieren und erzählen, was sie aufgeregt hat. Persönlich, kritisch und gern auch mit ein wenig Bösartigkeit gespickt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 18.03.2022 | 10:20 Uhr

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