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Nachgedacht: Nobelpreis schützt vor Schwachsinn nicht

Stand: 29.09.2023 06:00 Uhr

Es ist wieder so weit: Ab Montag ist Nobelpreiswoche, wir erfahren, welche Koryphäen der Wissenschaften ausgezeichnet werden. Aber können wir uns an ihnen orientieren? Lena Bodewein bezweifelt das.

von Lena Bodewein

Es hagelt wieder Nobelpreise - für Medizin, Physik, Chemie, Wirtschaft, Literatur, Frieden … Viele der bisherigen Nobelpreisträger (oder Nobelpreistragenden?) haben sich um unsere Gesundheit und Entwicklung, um Bildung und Fortschritt verdient gemacht: das Hepatitis-C-Virus entdeckt oder die Röntgenstrahlen, Durchbrüche in der Malaria-Bekämpfung erzielt, blaue LEDS erfunden, Impfungen entwickelt, die gegen Gebärmutterhalskrebs schützen, die Wirkungsweise des HI-Virus verstanden, mit Retortenbabys kinderlosen Menschen geholfen, mit dem Haber-Bosch-Verfahren Düngemittelproduktion revolutioniert …

Sie sehen, ich könnte die ganze Rubrik lang weiter aufzählen. Diese Menschen, die mit ihren Forschungen der Menschheit nützen und die ihre Erkenntnisse teilweise gegen viele Zweifler durchgekämpft haben, die könnten uns doch als Leuchttürme dienen - ihr Wissensgewinn als Orientierung in Zeiten des Unwissens, Halbwissens, gefakten Wissens!

Wenn unwissenschaftliche Äußerungen populistisch ausgeschlachtet werden

Tja. Leider ist festzuhalten: Nobelpreis schützt vor Schwachsinn nicht. Einige Nobelpreisträger sind ganz schön abgedriftet. Brian D. Josephson, 1973 ausgezeichnet im Bereich Physik, glaubte an Telepathie und ein Gedächtnis des Wassers.

Kary Mullis, 1993, Chemie, beschrieb in einem Buch, wie er eines Tages im Wald einen Waschbären traf: Der grüßte ihn höflich, war aber am Ende gar kein Waschbär, sondern ein Alien, der ihn, Mullis, entführte. Das könnte man ja noch als privat ausgelebte, übereifrige Fantasie auslegen. Aber der Erfinder der Polymerase-Kettenreaktion, PCR, leugnete außerdem den Zusammenhang des HI-Virus mit der Krankheit Aids. Und da wird es populistisch und schädlich.

Nobelitis - Nobelpreisträger driften ab

Auch Linus Pauling, Chemie, 1954, äußerte sich absolut unwissenschaftlich, als er hochdosiertes Vitamin C als Allheilmittel gegen Krebs empfahl. Nobelitis, so nennt man dieses Phänomen des Abdriftens von Nobelpreisträgern (in diesem Fall ist kein Gendern a là "Nobelpreistragende" nötig, es sind - mir zumindest - nur Männer bekannt, die an dieser Krankheit leiden).

Orientierung an Koryphäen ist also keine sichere Bank, eine Konifere in der Landschaft könnte da hilfreicher sein. (Entschuldigen Sie bitte, ich leide nicht unter Nobelitis, nur unter einer Kalauerphilie.)

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Der eigene gesunde Menschenverstand ist der beste Ratgeber

Aber vielleicht sind wir auch selbst schuld daran: Wozu müssen wir Menschen mit den höchsten denkbaren Auszeichnungen huldigen? Das sind ein Druck und eine derartige Alleinstellung, die jeden ein bisschen in Richtung Gaga-Sphären abheben lassen, der nicht bombenfest geerdet ist. Wir sollten selbst unsere Nobelpreisleuchten sein. Damit will ich keinem Größenwahn Vorschub leisten, nein, ich meine nur: Forschen wir selbst, bahnen wir uns den Weg der Erkenntnis durch Halbwahrheiten und Lügen, jeden Tag aufs Neue, orientieren wir uns an Vernunft und Verstand. Und zeichnen wir uns von mir aus dafür auch jede Woche wieder aufs Neue selbst aus, für das gesicherte Wissen, mit dem wir Populismus und schädlichem Schwachsinn entgegentreten können. Zum größten Nutzen der Menschheit, wie die Statuten des Nobelpreises verfügen.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 29.09.2023 | 10:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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