Ulrich Kühn © NDR Foto: Christian Spielmann

NachGedacht: Inflation - Oh Leben, wie teuer du uns bist!

Stand: 12.08.2022 06:00 Uhr

Das Leben ist uns lieb und teuer. Man kann sich allerdings fragen, ob die Mittel zum Leben nicht bald zu teuer sind. Ulrich Kühn denkt in seiner Kolumne nach.

von Ulrich Kühn

Die klassische Prüfungsfrage an einen Bundeskanzler lautet: "Geschätzter Kanzleramtsbewohner-ohne-Ahnung-vom-wahren-Leben, wie teuer ist ein Päckchen Butter?" Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler glänzen dann regelmäßig, indem sie ansatzlos die Butterpreise von Lidl, Aldi, Edeka und Rewe runterrattern können, für die Hausmarke, für weitere Markenbuttern und, mit gehobener Augenbraue, für Bio-Butter aller Art. Die Kunst beim Heben der Braue besteht übrigens darin, sie exakt so zu justieren, dass sie gleichermaßen zum Ausdruck bringt, wie gesund und tierwohlfördernd Bio-Butter ist und wie sehr zu missbilligen andererseits, dass sich viele diese Bio-Butter nicht leisten können. Weshalb ein Kanzler, so verheißt seine Braue, niemals ruhen wird im Bemühen, Bio-Butter für alle erschwinglich zu machen.

Was nun den Kanzler Scholz betrifft, so hat er die Butterpreisprüfung im Ex-und-Hopp-Stil bestanden. Dummerweise sind ihm ein paar weitere Fragen zu stellen, die ebenfalls Finanzielles betreffen. Hier fallen ihm die Antworten schwerer, wiewohl er sie, das hat er am Donnerstag gesagt, seit zwei Jahren "präzise" gibt. Vielen erscheint es trotzdem so, als könne er, wenn "Cum-ex" draufsteht, nicht ganz so ex und hopp brillieren wie beim Butterpreis. Aber das ist nicht unser Thema. Unser Thema heißt: Inflation.

Reale oder gefühlte Inflation?

Als ich diese Woche aus dem Urlaub zurückkehrte, musste ich nämlich einsehen, dass mir meine eigene Eignung zum Bundeskanzler, die ich mir jüngst noch bestätigt hätte, ohne mit der Wimper zu zucken, gänzlich abhandengekommen ist. Ich starrte auf die Butterpreise, blinzelte, blinzelte abermals - und spürte, wie meine Augenbraue unkontrolliert in die Höhe schoss. Im Ernst? Meine Lieblingsbutter ist binnen kürzester Zeit um 44 Prozent teurer geworden? So viel Geld für ein Päckchen Fett, das ist schon ein dickes Ding. Man könnte sagen: Schön, so schmilzt wenigstens der Hüftspeck. Nur gibt es leider Menschen, die bei diesem Thema überhaupt nicht mehr lachen können. Weil sie schon jetzt zu wenig haben. Weil sie das existenziell betrifft.

Die Inflation hält sich oberhalb der Sieben-Prozent-Marke, das ist schon überaus misslich. 44 Prozent sind aber noch mal ein anderes Wort, 44 Prozent sind horrend. Beklemmend genug, dass Energie bereits jetzt mehr als 35 Prozent teurer ist als vor einem Jahr. Wir werden im Winter wärmende Hüftringe brauchen; die Preise für Nahrungsmittel indes, so entnehme ich einer Tabelle, sind insgesamt um knapp 15 Prozent gestiegen, und die für Speiseöle und -fette gar um gut 44 Prozent - innerhalb eines Jahres. Nach meiner Erinnerung war aber meine Butter, die jetzt um stolze 44 Prozent teurer ist als früher, noch vor Wochen viel günstiger! Mindestens um 25 Prozent. Wenn nicht um 30. Oder ist das nur meine gefühlte Inflation?

Deutsche verlieren Preisgefühl

Kürzlich las ich die Warnung, den Deutschen könnte das Preisgefühl abhandenkommen. Man spürt dann nicht mehr, was die Dinge kosten müssten, um angemessen bepreist zu sein. Das Preisgefühl gerät aus den Fugen, im Gleichklang mit dem Preisgefüge. Das klingt nicht gut. Ein aus den Fugen geratenes Gefüge ist nämlich kein Gefüge mehr.

Der Kanzler Scholz hat am Donnerstag bekräftigt, es werde in Deutschland keine Unruhen geben, die Bürgerinnen und Bürger seien schlau, sie stellten sich auf das Nötige ein. Das glaube ich auch, einerseits. Und halte es deshalb mit dem Kanzler, der uns Ruhe im Herbst verspricht. Einerseits, wie gesagt. Denn andererseits ist ein kalter Winter, verehrter Hamburg-Ex-Bürgermeister mit und ohne Cum, höchstwahrscheinlich kein Hafengeburtstag. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

Butterthema zu einer Prüfungsfrage machen?

Schon deshalb wäre es gut, wenn alle, die Butter essen möchten, sich auch künftig noch Butter leisten könnten. Sonst lautet die Antwort auf die Frage "Was kostet ein Päckchen Butter?" irgendwann nicht mehr "teure drei Euro". Sondern: "Unerschwingliche Butter hat die Gesellschaft ihr Gefüge gekostet." Dann hätten wir so richtig unser Fett weg. Und dahin darf es nicht kommen. Vielleicht wird das Butterthema also zur Prüfungsfrage - für die ganze Gesellschaft. Dann sollten wir eine Antwort haben. Wenn uns unser Leben lieb und teuer ist.

Weitere Informationen
Ulrich Kühn, Claudia Christophersen und Alexander Solloch. © NDR Foto: Christian Spielmann

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 12.08.2022 | 10:20 Uhr

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