Gedanken zur Zeit: Wie blickt Schweden auf Deutschland?
Deutschland im Lockdown: Amüsierter bis irritierter Blick aus Schweden
In Schweden selbst wurde deutlich weniger über die eigene Strategie diskutiert. Stattdessen war man hier etwas ratlos und auch amüsiert über die korrekten Deutschen: Im schwedischen Fernsehen berichtete ein Reporter aus Düsseldorf sichtlich irritiert über das sogenannte Verweilverbot: Als man dort zwar am Rhein spazieren gehen konnte, aber nicht stehen bleiben durfte. Was ist nur los in Deutschland, fragte er sich und hatte keine Antwort darauf. Die Pandemie und der unterschiedliche Umgang damit hat hier viele sprachlos zurückgelassen.
Überfahren von deutscher Direktheit
Nicht, weil Schwedinnen und Schweden keine Haltung dazu hätten. Viel eher, weil Diskussionen, die im Streit enden könnten, lieber vermieden werden. Man möchte den anderen keinesfalls vor den Kopf stoßen. Ein schwedischer Manager berichtete mal, dass er längere Zeit in China und Deutschland gearbeitet habe. Und was er niemals für möglich gehalten hat: Er brauchte in beiden Ländern mehrere Jahre, um sich in die dort herrschende Arbeitskultur einzufinden. Die Deutschen verstehen zum Beispiel das schwedische Nein nicht. Deutlich "nein" sagen, das macht man nicht. Es findet zwischen den Zeilen statt. Übersetzt heißt "nein" gerne so etwas wie "Das ist hier nicht so beliebt" oder "Ich versuche es, aber es könnte schwierig werden." Auf deutscher Seite kommt an: Geht schon irgendwie. Die Schwedinnen und Schweden hingegen fühlen sich immer ein wenig überfahren von der deutschen Direktheit und der hierarchisch geprägten Kritikkultur.
Die Deutschen: Effizient und erbarmungslos
Bis hin in den Bereich Bildung und Erziehung reichen diese großen kulturellen Unterschiede, die oft unterschätzt werden. Ein Beispiel aus unserem privaten Familienleben: Vor einem guten halben Jahr sind wir nach Schweden gezogen, mit zwei Kindern im Grundschulalter. Vor den Sommerferien hatten wir dann das erste Lernentwicklungsgespräch mit dem Lehrer unseres Sohnes. Alles sei toll, sagte er. Unser Sohn habe sich integriert, spreche die Sprache sehr gut und dann folgte noch dieser eine Satz, über den wir später ziemlich schmunzeln mussten: Der Junge arbeitet wie eine deutsche Maschine, so der Lehrer ganz ernst. Und auch wenn es so nicht klingt, das sollte ein Kompliment sein. Unser Sohn sei extrem fokussiert, beständig in der Leistung, korrekt, direkt und ehrgeizig – einfach sehr deutsch und vielleicht auch wenig schwedisch, das habe ich den Lehrer leider nicht mehr gefragt. Sie sind so effizient, die Deutschen und gleichzeitig so erbarmungslos.
Flutkatastrophe: Wieso gab es kein deutsches Warnsystem?
Wobei Deutschland zuletzt mehrfach Anlass gegeben hat, dass Schweden an dieser Effektivität zweifelte: Zum einen im Frühjahr, als Maskenskandale die Republik erschütterten. Und nun schon wieder, nach den massiven Überschwemmungen. Erstaunt fragten die Schweden, wieso es kein ordentliches, deutsches Warnsystem gegeben habe. Wie das Mobilfunknetz zusammenbrechen konnte und warum es keine Bereitschaft für ausreichend Einsatzkräfte gegeben habe. Um es mit einem Wort zusammenzufassen: Chaos, so schrieb ein schwedischer Journalist bass erstaunt. Hatte man uns gar nicht zugetraut.
Feierabend - was für ein herrliches Wort
Um eines beneiden uns die Schweden dann aber doch: um unseren Feierabend. Was für ein herrliches Wort, sagen die, die sich ein bisschen mit der deutschen Sprache auskennen. Den Abend nach getaner Arbeit zu feiern - ein so schönes und präzises Bild. Ein Wort, dass man gar nicht direkt ins Schwedische übersetzen kann. In Schweden heißt diese Zeit schlicht „nach der Arbeit“. Und vielleicht liegt es daran, dass man in Schweden das Ende der Arbeitszeit nicht feiern muss: denn arbeiten ist hier entspannter, freundlicher und gelassener. Wenn der Deutsche nach acht Stunden Arbeit wie eine Maschine getrieben von Druck, Effizienz und Ehrgeiz nach Hause gehen darf, dann hat er schon eher etwas zu feiern. Dann kann er sich über sein kaltes Bier und die kostenlose FFP2-Maske freuen, die dann auf dem Tisch liegt. Und vielleicht klammheimlich die Schweden beneiden, dass die diese Dinger nicht tragen müssen. Da war alles viel besser in der Corona-Zeit. Wobei, sie waren auch verdammt naiv im Norden, wie konnte man nur… Ach, da geht sie schon wieder los, die deutsche Diskussion.
- Teil 1: Die Deutschen und ihr Bullerbü-Syndrom
- Teil 2: Deutschland im Lockdown: Amüsierter bis irritierter Blick aus Schweden
