Der schwere Abschied vom Auto
Die Automobilindustrie steckt in der Krise. Die begann nicht erst mit dem Dieselskandal, der Diskussion um Tempolimit und Klimawandel oder mit der Unterbrechung der Lieferketten während der Corona-Pandemie. Zu lange haben die Hersteller die Umstellung auf die Elektroantriebe und zeitgemäße Mobilitätskonzepte verschlafen. Das Auto mit Verbrennungsmotor wurde im 20. Jahrhundert zu einem magischen Objekt der Massenkultur; heute nun bieten neue Antriebe und autonomes Fahren die Chance für die Abkehr vom Mythos der Geschwindigkeit. Das Auto der Zukunft kann kommunikativer, leiser und umweltfreundlicher sein.
Das Auto ist die heilige Kuh unserer Mobilitätskultur. 48 Millionen Pkw sind allein auf deutschen Straßen unterwegs. Premiummodelle von BMW, Mercedes oder Porsche gelten als Inbegriff von Qualität Made in Germany, und VW wirbt gar mit dem unbescheidenen Slogan: Volkswagen - das Auto. Das Automobil als Nachfolger des Pferdes wurde im 20. Jahrhundert zum magischen Objekt, einem Mythos des Alltags und technischem Ausdruck von Individualität und Freiheit. Obwohl es am Anfang seiner Geschichte auch mit Dampfmaschine und Elektromotor angetriebene Autos gab, wurde das Auto mit Verbrennungsmotor bald zum Standard, denn mit der Entdeckung und Ausbeutung der Ölreserven der Erde stand leicht zu gewinnender Treibstoff in schier unbegrenzter Menge zur Verfügung. Über Risiken und Nebenwirkungen der Automobilität machte man sich lange keine Gedanken. Lärm, Abgase und Unfälle gehörten dazu, wurden aber Anfang des 20. Jahrhunderts vom Futurismus als Ausdruck einer heroischen Männlichkeit gefeiert.
In der futuristischen Tradition war das Auto das Objekt männlicher Wunscherfüllung: ein Rennwagen und Phallus auf Rädern. Vor allem Geschwindigkeit machte den Reiz des Automobils aus, das an Heldenmythen anknüpfen konnte, die bis zu Phaeton zurückreichen, der den Sonnenwagen seines Vaters Helios über den Himmel lenkte und wegen zu schnellem Fahren mit dem 2PS-Pferdegespann den ersten Autounfall der Geschichte verursachte. Phaetons von Ovid überlieferte Geschichte deutet auf den Tod des James Dean voraus oder den Unfall von Formel-1-Pilot Niki Lauda, auch die Verfolgungsrennen von James Bond in seinem Aston Martin, ohne den keine Verfilmung auskommt. Das Auto als Geschwindigkeitsmaschine für männliche Helden war, wie der Philosoph Peter Sloterdijk sagt, "eine Maschine zur Steigerung von Selbstbewusstsein".
Der schwere Abschied von der Benzinkutsche
Das Auto hat dieser Deutung zufolge eine existentialistische Funktion als Vehikel von Freiheit und menschlicher Transzendenz. Autos sind nicht nur profane Fortbewegungsmittel, mit denen man von A nach B fährt, sondern Verkehrsmittel für die quasi religiöse Erfahrung der Selbststeigerung. Roland Barthes bezeichnete das Auto daher treffend als "das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen" und das Autofahren "als okkulte kinetische Religion der Moderne".
Alles das muss man sich in Erinnerung rufen, wenn man verstehen will, warum der Abschied von der aufheulenden Benzinkutsche mit explosivem Atem heute so schwerfällt. Der Umbau unserer auf Öl beruhenden Mobilitätskultur scheint wegen der Klimakrise unausweichlich. Verbrennungsmotoren haben keine Zukunft, das ist schon länger bekannt. Dennoch haben die Hersteller mit der Umstellung ihrer Produktion lange, zu lange gewartet. Nun müssen sie unter dem Druck verschärfter Umweltauflagen, steigender CO2-Abgaben, der Kritik von "Fridays for Future" und dem Angriff des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla riesige Investitionen tätigen, wenn sie auch in Zukunft Geld mit Fahrzeugen verdienen wollen.
Neue Werte durch elektromobiles Design
Aber Elektroautos hatten lange keinen guten Ruf: Zu wenig Reichweite, lautete die Kritik, zu wenig Spaß oder - mit dem Motto von BMW gesprochen - zu wenig "Freude am Fahren". Dieser Kritik begegnen die Hersteller nun damit, dass sie Elektroautos bauen, die den Mythos der Geschwindigkeit fortschreiben. Entsprechend sehen diese Autos dann aus: Es dominiert ein protziges angriffslustiges Design und das Versprechen, den kinetischen Rausch weiter ausleben zu können. So soll dem Kunden der Übergang in die Zukunft des elektrischen Fahrens versüßt werden. Äußerlich sehen die Elektrofahrzeuge ihren Verbrenner-Vorläufern zum Verwechseln ähnlich. Das Autodesign der Gegenwart ist seltsam mutlos und konservativ. Die Innovation des Antriebs wird in alten Karosserieformen versteckt, als hätte es die modernistische Maxime "form follows function" nie gegeben.
Eine neue Automobilform wäre möglich, wenn der Motor nicht mehr vorneweg fährt, sondern Elektromotoren direkt an den Rädern angreifen. Die phallische Motorhaube mit dem bleckenden Kühlergrill ist nicht mehr nötig, wird aber wohl so lange noch gefaked, wie der automobile Geschmack der Kunden es verlangt. Dabei ginge es auch anders, wenn man den Anspruch an Geschwindigkeit und Leistung nicht absolut setzte. Elektromobiles Design in einer postheroischen, postfuturistischen Gesellschaft könnte neue Werte veranschaulichen: Umweltfreundlichkeit, Rücksicht auf die Risiken und Nebenwirkungen der Mobilität, nicht nur in ökologischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. Nicht aggressive Kühlergrills, stechende Scheinwerferaugen oder röhrender Sound wären ihre Kennzeichen, sondern ein höflicher Geist von Kommunikation und Kooperation.
- Teil 1: Der schwere Abschied von der Benzinkutsche
- Teil 2: Reisen als soziales Ereignis
