Wer ist Muslim?
Rund fünf Millionen Muslim:innen leben in Deutschland. Zugänge zu ihrer Religion gibt es viele, denn eine festgelegte Definition gibt es nicht. Wer ist Muslim?
"Für mich ist ein Muslim jeder, der sich von sich selbst aus dazu bekennt, der von sich selbst aus sagt, er ist Muslim oder sei Muslim, dann ist er es auch für mich." Alexander Schmidt ist Theologe und stammt aus Hildesheim. Vor mehr als 20 Jahren trat er zum Islam über.
Um Muslim zu werden, musste er lediglich zwei Sätze aussprechen: "Dass es nur einen Gott gibt und dass der Prophet Mohammed der Gesandte Gottes ist. Wer das bekennt, ist Muslim."
Was bedeutet Muslimsein?
Für die Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen braucht es im Islam kein Ritual wie beispielsweise die Taufe im Christentum. Es reicht das Aussprechen des Glaubensbekenntnisses, der sogenannten "Shahada". Sie ist die erste der sogenannten "fünf Säulen des Islam". Wer daran glaubt, kann als Muslim bezeichnet werden.
Doch was bedeutet eigentlich Muslimsein genau? "Muslim oder Muslimin ist jemand der oder die sich Gott hingibt. In Gottes Ergebenheit, in Gottes Hingabe lebt", so die Theologin Hamideh Mohagheghi aus Hannover.
Islam ist Hingabe an Gott
Islam - das bedeutet übersetzt "Hingabe an Gott". Nach islamischer Auffassung werden alle Menschen in diesem Zustand geboren und als Muslime bezeichnet. "Das ist aber jetzt nicht eine Vereinnahmung, dass alle Muslime sind, sondern vom Begriff her ist es diese Definition. Im Koran steht der Begriff nicht nur für die Menschen, die seit 1400 Jahre dieser Religion angehören, sondern das ist eine Haltung, die die Menschen haben, die sich Gott hingeben und demnach leben", erklärt Mohagheghi. So wie es Goethe einst beschrieben hat: "Wenn Islam Gott ergeben heißt, im Islam leben und sterben wir alle."
Die Verantwortung eines gläubigen Menschen
Doch wie bringt man diese Haltung der Hingabe zum Ausdruck? Muss man nach den islamischen Regeln leben und die anderen Säulen des Islam praktizieren, also beten und fasten, die Wallfahrt nach Mekka durchführen und die Pflichtabgabe für Arme entrichten?
Nein, so die Theologin Hamideh Mohagheghi. Sie sieht andere Möglichkeiten: "Wir bleiben bei dem ganz aktuellen Thema Klimakrise. Das ist die Verantwortung, die der gläubige Mensch hat: die Schöpfung, die Natur und die Ressourcen dementsprechend, wie Gott sie erschaffen hat, zu nutzen und nicht nur mehr Gewinn zu haben, sondern entsprechend den Regeln, die Gott erschaffen hat, zu leben. Das macht Muslimsein aus - und nicht nur beten und fasten."
Vorurteile und Androhungen in den sozialen Netzwerken
So gibt es Musliminnen und Muslime, die ihren Glauben nicht praktizieren, aber an Gott glauben. Sie beten und fasten nicht, leben ihren Glauben spirituell. Keiner kann ihnen den Glauben absprechen. In der jüngsten Vergangenheit wird dies aber oft getan. Besonders in den sozialen Netzwerken.
Hamideh Mohagheghi verurteilt diese Praxis: "Wenn jemand von Herzen ein guter Muslim, eine gute Muslima ist und wirklich alles tut, was er als Mensch zu tun hat und im Sinne Gottes handelt und aus welchem Grund auch immer nicht diese fünfmaligen Gebete betet, da habe ich nicht das Recht zu sagen, ob er ein richtiger oder falscher Muslim oder Muslima ist. Das finde ich hoch problematisch. Das haben wir leider in der traditionellen Denkweise sehr stark drin, dass die Menschen Vorurteile haben und Angst machen, diese Androhungen, du wirst in die Hölle kommen. Das ist leider weit verbreitet."
Individueller Zugang zum Glauben
Der Glaube ist auch im Islam eine sehr persönliche Angelegenheit. Es gibt keine Instanz, die überprüft oder richtet - außer Gott. Wie und was man praktiziert, ist jedem selbst überlassen - ob allein oder in der Gemeinschaft. Als Muslimin oder Muslim muss man auch nicht Mitglied einer Moscheegemeinde sein.
Alexander Schmidt schätzt diesen individuellen Zugang zu seinem Glauben: "Es gibt keine Kirche, keinen Vermittler. Ich bin selbst befähigt von Gott, weil wir Menschen so befähigt sind, dass wir zur Spiritualität befähigt sind. Und deswegen ist es meine eigene Aufgabe, mich ihm selbst zuzuwenden. Und das ist ein individueller Akt. Ob ich fünf Mal am Tag bete, das kontrolliert ja keiner. Und was ich im Herzen denke, kontrolliert auch keiner. Soll man auch nicht."
