Viele Gemeinsamkeiten: Jüdisch-muslimischer Dialog
Der Dialog zwischen Vertretern des Islams und des Christentums hat eine lange Tradition in Deutschland. Etwas anders sieht es mit dem muslimisch-jüdischen Dialog aus: Er steckt noch in den Anfängen. Neue Wege geht die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi in Hannover. In einer Veranstaltungsreihe liest sie gemeinsam mit Gabor Lengyel, dem Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde, aus Koran und Tora. Denn das sei, sagt unsere Gastautorin, ein wichtiger Schritt in einer bewegten Zeit.
Von Hamideh Mohagheghi
Der Terror im Namen Gottes verbreitet in Europa Angst und Unbehagen und macht es möglich, dass radikales Gedankengut an Zuspruch gewinnt. Aktuell sind es vor allem in Deutschland die Rechtsradikalen und extreme muslimische Gruppierungen, die Schatten auf das Zusammenleben der Menschen werfen.
Dialog auf allen Ebenen ist dringend notwendig, um extremen Ideologien einen Riegel vorschieben zu können. Aktuell steht natürlich das Thema Geflüchtete an erster Stelle. Konflikte, die im Nahen Osten entstanden sind, werden nun verstärkt auch nach Deutschland transportiert. Dazu gehört der Hass mancher arabischer Muslime auf Juden. Es ist notwendig, diesen Aspekt in der Begegnung mit den Geflüchteten nicht auszublenden, sondern sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Gemeinsame Lesung von Tora und Koran
In Hannover wächst seit einiger Zeit ein ganz besonderer jüdisch-muslimischer Dialog. Gabor Lengyel, der Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde, und seine Frau Aniko kümmern sich seit langem um die Geflüchteten. Es berührt mich, zu beobachten, wie herzlich sich die Beziehung zwischen den jungen muslimischen Männern und dem Rabbiner entwickelt hat. Das macht Hoffnung.
Ich kenne Gabor Lengyel seit vielen Jahren und habe mit ihm bereits einige Veranstaltungen gemeinsam durchgeführt. Im vergangenen Jahr entstand die Idee, im Haus der Religionen mit einem ganz besonderen Dialog zu beginnen, der manchen vielleicht sogar unmöglich erscheinen mag: in einer Veranstaltungsreihe Tora und Koran gemeinsam zu lesen.
Respekt für das Fremde
Es wird oft vergessen, dass es zwischen Juden und Muslimen viele Gemeinsamkeiten gibt. Vor allem, wenn es um das Gottesverständnis und die Glaubenspraxis geht. Die religiösen Gebote, z.B. Speisevorschriften, spielen in beiden Religionen eine zentrale Rolle und sind zum Teil auch ähnlich.
Für uns ist es wichtig, eine Entdeckungsreise durch die Schriften zu beginnen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Quellen zu ergründen. Ja, auch - und gerade - die Unterschiede zu erforschen ist spannend und kann zugleich die Messlatte für Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit sein. Es ist ein Indikator dafür, wie ernst man es mit dem Dialog meint; also mit dem Bemühen, das Fremde zu verstehen und auch Unterschiede mit Respekt stehen lassen zu können, selbst wenn dies gegen die eigene Überzeugung ist. Denn erst dadurch wird ein tiefergehender Dialog möglich. Diese Erfahrung habe ich immer wieder gemacht.
Ein deutliches Zeichen setzen
Die Veranstaltungsreihe zu Tora und Koran wird in diesem Jahr an sieben Abenden zu unterschiedlichen Themen im Haus der Religionen durchgeführt. Themen wie Schriftverständnis, Schöpfung, Gebet, Nächstenliebe oder Gewalt sollen verdeutlichen, wie nah, aber auch wie fern sich die Quellenschriften aus beiden Religionen sein können. An zwei Abenden werden wir die Rollen tauschen: Rabbiner Lengyel wird aus dem Koran lesen und ich aus der Tora. Wir möchten so ein deutliches Zeichen setzen, dass zwischen Juden und Muslimen Freundschaften und Vertrauen, aber auch ein fruchtbarer theologischer Austausch möglich sind. Ein kleiner Schritt hin auf dem Weg zu einem verständnisvollen und friedlichen Zusammenleben aller Menschen.