Junge islamische Männer beten © picture alliance / dpa Foto: Boris Roessler

Land unterstützt beRATen e.V. - Prävention bleibt wichtig

Stand: 17.06.2022 09:00 Uhr

Die Zahl der Salafisten, die den Behörden in Deutschland bekannt sind, ist in den vergangenen Jahren gewachsen. In Niedersachsen arbeitet die Beratungsstelle beRATen e.V. gegen die salafistische Radikalisierung an.

Junge islamische Männer beten © picture alliance / dpa Foto: Boris Roessler
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von Claudia Wohlsperger

Das Team von beRATen e.V. hatte bei der Gründung 2015 eine klare Aufgabe: junge, radikalisierte Menschen davon abzubringen, zum sogenannten "Islamischen Staat" (IS) auszureisen. Keine leichte Aufgabe, erzählt Teamleiter Harry Guta in Hannover: "Sie können sich vorstellen, dass die nicht hierher kommen und sagen: 'Ich bin radikal, helft mir mal'. Wie wir erreichen, dass sie nicht ausreisen, oder wie man mit Radikalisierten spricht? Wir haben die Möglichkeit, mit dem sozialen Umfeld zu sprechen, also mit den Familien, Freunden, den Klassenkameraden."

Ein Porträt zeigt Michael Kiefer, Dozent am IIT. © dpa - Bildfunk Foto: Friso Gentsch
Der Islam-Experte Michael Kiefer forscht auf dem Gebiet Radikalisierung und Religion.

In diesem Umfeld habe es großen Beratungsbedarf bei Eltern oder Lehrern der Ausreisenden gegeben, sagt Wissenschaftler Michael Kiefer. Er arbeitet am Institut für islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Das Institut begleitet die Beratungsstelle wissenschaftlich. Mehr als 1.000 junge Menschen seien zum IS gereist, sagt Kiefer. Die Terrormiliz hat aber inzwischen an Macht und Anziehungskraft verloren.

Neue Aufgabe: Reintegration von IS-Rückkehrern

Dadurch haben sich auch die Aufgaben der Präventionsberatung verändert, erklärt Michael Kiefer. Andere Formen von Islamismus spielten eine Rolle, aber auch IS-Rückkehrer und -Rückkehrerinnen: "Das sind die Menschen, die aus Syrien, aus Inhaftierungslagern der Kurden zurückkommen sind, zum Teil mit ihren Kindern. Hier geht es darum, die Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Erst einmal muss man natürlich klären, ob diese Menschen überhaupt ausstiegswillig sind."

Harry Guta, Teamleiter von "beRATen" e.V. © dpa Bildfunk Foto: Julian Stratenschulte
Harry Guta, Teamleiter bei beRATen e.V., will mit der Präventionsarbeit schon in der Kita beginnen.

Auch die Kinder selbst müssten begleitet werden - vor allem über ihre gewohnten Umgebungen, wie Schulen oder Kitas, sagt der Teamleiter der Beratungsstelle, Guta: "Niemand weiß genau, ob die Kinder traumatisiert sind. Auf jeden Fall ist es eine Kindeswohlgefährdung, wenn jemand mit den Kindern im Kriegsgebiet war. Da hängt eine ganze Menge Arbeit dran, das zu koordinieren und das in Richtung Reintegration zu gestalten."

Rund 900 Salafisten in Niedersachsen

Sieben Beraterinnen und Berater arbeiten in der Präventionsstelle. Sie sind in ganz Niedersachsen im Einsatz. 380 Fälle haben sie in den vergangenen Jahren bearbeitet. Der Salafismus sei weiterhin da, sagt auch Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens. Allein in Niedersachsen sprechen die Behörden derzeit von rund 900 Salafisten. "Es geht darum, den Salafismus zu bekämpfen und denen, die davon infiziert sind, Wege aufzuzeigen, diesen Weg zu verlassen und sich zu deradikalisieren", erklärt Ministerin Behrens.

Im Team der Beratungsstelle arbeiten sieben Expertinnen und Experten aus sozialer Arbeit, Psychologie, Coaching und Gewaltberatung. Sie arbeiten mit den IS-Rückkehrerinnen und -Rückkehrern zusammen und mit jungen Menschen, die sich radikalisieren. Aber die Beratungsstelle will nun verstärkt noch früher ansetzen: Auch mit Schulen, Jugendämtern und sogar Kitas arbeitet die Stelle zusammen, sagt Harry Guta: "Wenn sich ein junger 16-Jähriger einen langen Bart wachsen lässt, ist das eine beginnende Radikalisierung, oder ist das einfach pubertär und der Wunsch nach Abgrenzung? Wir schärfen den Blick der Fachleute. In der Kita genauso, wenn es darum geht, dass Kinder bestimmte Festivitäten nicht mitmachen oder nicht zum Schwimmunterricht mitgehen: Ist das eine konservative religiöse Erziehung oder zeigt sich da eine Radikalisierungsentwicklung?"

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Im Trägerverein der Beratungsstelle sind auch die muslimischen Religionsgemeinschaften Schura und Ditib vertreten, eine Besonderheit, wie die Ditib-Landesgeschäftsführerin Emine Oguz sagt. Dabei gehe es darum, Verantwortung zu übernehmen und nach außen zu zeigen: "Dieser Stelle kann man vertrauen. Da sitzt nicht der Verfassungsschutz drin, so dass man ohne Bedenken und ohne Hemmschwellen diese Beratungsstelle aufsuchen kann."

Oguz betont aber auch: Radikalisierung sei kein religiöses, sondern ein soziales oder psychisches Problem. Junge Menschen, die sich salafistisch radikalisieren, sind demnach mit ihren Fragen eher nicht in die Moscheen gekommen. Auch Islamwissenschaftler Kiefer sagt, die Religion werde für politische oder gar terroristische Zwecke instrumentalisiert. Erst einmal sei er froh, dass sich der IS zurückgezogen hat. Trotzdem könnten jederzeit neue Gruppen oder militante Bewegungen auftauchen. Die wichtige Arbeit der Präventionsstelle von beRATen e.V. geht also weiter.

 

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Dieses Thema im Programm:

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