Ängste, Skepsis und Ratlosigkeit: Organspende und Islam
Die Bereitschaft, Organe zu spenden, ist in der muslimischen Community gering, sagen Fachleute. Im Koran gibt es keine Anweisung dazu, daher die Unsicherheit unter Muslimen.
Um die Zahl der Organspenden zu erhöhen, plant eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten einen zweiten Anlauf zur Einführung der Widerspruchslösung. Dann wäre jeder Bürger potenzieller Organspender, außer er hat ausdrücklich widersprochen. Das Vorhaben ist jedoch umstritten - auch unter Musliminnen und Muslimen.
Viele Bedenken unter Muslimen
Organspende ist ein heikles Thema in der islamischen Welt. Ängste, Skepsis und Ratlosigkeit sind weit verbreitet. So auch bei zwei muslimischen Frauen. Hanim hat keinen Organspendeausweis. Ginge es nur nach ihrer religiösen Überzeugung, hat sie eine klare Meinung dazu: "Wenn ich aus meinem muslimischen Glauben heraus überlegen würde - es heißt ja: Ein Menschenleben zu retten, ist so, als würde man die ganze Menschheit retten -, dann finde ich das schon wichtig. Allerdings habe ich da schon meine Bedenken dazu."
Diese Bedenken sind allgemein und nicht religiös motiviert, beispielsweise die Angst, dass Hirntote doch wieder aufwachen könnten, etwa bei der Entnahme der Organe. Oder die Sorge vor Missbrauch bei der Vergabe der Organe. Das sind weit verbreitete Zweifel.
Ayse hat einen Organspendeausweis. "Am Anfang war ich auch skeptisch, aber bei meinem Cousin, der bei einem Unfall verstorben ist, hatten die Ärzte gefragt: 'Wollen Sie spenden?' Natürlich hieß es direkt: nein. Dann habe ich lange darüber nachgedacht und überlegt: Wenn alle 'nein' sagen würden, wo bleiben dann die Spender?"
Bei der 47-jährigen Muslimin waren es zunächst religiöse Bedenken und ihre Familie, die gegen Organspende ist. Deswegen will Ayse, dass niemand von ihrem Ausweis erfährt.
Spendenbereitschaft auf sehr niedrigem Niveau
Für Patientinnen und Patienten, aber auch auf medizinischer Seite, ist die grundsätzliche Zurückhaltung in der Gesellschaft und die in bestimmten Kreisen ein Problem. Dazu Ebru Yildiz, Fachärztin und Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation in Essen: "Die Spendenbereitschaft ist weiterhin sehr niedrig. Wir hatten letztes Jahr 965 Organspender und -spenderinnen bei 9.000 Patienten, die auf der Warteliste sind. Wir sind immer unter der 1.000 - das ist viel zu wenig. In der Community ist man eher zurückhaltend, und leider gibt es keine Zahlen, Daten oder Fakten, die ich dazu erheben kann." Die Medizinerin ist überzeugt, dass man durch spezielle Kampagnen für muslimisch geprägte Menschen mehr Spendenbereitschaft erreichen könnte.
Koranwissenschaftler sieht noch Diskussionsbedarf
Für gläubige Menschen ist der religiöse Aspekt sehr wichtig: Wie steht es mit der Vereinbarkeit von postmortaler Organspende und Islam? Im Koran gibt es keinen Text dazu, daher die Unsicherheit unter Muslimen. Doch was es dort gibt, sind allgemeine ethische Prinzipien. Martin Kellner, Koranwissenschaftler und Vertretungsprofessor an der Universität Osnabrück, hat sich damit beschäftigt: "Das wichtigste Argument ist, dass wir im Prinzip moralisch dazu verpflichtet sind, notleidenden Menschen zu helfen. Das, was in der Gelehrsamkeit zur Diskussion gestellt wird, ist, dass einerseits das Prinzip der Totenruhe wichtig ist, aber zugleich die Interessen von lebenden Menschen hochrangiger und wichtiger sind als das Recht auf den Schutz des verstorbenen Körpers."
Dass die Organspende mit dem Islam vereinbar sei, darüber herrsche unter den Gelehrten weltweit wohl allgemeiner Konsens; aber sie ist an Voraussetzungen geknüpft, etwa an die Zustimmung des Verstorbenen zu Lebzeiten. Mit Blick auf die Widerspruchslösung, bei der jedem Toten Organe entnommen werden dürfen, es sei denn er hätte zu Lebzeiten widersprochen, sieht Koranwissenschaftler Martin Kellner noch Diskussionsbedarf: etwa ob ein Nicht-Widerspruch auch eine Zustimmung sei. Hanim, die in Köln ein muslimisches Fortbildungszentrum für Frauen leitet, sieht da noch ganz andere Probleme: "Ich finde das sehr schlecht, vor allem in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund, die die Sprache nicht so gut können. Aber auch wenn sie die Sprache können, inwieweit sie diese Info haben, dass sie dann Widerspruch einlegen müssen."
Hanim will sich selbst noch intensiver mit dem Thema beschäftigen - und hat dabei den Aufklärungsbedarf in der muslimischen Community fest im Blick.
