"Opa war der erste Muslim in Alfeld"
Für viele ist der Glaube Privatsache. Dabei haben die verschiedenen Religionen immer schon Politik und Gesellschaft geprägt. "Gott und die Welt - Religion macht Geschichte" ist das Thema des 25. Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten für Schülerinnen und Schüler. Die besten Beiträge aus Niedersachsen wurden in Hannover ausgezeichnet. Zahlreiche Schüler haben sich auch mit islamischen Themen auseinandergesetzt.
Von Michael Hollenbach
Efecan Günes ist stolz auf seinen Großvater. Der 13 Jahre alte Schüler hat herausgefunden: Sein vor zwei Jahren verstorbener Opa Bekir Özdemir war der erste türkische Muslim im niedersächsischen Alfeld: "Ich habe türkische Familien gefragt, und sie hatten alle einen Bezug zu ihm; es hat wie ein Stammbaum alles auf ihn geführt", so Efecan Günes.

Efecan setzte sich in seiner preisgekrönten Arbeit mit der Lebensgeschichte seines Großvaters auseinander. Bekir Özdemir kam im Mai 1961 - damals erst 25 Jahre alt - nach Alfeld. Anfangs sei er noch als "Kümmeltürke" und "Mohammedaner" beschimpft worden. Doch schon bald eröffnete er einen kleinen türkischen Laden: "Er hatte einen Bakkal gegründet, wo die ersten Türken ihre Spezialitäten einkaufen konnten", erzählt Efecan. "Und dann hat er sich mit den anderen zusammengesetzt und eine kleine Hinterhofmoschee gegründet."
Fußball als Schlüssel zur Integration
Efecans Mitschülerin, die 16 Jahre alte Madeleine Springmann, hat sich allgemein mit den muslimischen Arbeitsmigranten der 1960er- und 70er-Jahre in Alfeld befasst: "Manche haben das Abenteuer gesucht und manche sind aus ihrer Familie geflohen vor der Bevormundung des Familienoberhauptes in der Türkei. Sie liebten die Freizügigkeit, sie tranken Alkohol, spielten Glückspiele, was ja nach dem Koran verboten ist."
So war es auch bei Efecans Großvater Bekir Özdemir. Schon 1963 ließ er sich zum Trainer ausbilden. Der Fußball wurde bei ihm der Schlüssel zur Integration. Er ging zwar zur Moschee, aber der Islam stand bei ihm nicht an erster Stelle. Efecan sagt, er habe von seinem Opa viel gelernt: "Zur Integration gehört auch, dass man mit dem Schweinefleisch klar kommt. In Gelatine ist zum Beispiel auch Schweinefleisch drin, das esse ich auch."
Einblicke in eine andere Kultur
Efecan, Madeleine und ihr Lehrer Dirk Lürssen haben beobachtet, dass sich die späteren, vor allem kurdischen Arbeitsmigranten viel schwerer damit taten, in Alfeld anzukommen: "Und - das haben wir an den Schulen erlebt - dass Schülerinnen nicht mit zur Klassenfahrt mitgehen und nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. Dass sogar eine Schülerin erzählt hat: 'Mein Vater ist gerade mit ganz viel Gold nach Syrien geflogen und kauft meinem Bruder eine Frau.' Solche Geschichten bekommt man manchmal als Lehrer mit." Allerdings sei das nur eine kleine Minderheit unter den Muslimen, betont Dirk Lürssen.
Wie in Alfeld hat sich auch am Corvinianum-Gymnasium im südniedersächsischen Northeim ein Projekt mit dem Thema Islam befasst. Anna Junge und Luca Kirsten haben sich den Muslimen ihrer Stadt gewidmet. Die zwölf Jahre alte Luca führte Interviews in der neuen Moschee. Vor ihrem ersten Gespräch wusste sie so gut wie nichts über den Islam: "Was mich erstaunt hat, weil wir es ja gar nicht kennen, dass sie sich sehr viel vor dem Gebet waschen. Die hatten ein Fußbecken, die waschen die Hände, Ellbogen, das Gesicht - das hätte ich nicht so erwartet."
Ein blinder Fleck in der Geschichte
Dass sich etliche Schülerinnen und Schüler beim Geschichtswettbewerb mit dem Thema Islam befasst haben, begrüßen die Lehrer Georg Schilf und Dirk Lürssen. So habe Madeleine mit ihren Recherchen über die Muslime in Alfeld Pionierarbeit geleistet: "Uns hat am Ergebnis überrascht, dass sie einen blinden Fleck getroffen hat, weil bei den ganzen Behörden, wo sie vorstellig geworden ist, kaum etwas bekannt war von Gastarbeiterfamilien", sagt Georg Schilf. "Keine Statistiken. Und das war unser Eindruck, dass man wenig weiß über das Thema und sich auch wenig interessiert wird dafür." "Was ich bemerkenswert finde, ist die Ignoranz", fügt Dirk Lürssen hinzu. "Wenn man vor einer Oberstufenklasse steht und sagt: Wir haben in Alfeld eine Moschee - dann hat sagen mehr als die Hälfte der Schüler: 'Häh? Wissen wir gar nicht.' Und Alfeld ist keine Großstadt."
