Muslimische Seelsorge: Ausbildung am Islamkolleg Deutschland
Die muslimische Seelsorge in Deutschland befindet sich noch im Aufbau. Dabei ist der Bedarf groß - in den Krankenhäusern, Gefängnissen und auch in den muslimischen Gemeinden.
Anfang 2022 hat am Islamkolleg Deutschland in Osnabrück eine bundesweite berufs- und studienbegleitende Ausbildung von muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern begonnen. Nach professionellen Standards, praxisorientiert und wissenschaftlich begleitet.
Rollenspiel führt zu intensivem Austausch
Eine Jugendliche fühlt sich allein gelassen von ihren Eltern, spricht darüber mit ihrem Seelsorger:
Seelsorger: "Die Entscheidung, wo Sie leben wollen, ist also nicht treffbar."
Jugendliche: "Nein, hinterher bin ich die Schuldige."
Seelsorger: "Sie sind die Schuldige?"
Jugendliche: "Warum streiten die sich denn sonst - ich will nicht nach Hause."
Es ist nur ein Rollenspiel - in einem Seminarraum am Islamkolleg Deutschland in Osnabrück. Doch die 15 Teilnehmer der muslimischen Seelsorge-Ausbildung beobachten ganz genau, wie das Gespräch verläuft. Es entwickelt sich ein intensiver Austausch.
Viele Kursteilnehmer arbeiten bereits ehrenamtlich als Seelsorger
Elif Demirkan-Coban, vierfache Mutter und Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, ist froh, dass sich die Gruppe an diesem Wochenende in Pandemiezeiten wieder persönlich treffen kann: "Es ist die Gruppendynamik, die Atmosphäre, die Nähe", sagt sie.
Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der einjährigen Ausbildung engagieren sich, wie Elif Demirkan-Coban, bereits ehrenamtlich als Seelsorger. In Moscheegemeinden etwa, im Krankenhaus oder im Gefängnis. Nun bekommen sie weitere Einblicke in die unterschiedlichen Seelsorgebereiche. Symeyye Kalem studiert Islamische Theologie und Erziehungswissenschaften. Im Rollenspiel war sie die Jugendliche, Pastoralreferent Lothar Schäfer der Seelsorger. Die junge Muslimin hat viel mitgenommen aus dem Gespräch: "Dass er teilweise Grenzen aufgezeigt hat, authentisch und ruhig geblieben ist, egal wie aufmüpfig ich in meiner Rolle war. Das war schön, von einem erfahrenen Seelsorger so einen Unterschied zu sehen. Denn wir sind alle nur blutige Anfänger."
Kurs orientiert sich an der christlichen Seelsorgeausbildung
Der Christ Lothar Schäfer, Gefängnisseelsorger in Hameln und Supervisor, und der Muslim Martin Kellner, Professor für Koranwissenschaft am Osnabrücker Institut für Islamische Theologie, leiten gemeinsam die Gruppe am Islamkolleg. Der Kurs orientiert sich an den fachlichen Standards der christlichen Seelsorgeausbildung. "Wir ergänzen uns sehr gut", sagt Schäfer. "Herr Kellner ist inhaltlich vom Islam von hoher Kenntnis und kann sehr intuitiv und sehr gut mit Menschen und Menschengruppen umgehen."
Die islamisch-theologischen Grundlagen seien zwar wichtig, so Martin Kellner und Lothar Schäfer, zurzeit jedoch würden sie bei ihrer Arbeit noch keine große Rolle spielen. Das würde sich aber gegen Ende der Ausbildung ändern: "Weil die Seelsorge bestimmte transkulturelle, transreligiöse Konstanten hat", erklärt Kellner. "Wir müssen erst einmal lernen, uns mit Seelsorge-Situationen auseinanderzusetzen, die zunächst überhaupt nichts mit Religion zu tun haben. Die haben mit Kommunikationsprozessen, mit menschlichen Erfahrungen zu tun und so weiter."
Im Sommer beginnen die Praktika mit Supervision. Und ein Aufbaukurs ist im kommenden Jahr auch schon geplant, um Erfahrungen und Lernprozesse zu vertiefen.