Stand: 01.08.2019 17:19 Uhr

Muslime, der Islam und die Homosexualität

In Hamburg fand vor einigen Tagen die Parade des Christopher Street Days statt, eine bunte Demonstration, mit der die Teilnehmer auch auf die Situation von homosexuellen, transsexuellen und queeren Menschen weltweit aufmerksam machen wollen. In vielen islamisch geprägten Staaten droht Homosexuellen die Todesstrafe. Dabei gibt es im Koran kein Verbot von Homosexualität, sagt der Islamwissenschaftler Andreas Ismail Mohr in seinem Gastkommentar.

Ein Kommentar von Andreas Ismail Mohr

Andreas Ismail Mohr © Andreas Ismail Mohr
Andreas Ismail Mohr ist Islamwissenschaftler, Arabist und Lehrer. Er bekennt sich seit nahezu 40 Jahren zum Islam und lebt heute in Berlin.

Wenn man einen traditionellen muslimischen Gelehrten fragt, wie der Koran und somit auch der Islam zur Homosexualität steht, wird er mit Sicherheit antworten, der Islam lehne diese als Sünde und Vergehen aufs Schärfste ab. Zur Begründung wird meist gesagt, der Koran nehme in der Geschichte vom Volk Lots eindeutig gegen die Homosexualität Stellung. Diese Ansicht kann man oft hören oder lesen. Das Zentrum des islamischen Glaubens ist die göttliche Offenbarung, gesprochen und aufgezeichnet in erster Linie im Koran, wenn es auch neben dieser Heiligen Schrift noch andere Quellen und grundlegende Überlieferungen gibt.

Vermeintliche Belege in der Lot-Geschichte

Die Geschichte von Lot (arabisch: Lût) und seinem Volk, die in etwa der biblischen Sodom-Erzählung im "Ersten Buch Mose" oder "Genesis" entspricht, wird im Koran in mehreren etwas unterschiedlichen Varianten erzählt (die wichtigsten Stellen sind Sure 7: Verse 80-84; 11:77-83; 15:58-77; 26:160-175; 27:54-58; 29:28-35; 54:33-39). In einigen dieser Koranpassagen wirft Lot, der Gottesgesandter und Warner ist, den Männern von Sodom unter anderem vor, die eigenen Ehegattinnen zu vernachlässigen und sich Männern begehrlich zu nähern - ein Vergehen, das keiner in der Welt zuvor begangen habe. Die Korankommentatoren erblicken somit in der Lot-Geschichte des Korans den Beleg dafür, dass homosexueller Geschlechtsverkehr zwischen Männern sündhaft sei und den Zorn Gottes auf sich ziehe.

Zwei Aufsätze von Andreas Ismail Mohr zum Thema, beide von 2007, finden Sie auf seiner Internetseite:

Im Korantext ist hier allerdings nicht explizit von Sex und schon gar nicht von Homosexualität die Rede; diese Begriffe kommen im Koran nicht vor. Sex wird höchstens angedeutet; die arabische Wendung "zu jemandem im Gelüst kommen" kann, sie muss aber nicht sexuelle Bedeutung haben. Die Anspielung auf homosexuelles Begehren und Tun wird Lot als rhetorische Frage und Vorwurf gegenüber den Männern des Volkes, das zu warnen er bestimmt ist, in den Mund gelegt. Es handelt sich um verheiratete Männer - die Ehefrauen werden ja ausdrücklich erwähnt. Und sie tun anscheinend etwas ganz Neues, "was keiner in der Welt je zuvor getan hat" (Sure 7:80; 29:28). Dies passt schlecht zu dem, was wir heute über Homosexualität wissen, die es ja immer und überall in der Menschheit gegeben hat. Das Vergehen der Leute von Sodom war, um es kurz zu machen, Ausschweifung, Vergewaltigung und Unterdrückung.

Keine Abhandlung über Homosexuelle

Die mythischen Geschichten im Koran (teils mit biblischem Hintergrund, wie in diesem Falle) sind in einer Art von gereimter Prosa vorgetragen (Qur'ân bedeutet 'Vortrag, Rezitation'), um bestimmte geistige Wahrheiten zu vermitteln. Immer geht es auch um Glauben und Unglauben. Der Koran selbst nennt sie ausdrücklich "Geschichten" und als solche muss man sie verstehen, nicht als "historische" Berichte, und - im Falle der Lotgeschichte - keinesfalls als geschichtliche oder moraltheologische Abhandlung über Homosexuelle. Die Texte erheben den Anspruch, Offenbarung Gottes zu sein, sie wollen gelesen und bedacht werden. Heutige Menschen lesen sie sicher anders und erblicken andere Aspekte darin, als die Alten es getan haben. Dies bedeutet jedoch keine Abkehr vom Koran als offenbarte Rede Gottes.

Ein schwules Paar beim Christopher Street Day in Hamburg © picture alliance / dpa
Es gibt kein Verbot von Homosexualität im Koran, sagt der Andreas Ismail Mohr.
Liebe und Partnerschaft im Koran

Wie sieht es mit Liebe und Partnerschaft im Koran aus? In der Sure 30, ar-Rûm, Vers 21 heißt es, dass Gott für die Menschen Partner oder Gatten geschaffen hat, bei denen sie Ruhe, Liebe und Barmherzigkeit finden. Der Koranvers ist so formuliert, dass - bei genauer Betrachtung der Grammatik - alle Personen männlich oder weiblich sein können. Das hier verwendete arabische Wort für "Partner" kann also Männer oder Frauen bezeichnen, es muss nicht notwendigerweise "Ehegattinnen" bedeuten, wie die deutschen Koranübersetzer üblicherweise schreiben. LGBTIQ-Muslime dürfen hierin eine grundsätzliche Anerkennung ihrer Liebe und Partnerschaft erkennen.

Zwei Männer gehen Hand in Hand auf der Straße © picture-alliance/dpa Foto: Winfried Rothermel
AUDIO: Islam und Homosexualität (5 Min)

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 02.08.2019 | 15:20 Uhr

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Homosexualität

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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