Koranverbrennungen: "Meine religiösen Gefühle sind nicht verletzt"
Einzelne Koranverbrennungen in Skandinavien, vor allem aber die Reaktionen darauf haben in diesem Sommer immer wieder aufhorchen lassen. Ein Kommentar des Theologen Junus el-Naggar.
In Schweden und Dänemark wurden in den vergangenen Monaten im Rahmen von offiziell genehmigtem Protest immer wieder Koran-Exemplare verbrannt. Ob mich das verletzt, wurde ich immer wieder gefragt. Weder will noch kann ich natürlich für die Muslim*innen in Deutschland sprechen, aber meine religiösen Gefühle sind nicht verletzt.
Mich besorgt das aktuelle Umfragehoch der AfD; dass ihre Positionen und ihre Provokationen hoffähig werden; dass politische Aufmerksamkeit in Deutschland auch außerhalb dieser Partei auf dem Rücken von Minderheiten - nicht nur Muslim*innen - generiert wird. Das sind Probleme, die mich beunruhigen. Wenn aber in Stockholm ein Koran-Exemplar verbrannt wird, zucke ich eher mit den Schultern.
Koranverbrennung kann keine nützlichen Debatten anstoßen
Den Koran halten Muslim*innen für Gottes Wort. Ein Großteil seiner Botschaft wird je nach Zeit und Ort unterschiedlich interpretiert. Gottes Wort selbst jedoch wird für unantastbar gehalten. Deswegen kümmert es mich kaum, wenn jemand dieses Buch missachtet oder verunstaltet. Was verbrannt wird, ist das Papier, es sind geschriebene Seiten; nicht jedoch der Koran, auch nicht dessen Botschaft oder dessen heterogene Interpretationen weltweit. In einer Verbrennung eines Koran-Exemplars erkenne ich keine Aussage über den Koran und schon gar nicht über den Islam.
Vielmehr liegen darin erstens Aussagen über den Täter und dessen Unfähigkeit, seriöse Diskurse zu führen. Bücherverbrennungen standen historisch kaum für Fortschritt und Diskurs, sondern eher für Zensur und Intoleranz. Die Nazis verbrannten 1933 Bücher unter anderem von Heinrich Heine, der mal anmerkte, dass dort, wo Bücher verbrannt werden, am Ende auch Menschen brennen würden. Nützliche Debatten kann eine Koranverbrennung nicht anstoßen.
Koranverbrenner schädigt nicht den Glauben
Zweitens lassen sich Koranverbrennungen in einem antimuslimischen Klima in Europa verorten. Die teils empörten Reaktionen zeigen vor allem die Verletztheit auf, die viele europäische Muslim*innen mit sich tragen, die Gefühle der Erniedrigung, der Marginalisierung und der Herabwürdigung. Eine der Wurzeln der Empörung über die Koranverbrennungen ist, dass vielen Muslim*innen noch immer das Gefühl vermittelt wird, nicht dazuzugehören. Wenn die Feindseligkeit sich in öffentlichen Koranverbrennungen dann derart offensichtlich offenbart, entlädt sich die im täglichen Leben anstauende Enttäuschung. Diese drohende Spaltung ist ein Problem, das uns alle betrifft.
Drittens glaube ich an das religiöse Konzept der individuellen Verantwortung vor Gott. Muslim*innen glauben, dass Gott die Taten der Menschen letztlich in seiner Allgerechtigkeit individuell bewerten wird. Er braucht dafür keine Menschen, die Botschaften stürmen oder Flaggen anzünden. Anknüpfend an dieses Konzept sollen Muslim*innen ihm dienen, zu ihm beten, spenden, fasten, pilgern, gütig zu den Eltern, Nachbarn und Reisenden sein. Diesen wunderbaren Glauben schädigt kein spätpubertär wirkender Koranverbrenner. Es gibt Institutionen, die über die Geschehnisse urteilen und das ist gut so. Ich selbst hingegen brauche weder zu urteilen noch zu rächen.
Den Täter*innen die Aufmerksamkeit verwehren
Die wütenden Proteste haben einen jahrhundertealten europäischen Diskurs reaktiviert, der Muslim*innen die Unfähigkeit zuschreibt, Kritik und Diskussionen über die eigene religiöse Lehre zuzulassen. Dass Koranverbrennungen oder vergleichbare Aktionen an der Grenze der Meinungsfreiheit auf derart überzogene, respektlose und destruktive Weise auch in Zukunft vorkommen werden, daran habe ich keinen Zweifel, wenngleich die dänische Regierung inzwischen einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der öffentliche Koranverbrennungen verbietet. Ich wünsche mir bloß, den Täter*innen dann die Aufmerksamkeit zu verwehren, nach der sie so sehr gieren und stattdessen gemeinsam einen Gang runterzuschalten.
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