Stand: 31.01.2019 13:56 Uhr

"Ist der islamische Kamerad weniger wert als der christliche?"

Von Michael Hollenbach

Rund 1.600 muslimische Soldatinnen und Soldaten arbeiten in der Bundeswehr. Aber im Gegensatz zu ihren christlichen Kameraden werden sie nicht von einem Militärgeistlichen betreut. Andere europäische Länder wie etwa Frankreich, sind da schon weiter. Dabei wird in Deutschland schon seit Jahren über muslimische Militärseelsorge diskutiert. Auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hat sich in dieser Woche wieder dafür eingesetzt, als er seinen Bericht vorgestellt hat. Doch getan hat sich bisher nur wenig.

Die Bundeswehr-Soldatin Nariman Reinke in ihrer Uniform. © dpa - Bildfunk Foto: Holger Hollemann
Nariman Hammouti Reinke arbeitet seit 2005 für die Bundeswehr. Sie engagiert sich für eine moderne Integrationspolitik in Deutschland.

Die Hannoveranerin Nariman Hammouti Reinke ist Muslimin. Und die Tochter marokkanischer Eltern ist Offizierin in der Bundeswehr. Die 39-Jährige ist derzeit stationiert bei den Marinefliegern auf dem Stützpunkt Nordholz bei Bremen. Zweimal war sie in Afghanistan im Einsatz. "Man kann den Einsatz sehen, wie man möchte, trotzdem haben Soldaten Anspruch auf Militärseelsorger. Aber bei muslimischen Soldaten wird das nicht gemacht", sagt Reinke. "Uns wird ein Psychologe zur Seite gestellt, aber der gibt mir nicht den geistlichen Beistand, den ich brauche."

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Detailaufnahme von Springerstiefeln von Bundeswehrsoldaten in einer Reihe stehend. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Ronald Wittek
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“Ist der islamische Kamerad weniger wert als der christliche?“

Ein Imam für muslimische Soldaten - das ist in Deutschland noch Zukunftsmusik. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hat sich nun wieder dafür eingesetzt. 4 Min

Bei ihrem letzten Afghanistaneinsatz ging es ihrem Vater sehr schlecht. Doch Nariman Hammouti Reinke saß wegen eines Sandsturmes fest, konnte nicht zu ihm: "In der Situation hätte ich mir einen muslimischen Seelsorger gewünscht, der mit mir betet, dass es meinem Vater besser geht, damit ich wieder in meine Mitte finde."

"Wir haben jetzt 2019 und es ist nichts passiert"

Bislang gibt es in der Bundeswehr keinen islamischen Militärseelsorger. Stattdessen die "Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen", also für jene Soldaten, die nicht christlich sind. Dort leitet ein Feldwebel die rund 120 Anfragen pro Jahr weiter und versucht im Bedarfsfall, den Anrufer an einen externen Ansprechpartner zu vermitteln - zum Beispiel an einen Imam vor Ort. Das ist Nariman Hammouti Reinke eindeutig zu wenig. Immerhin habe sich selbst Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schon 2015 für einen islamischen Militärseelsorger ausgesprochen. "Wir haben jetzt 2019 und es ist nichts passiert", meint die Offizierin. "Ist der islamische Kamerad weniger wert als der katholische oder evangelische?"

Das Cover des Buchs der Bundeswehr-Offizierin Nariman Reinke ist zu sehen. © Copyright beim Verlag
Im Rowohlt Verlag ist gerade ein Buch von Nariman Hammouti Reinke erschienen: "Ich diene Deutschland: Ein Plädoyer für die Bundeswehr - und warum sie sich ändern muss". Sie rechnet darin auch mit Vorurteilen ab.
Es fehlen muslimische Ansprechpartner und Imame

Auch Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, macht sich für islamische Militärseelsorger stark: "Der Bedarf ist da und er wächst stetig. Wir gehen von 1.600 Rekruten aus, das heißt, rein rechtlich brauchen wir auch Seelsorger." Denn für jeweils rund 1.500 Soldaten sei ein Seelsorger zuständig, erläutert Annette Freiin von Hoiningen. Sie ist im Verteidigungsministerium zuständig für die Militärseelsorge. Allerdings: "Das ist unser größtes Problem, dass wir, gerade was die Muslime angeht, ohne das Gegenüber da stehen." Es fehle islamischerseits an Organisationen und Ansprechpartnern, die insgesamt für die Muslime sprechen könnten. Und, so Annette Freiin von Hoiningen: "Wir haben keine ausgebildeten Imame, die uns zur Verfügung gestellt werden könnten als Personal, so wie es die katholische oder evangelische Kirche machen können." Und sie stellt klar, türkische Imame der DITIB würden jedenfalls keinen Zutritt zur Bundeswehr erhalten.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime hält den Hinweis auf die fehlenden Ansprechpartner für wenig stichhaltig. Aiman Mazyek verweist auf den islamischen Religionsunterricht, da habe man ähnliche Probleme, doch hier setze man auf Pilotprojekte, um schon einmal anfangen zu können. "Wenn es um die konkrete Umsetzung geht, erleben wir, dass da eine Zurückhaltung da ist. Ich finde, letztlich muss man bedarfsorientiert handeln und die Politik ist ja dafür da, dass sie gestaltet und nicht abwartet."

Islamische Militärseelsorge - bisher keine konkreten Verhandlungen

Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels präsentiert seinen Jahresbericht. © dpa - Bildfunk Foto: Rainer Jensen
Dr. Hans-Peter Bartels wurde 2015 zum zwölften Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ernannt und zuvor mit großer parlamentarischer Mehrheit in dieses Amt gewählt.

Annette Freiin von Hoiningen räumt ein, dass es bislang keine konkreten Verhandlungen gibt über die Etablierung einer islamischen Militärseelsorge. Das sei unverständlich, meint der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Hans-Peter Bartels fordert seit Jahren einen islamischen Militärseelsorger. In seinem jüngsten Jahresbericht, der am Dienstag vorgestellt wurde, schreibt  er:

Wenn die Bundeswehr es nicht schafft, eine solche Soldatenbetreuung anzubieten, muss sich niemand wundern, wenn Betroffene eigene, gegebenenfalls extrem-fundamentalistische Lösungen suchen. Die Bundeswehr würde sich einer berechtigten und durch bundeswehreigene Fortbildungen sinnvollen Steuerungsmöglichkeit der Soldatenbetreuung selbst berauben.

"Ein Seelsorger ist gerade in dramatischen Situationen enorm wichtig"

Auch Nariman Hammouti Reinke wird langsam ungeduldig. Für die 39-jährige Berufsoffizierin ist ein Seelsorger gerade in dramatischen Situationen enorm wichtig: "Wenn ich im Einsatz in Afghanistan gefallen wäre, würden dann mein Chef und mein Spieß mit einem Psychologen zu meinen Eltern gehen, die auch religiös sind, ihnen die Todesnachricht überbringen. Man braucht in diesem Fall geistlichen Beistand."

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 01.02.2019 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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