Sendedatum: 02.02.2018 15:20 Uhr

Evolutionstheorie: Mit dem Koran unvereinbar?

von Michael Hollenbach

Hat Gott den Menschen erschaffen oder stammt der Mensch vom Affen ab? Nicht nur in den USA, auch in der Türkei ist die Antwort gar nicht so eindeutig. Denn auch 160 Jahre nachdem Charles Darwin seine Evolutionstheorie erstmals veröffentlichte, tut sich die Mehrheit der Muslime damit schwer - auch hierzulande.

So sieht das All aus: Nebel, Galaxien, Planeten. © NASA / Brian Dunbar Foto: NASA
Wer erschuf die Welt? Im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Tradition kennt der Koran keine zusammenhängende Schöpfungsgeschichte.

"Heute ist der allergrößte Teil der muslimischen Gelehrsamkeit der Auffassung, dass die Evolutionstheorie so nicht stimme und es gibt viele Übernahmen aus dem amerikanischen Kreationismus, dem 'intelligent design'", sagt der Religionswissenschaftler Michael Blume. Dieser Kreationismus christlicher Fundamentalisten versucht, unbestreitbare Fakten der Evolutionslehre irgendwie in den Schöpfungsglauben zu integrieren. Wobei es der Islam eigentlich leichter hat als das Christentum, so Blume. Schöpfungsmythos und Evolutionstheorie seien im Islam besser zu vereinbaren, denn der Koran kennt - im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Tradition - keine zusammenhängende Schöpfungsgeschichte: "Die Schöpfungslehre im Koran ist weniger spezifisch als in der Bibel. Da wird gesagt, dass der Mensch in Stufen geschaffen wurde oder dass er aus einem Tropfen Blut geformt sei."

Für viele Muslime ein Tabu

Charles Darwin
1858 veröffentlichte Charles Darwin seine bahnbrechenden Theorien über die Evolution.

Hinweise zur Schöpfungslehre tauchen im Koran in ganz verschiedenen Suren auf. Doch in den vergangenen Jahrhunderten hat sich in der islamischen Welt eine breite Ablehnung gegen die Aufklärung und damit auch gegen die Evolutionstheorie etablieren können, sagt Blume: "Es bedeutet, wenn Sie sich in der islamischen Welt für die Evolutionstheorie einsetzen, dass Sie sich dem Verdacht aussetzen, Sie seien ein heimlicher Atheist. Jeder islamische Gelehrte, der sich dazu äußert, läuft Gefahr, unter die Räder zu geraten, und deshalb kann man über diese Themen in der islamischen Welt kaum frei diskutieren."

Keine Evolutionslehre mehr an türkischen Schulen

In der Türkei wurde die Evolutionstheorie im vergangenen Jahr sogar aus den Lehrplänen aller Schulen gestrichen. Und auch in der muslimischen Community in Deutschland ist das Misstrauen gegenüber der Evolutionslehre weit verbreitet, weiß Engin Deniz Yorulmaz: "Da überwiegt wirklich die Schöpfungsgeschichte, was eben mit der allgemeinen Bildung in der Türkei zu tun hat. Also in Deutschland leben ja Menschen, die sowohl hier sozialisiert wurden, als auch diejenigen, die ihre Bildung in der Türkei genossen haben. Und da ist es klar, dass die Schöpfungsgeschichte auf jeden Fall überwiegt."

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Fast alle Wissenschaftler unterstützen die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Dennoch: Nicht nur christliche Fundamentalisten lehnen die Evolutionslehre ab, sondern auch viele Muslime. 4 Min

Engin Deniz Yorulmaz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung. Er weist darauf hin, dass hierzulande in den Koranschulen der Moscheegemeinden und selbst im sogenannten türkischen Konsulatsunterricht in deutschen Schulen die Kinder und Jugendlichen nur etwas über die Schöpfungslehre des Koran erfahren würden. Dieser Unterricht durch türkische Lehrer wird auch in Schleswig-Holstein und Hamburg erteilt. "Der muttersprachliche Unterricht soll dazu dienen", so Yorulmaz, "dass die Kinder, die hier aufwachsen, die Muttersprache lernen, aber es war eher ein religiös-nationalistisch ausgerichteter Unterricht. Es ist so, dass diese religiöse Ausrichtung sehr präsent war in den Schulen in Deutschland." Das soll sich demnächst ändern.

Große Herausforderung für Studierende

Große Hoffnung setzt die deutsche Politik auf die Ausbildung der künftigen islamischen Religionslehrer. Die Studierenden, die meist aus traditionellen Familien stammen, erfahren an den Universitäten oft erstmals eine kritische Auseinandersetzung mit dem Koran. Doch noch empfinden viele Studierende den Bruch zwischen der Schöpfungslehre, die den Menschen als von Gott erschaffen begreift, und der Evolutionstheorie, für die der Mensch ein Zufallsprodukt der Entwicklung ist, als große Herausforderung. Und sie bräuchten dafür mehr Unterstützung, meint der Student Enez. Er studiert Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück: "Da ist die Islamische Theologie noch ausbaufähig, wo die Evolutionstheorie auch kommentiert werden müsste, woran man noch arbeiten könnte."

Auch der Religionswissenschaftler Michael Blume setzt auf den Ausbau der Islamischen Theologie an den Universitäten. Für die Zukunft des Islam sei es entscheidend, den Sprung in die Moderne zu vollziehen: "Natürlich haben Sie im Volksislam die gleichen Verschwörungsmythen gegen Evolutionstheorien, aber Sie haben einen großen Teil im stillen Rückzug, die kein Problem mit der Evolutionstheorie haben. Und Sie haben einen kleinen Teil theologisch Gebildeter, die tatsächlich auch den Islam und die Evolutionstheorie miteinander vereinbaren."

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 02.02.2018 | 15:20 Uhr

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