Ein Jahr nach dem Putschversuch: Exil im Norden
Vor einem Jahr, am 15. Juli 2016, wurde der Putsch gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan vereitelt. Während die türkische Regierung in dieser Woche den Jahrestag als ein Fest der Demokratie groß feiert, geht die Verhaftungswelle weiter. Viele Regierungskritiker haben das Land bereits verlassen. Allein in Deutschland stellten rund 8.000 türkische Bürger einen Antrag auf Asyl.
Von Brigitte Lehnhoff
Treffpunkt mit Cetin Gürer ist ein Café auf dem Gelände der Universität Bremen. Vor gut einem Jahr ist der Politikwissenschaftler nach Deutschland eingereist. "Weil ich in der Türkei eine Friedenspetition unterschrieben hatte, ist mir dann gekündigt worden, beziehungsweise ich hab meine Stelle an einer privaten Universität in Istanbul verloren", erklärt er. 2.200 Wissenschaftler hätten die Petition gegen den Krieg in kurdischen Gebieten unterschrieben. Viele habe das den Job gekostet, schon vor dem Putschversuch, betont Gürer. Der 40-Jährige ist nun Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung. "Ich mache gerade an der Uni Bremen meine Forschung über die Minderheiten, über die Rechte von Minderheiten, im Speziellen über die Staatsverträge mit den alevitischen Gemeinden hier in Deutschland", so Gürer.
"Wir versuchen, Teil der Bremer Kultur zu werden"
Die Stiftung finanziert gefährdeten Wissenschaftlern aus aller Welt für zwei Jahre ein Forschungsprojekt. Davon profitiert auch Betül Yarar. In Ankara war sie als Soziologieprofessorin tätig: "Ich war in Frankreich, zu einem Forschungssemester. Dort hörte ich von dem Putsch und entschied mich, nicht zurückzureisen. Später erfuhr ich, dass mir die Stelle an der Uni gekündigt worden war. Nun bin ich seit Februar an der Uni Bremen."
Beide Wissenschaftler wollen zurück in die Türkei, wenn dort wieder demokratische Verhältnisse herrschen, wie sie sagen. Solange sie aber in Bremen leben, suchen sie Kontakt zu Berufskollegen oder Landsleuten, die schon nach früheren Krisen aus der Türkei ausgewandert sind. Und: "Wir versuchen auch, Kontakt zu bekommen zu zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich mit Umweltschutz beschäftigen oder die sich in Solidaritätsnetzwerken organisieren", erzählt Yarar. "Wir versuchen, Teil der Bremer Kultur zu werden, der demokratischen Kultur."
Nicht nur Gülen-Anhänger unter den Geflohenen
Betül Yarar und Cetin Gürer wollen keinesfalls mit Gülen-Anhängern in einen Topf geworfen werden. "Die Gülen-Bewegung hat einen anderen politischen Background, es ist eine konservative, rechtsorientierte politische Bewegung", stellt Gürer klar. "Wir sind linksorientiert und wir haben eine andere Vision über die Welt, über die Gesellschaft, also politisch gesehen sind wir total unterschiedliche Leute."
Ahmet und Hasan hingegen, die ihre richtigen Namen nicht nennen möchten, bekennen sich zum Prediger Fethullah Gülen und dessen Hizmet-Bewegung, die auch in Deutschland umstritten ist. Als der muslimische Gelehrte zum Drahtzieher des Putschversuches erklärt wurde, mussten auch Hasan und Ahmet damit rechnen, verhaftet zu werden. Sie verließen die Türkei und leben nun seit sieben Monaten in Deutschland.
"Für die Verwandten bin ich als Terrorist abgestempelt"
Die Hizmet-Bewegung ist ein weltweites Netzwerk mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Beide hoffen daher, weiter als Lehrer arbeiten zu können. Kontakte zur türkischen Community in Deutschland pflegen sie mit Vorsicht, so Hasan: "Ich habe hier Verwandte, die lehnen mich aber ab. Für die bin ich als Terrorist abgestempelt. Ein Onkel zum Beispiel will keinen Kontakt mehr zu mir haben. Er sagt: Erdogan hat Recht. Und die 200.000 Verhafteten, das sind halt Terroristen."
Konservative Deutsch-Türken, so Ahmet, seien oft politisch radikaler als viele AKP-Anhänger in der Türkei. Unverständlich findet er die abwartende Haltung vieler europäischer Staatschefs gegenüber der Erdogan-Regierung: "Ich danke aber der deutschen Abgeordneten, die vor ein paar Tagen im Europa-Parlament endlich mal die Hizmet-Bewegung angesprochen hat und dass nichts unternommen wird gegen das, was da vor sich geht in der Türkei."
Fazit ein Jahr nach dem Putschversuch: Die Spaltung der türkischen Gesellschaft durchzieht so tief wie nie auch die türkische Community in Deutschland.