Stand: 03.12.2015 15:56 Uhr

Die Musik der Dinge sichtbar machen

von Stefanie Groth

Noch mitten im Studium an der Universität der Schönen Künste in Damaskus, avancierte Abdulhamid Abdalla schon mit 23 zum gefragten Künstler. Seine Ausstellungen brachten ihn bis in die USA, nach England und Deutschland. Dort erreichte ihn im Jahr 2003 ein Anruf seiner Eltern. Sie flehten ihn an, dass er nicht nach Syrien zurückkehren solle. Seitdem lebt und arbeitet Abdalla als Künstler in Hamburg. Hier holt ihn heute seine Heimat wieder ein.

Im Atelier von Abdulhamid Abdalla betritt man eine kleine Oase der Ruhe. Und das, obwohl das Atelier direkt am vierspurigen Berliner Tordamm in Hamburg-St. Georg liegt. Ein kleiner Raum voll mit Gemälden, Zeichnungen und Metallskulpturen. Überall stehen große Leinwände, bemalt und unbemalt. Eine Sitzecke mit Kissen, auf dem Boden eine Palette mit angemischten Farben. Sonnenlicht durchflutet den Raum. Abdalla steht am Fenster zum Hinterhof und dreht sich eine filterlose Zigarette.

Wenn er mit dem Malen beginne, sagt er, sei es, als werde ein Gatter geöffnet und die darin eingepferchten Pferde galoppierten hinaus in die Freiheit. Ein kraftvolles Bild. Eine Erinnerung. "Das kommt aus meiner Kindheit, wo ich in einem Dorf gelebt habe, ganz klein, Al-Hasaka, in Syrien. Jeden Sommer haben wir die Häuser im Dorf erneuert mit Lehm, mit Stroh, und immer sollten wir als Kinder viel arbeiten. Bevor die Sonne rauskam, waren wir im Feld, um zu arbeiten. Und die Natur hat mir viel Kraft gegeben", sagt er.

Abdalla zieht an der Zigarette und setzt fort: "Ich plane nie, was ich male. Meine Finger suchen sich alleine ihre Ziele und die Farben laufen auf die Fläche." Von der Natur inspirierte Formen und Farben, erdige Töne, hier und da von einzelnen Farbtupfern unterbrochen. In die Farben gemischtes Stroh und Sand, die der Bildoberfläche eine lebhafte Struktur geben. Die Erinnerungen an seine Kindheit in den wüstenähnlichen Landschaften im Nordosten Syriens, prägen seine Malerei bis heute.

Der Klang der Bilder

Abdalla wächst mit vierzehn Geschwistern auf. Kein leichtes Leben, nur Arbeit, dann Schule. Eine Kindheit ohne Kindheit, sagt er. Al-Hasaka, im Nordosten Syriens, 80 Kilometer südlich der türkischen Grenze gelegen, ist eine Minderheitenregion. Hier leben hauptsächlich Aramäer, Kurden und Armenier. Abdallas Großvater entkam als Siebenjähriger dem Völkermord an den Armeniern in der Türkei, floh nach Syrien, wo ihn eine kurdische Familie adoptierte. Später heiratete er eine kurdische Muslima. Abdalla schätzt die vielfältigen Wurzeln seiner Familie: "Ich bin Araber, Kurde, Armenier, und für mich bedeutet Religion nicht Glaube, sondern Philosophie. Früher haben die Menschen eine Religion gebraucht, aber im Moment brauchen die Menschen keine Religion, sie brauchen Bildung."

Es ist die Arbeit mit den Händen und Naturmaterialien, die ihn fasziniert. Er versuche die "Musik der Dinge" sichtbar zu machen: "Ich erinnere mich an den Klang und die Melodie der Bilder, die in mir darauf warten, gemalt zu werden", beschreibt er seine Arbeiten. Schon als kleiner Junge verbringt Abdalla mehr Zeit mit Malen, als den Eltern lieb ist. Geht, entgegen dem Wunsch der Familie Anwalt zu werden, mit Anfang 20 nach Damaskus, um Kunst zu studieren. Es sind wilde Jahre in der großen pulsierenden Hauptstadt. Mit vielen Partys, vielen Frauen auch, und viel Erfolg.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 04.12.2015 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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