"Parallele Mütter": Almodóvar blickt tief in die spanische Seele
In den Filmen des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar geht es schon immer um Frauen- und Mütterschicksale. Neu ist in "Parallele Mütter" die Verbindung aus emotionalem und dezidiert politischem Drama.
Bei der Preisverleihung der Oscars ging die spanische Schauspielerin Penélope Cruz leer aus. Sie ar für ihre Hauptrolle im Film als beste Hauptdarstellerin für einen Oscar nomimiert.
Auf den ersten Blick hat die Rahmenhandlung mit der eigentlichen Geschichte wenig zu tun. Da bittet die Fotografin Janis, gespielt von Penélope Cruz, bei Porträtaufnahmen den forensischen Archäologen Arturo um Hilfe in einer Familienangelegenheit. Ihr Urgroßvater liegt als Opfer des Franco-Faschismus in einem der vielen, bisher ungeöffneten Massengräber Spaniens. Ob er ihr nicht helfen könne, eine Freilegung zu beantragen. Das kann er.
Arturo: "Die Stiftung hat zugesagt, Euer Grab zu öffnen. Diesen Sommer, im Juli."
Janis: "Ihr habt vor, unser Grab zu öffnen?"
Arturo: "Ich leite die Exhumierung."
Filmszene aus "Parallele Mütter"
Dieser Einstieg in den Film ist hochpolitisch, weil Almodóvar hier ganz eindeutig eine Aufarbeitung der Vergangenheit anmahnt, die in Spanien allzu lang unter den Teppich gekehrt wurde. Und dann wird es plötzlich sehr privat. Janis wird von einer Affäre mit dem verheirateten Archäologen schwanger. Sie freut sich auf das Kind, auch wenn sie alleinerziehend sein wird und lernt in der Klinik kurz vor der Entbindung die 17-jährige Ana kennen. Es sind zwei werdende Mütter, die Schwangerschaft und Geburt extrem unterschiedlich erleben.
Janis: "Bei mir war es ein Unfall, aber ich bin so glücklich!"
Ana: "Bei mir war es auch ein Unfall."
Janis: "Ich bereue es überhaupt nicht!"
Ana: "Ich schon."
Janis: "Du Arme! Sag nicht sowas. Du bist nicht allein, oder?"
Ana: "Nein, ich wohn' bei meiner Mutter."
Janis: "Sehr gut."
Ana: "Aber sie hat sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt."
Janis: "Das wird schon noch."
Filmszene aus "Parallele Mütter"
Tatsächlich ist Anas Mutter so sehr mit ihrer Karriere als Schauspielerin beschäftigt, dass sie ihren Fürsorge-Part zu Hause nur schlecht erfüllt. Der Fokus des Films liegt zunächst aber auf Janis, die in ihrer Mutterrolle voll aufgeht. Allerdings erkennt sie sich und ihre Gene nicht so recht wieder in diesem kleinen Mädchen. Es schleicht sich bei Janis ein ungeheuerlicher Gedanke ein. Ist das Kind vielleicht gar nicht ihres? Auch der Erzeuger distanziert sich. "Sie ist ein dunkler Typ so wie Du.", sagt Arturo. "Ich glaub, das Kind ist nicht von mir."
Penélope Cruz ist für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert
Aus dem Gentest, der Gewissheit bringen soll, entwickelt Almodóvar eine Reihe melodramatischer Wendungen, die in ihrer Schicksalhaftigkeit schon etwas überkonstruiert wirken. Aber Penélope Cruz, die für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert ist, und die Newcomerin Milena Smit gehen in ihren Figuren so auf, dass man ihnen letztlich alles glaubt. Almodóvar führt seine "parallelen Mütter" Janis und Ana wieder zusammen zu einer dieser weiblichen Solidargemeinschaften, die er in seinen Filmen oft feiert.
Pedro Almodóvars Drama "Parallele Mütter" ist emotional und politisch
Was aber hat nun das Drama um Mutterschaft mit der Exhumierung des Urgroßvaters zu tun? Das übergreifende Thema sei Identität, erklärt der Regisseur. "Man möchte wissen, wer man ist, wer die Vorfahren waren und wer die Nachkommen sind.", so Almodóvar. "Und da gibt es einen Widerspruch im Charakter von Janis. Während sie auf der einen Seite so vehement nach ihrem ermordeten Urgroßvater sucht, lebt sie im Bezug auf ihr eigenes Kind eine Lüge. Der Film dreht sich um dieses moralische Dilemma und um das historische Gedächtnis Spaniens."
Die Verbindung aus emotionalem und dezidiert politischem Drama ist neu bei Pedro Almodóvar und macht "Parallele Mütter" doppelt sehenswert.
"Madres Paralelas": Zu unbequem für das spanische Publikum?
Im Ausland gefeiert, hat das spanische Publikum "Madres Paralelas - Parallele Mütter" eher verhalten aufgenommen. Den Grund dafür schien Regisseur Almodóvar bereits rund um den Filmstart in Spanien geahnt zu haben. In einem Interview mit der Zeitung "El Diario" sagte er damals, er halte es für gut, wenn eine Gesellschaft zurückschaue. Die UN-Berichterstatter, die 2013/14 nach Spanien kamen, waren sehr überrascht eine - sie drückten es sehr euphemistisch aus - hölzerne Gesellschaft vorzufinden. Damit meinten sie vermutlich das schlechte Verhältnis der Spanier zu ihrer Vergangenheit.
"Parallele Mütter" behandelt auch die Ermordung von mehr als 100.000 Menschen, die während des spanischen Bürgerkrieges und in den Jahren nach Francos Sieg 1939 von seinen Falangisten ermordet und brutal unterdrückt wurden. Gewerkschafter und Landarbeiter, aber auch alle potenziellen Oppositionellen. Exhumierungen - wie die, um die sich Janis in dem Film bemüht - finden bis heute an unterschiedlichen Orten in Spanien statt. Überall wollen Menschen nach den Gebeinen ihrer Groß- oder Urgroßväter, Großonkel oder anderer Verwandten suchen.
Es fehlt an Bildung und Aufklärung zur Bewältigung der Franco-Vergangenheit
Maßgeblich vorangetrieben werden diese Exhumierungen von der Bürgerinitiative "Vereinigung zum Wiedererlangen des historischen Gedächtnisses". Das mangelnde breite gesellschaftliche Interesse an diesem Aspekt der spanischen Geschichte erklärt deren Mitbegründer Emilio Silva unter anderem damit, dass keine Regierung seit dem Tod des Diktators Franco im Jahr 1975 eine vernünftige Bildungspolitik oder Aufklärungskampagne zu diesem Thema gemacht habe. Die amtierende Regierung will das mit einem neuen Gesetz ändern. Mit ihm würden zum Beispiel die Militärgerichte des Franco-Regimes als illegitim und ihre Urteile für nichtig erklärt. Das wäre ein Schritt in Richtung der öffentlichen Anerkennung und Rehabilitierung der Opfer.
Mit Blick auf Spaniens jüngere Generation erkennt Regisseur Pedro Almodóvar an, speziell die jungen Leute hätten andere Sorgen, wie: "Die Umwelt, den Klimawandel, ihre Geschlechtsidentität. Dinge, die ihre Zukunft unmittelbar betreffen, etwa was für einen Job sie machen werden, sind für sie wichtig. Aber sie sollten auch zurückblicken und sich damit auseinandersetzen, in was für einem Land ihre Väter, Großväter und Urgroßväter gelebt haben."
Daraus könnten sie viel über das heutige Spanien lernen, denn viele der heutigen Institutionen seien als Antwort auf diese Vergangenheit entstanden. Nach dem mäßigen Erfolg in spanischen Kinos, hat der von Kritikern im Land hochgelobte Film nun eine zweite Chance in Spanien: Er läuft beim Streamingdienst Netflix.
"Parallele Mütter"
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2020
- Produktionsland:
- Spanien
- Zusatzinfo:
- Originaltitel: "Madres Paralelas" Mit Penélope Cruz, Milena Smit, Rossy de Palma und Israel Elejalde
- Regie:
- Pedro Almodóvar
- Länge:
- 120 Minuten
- FSK:
- ab 6 Jahre
- Kinostart:
- ab 10. März
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