Preisträger bei den 10. Privattheatertagen in den Hamburger Kammerspielen © Hamburger Privattheatertage

Privattheatertage in Hamburg enden mit glanzvoller Gala

Stand: 04.07.2022 16:37 Uhr

Mit einer glanzvollen Gala und der Verleihung der Monica Bleibtreu Preise sind die 10. Hamburger Privattheatertage zu Ende gegangen. Das Festival hat einen Rekord an Bewerbungen und ein Rekordtief an Besuchern zu verzeichnen.

von Peter Helling

Extra 3-Moderator Christian Ehring führt durch den Abend. Seine politischen Anspielungen auf kleine und große Dramen der Gegenwart ziehen elegant und bissig einen roten Faden zwischen dem Theater auf den Bühnen und dem großen Welt-Theater. Ob das Leben "die besten Geschichten" schreibe, wie es heißt, daran habe er seine Zweifel. Da müsse doch immer noch ein menschlicher Geist "drüber schauen", wenn man sich etwa die imperialistischen Gelüste Wladimir Putins ansehe. Eine gute Geschichte sei es allerdings, dass ein ehemaliger Komiker ein guter Präsident würde, wie Wolodymyr Selenskyj.

Statt Netflix-Serien auf der Couch zu gucken, wirbt Christian Ehring eindringlich für das Live-Erlebnis Theater, für die vielfältigen Geschichten aus den kleinen, großen, den schrägen, den volkstümlichen privaten Bühnen der Republik. Passend dazu singt Annette Louisan Chansons vom Wert des Kleinseins in ihren so charakteristischen brüchigen und zarten Liedern, die sofort ans Herz gehen: Natürlich darf auch ihr größter Hit "Ich will doch nur spielen" nicht fehlen.

Michael A. Grimm Gewinner in der Kategorie "Komödie"

Michael A. Grimm Gewinner in der Kategorie "Komödie" posiert bei den 10. Privattheatertagen © Hamburger Privattheatertage
Michael A. Grimm gewinnt in der Kategorie "Komödie".

Und diese Lust am Spielen zieht sich durch die zwölf Tage des Wettbewerbs: große Geschichten in oft kleiner Besetzung. Weniger die überragenden, innovativen Regie-Konzepte sind da zu sehen, als eher Gesichter, Körper, Schweißperlen auf der Stirn. Eindringliches psychologisches Schauspieltheater.

Einer der Gewinner ist Michael A. Grimm, vielen bekannt als Ermittler bei den "Rosenheim-Cops" und aus zahlreichen "Tatort"-Filmen. In einer Neuinszenierung von Patrick Süskinds "Der Kontrabass", einem schon in die Jahre gekommenen Stück, erzählt er etwas ganz Neues: die selbst gewählte Isolation eines Künstlers in seiner schalldichten Wohnung, als pralles Energiebündel. Eine Ode an die Kraft der Musik. Witzig, abgründig und verstörend. Besonders in Corona-Zeiten, wo freie Künstler und Künstlerinnen zuhause bleiben mussten. "Ich will doch nur spielen"? Lange ein Ding der Unmöglichkeit. Das Stück gewinnt zurecht in der Kategorie "Komödie".

Weitere Preise für "Altes Land" und "Der Sandmann"

Den Bestseller "Altes Land" von Dörte Hansen hat die Theaterei Herrlingen zu einem Stück der Verwandlung mit viel Frauenpower gemacht. Drei Schauspielerinnen stülpen sich wie im Flug Kostüme über und bringen norddeutsches Kolorit auf die Schwäbische Alb, dafür gibt es den Preis in der Kategorie Zeitgenössisches Drama.

Mit "Der Sandmann" nach E.T.A. Hoffmann hat die aus Italien stammende Regisseurin Luisa Guarro ein albtraumhaftes und fantasievolles Theaterstück gezaubert, das Wolfgang-Borchert-Theater aus Münster gewinnt damit in der Kategorie Moderner Klassiker.

Zukunft der Privattheatertage ungewiss

Axel Schneider und Moritz Bleibtreu posieren bei den 10. Privattheatertagen © Hamburger Privattheatertage
Festivalgründer, Intendant des Altonaer Theaters und der Hamburger Kammerspiele, Axel Schneider mit Moritz Bleibtreu

Ein "echtes" Drama sind nicht nur die geringen Auslastungszahlen des diesjährigen Festivals, was wohl eher am großen Welt-Theater liegt, weniger an der Qualität der eingeladenen Stücke. Dass aber über den 10. Privattheatertagen ein Schatten liegt, darauf weist Festivalgründer Axel Schneider, Intendant des Altonaer Theaters und der Hamburger Kammerspiele, hin, als er Rüdiger Kruse, dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten, einen Sonderpreis übergibt.

Der hatte sich stets mit Erfolg für die Finanzierung des Festivals durch den Bund eingesetzt. Unter der neuen Ampel-Regierung stehe diese aber noch aus. Die Privattheatertage sind in ihrer Jubiläumsausgabe vom Aus bedroht, warnt Axel Schneider.

Moritz Bleibtreu setzt Ausrufezeichen

Moritz Bleibtreu hält eine Rede bei den 10. Privattheatertagen © Hamburger Privattheatertage
Moritz Bleibtreu hält eine bewegende Rede bei den 10. Privattheatertagen

Dass ausgerechnet der Sohn der großen Schauspielerin Monica Bleibtreu, Moritz Bleibtreu, in lässigen Sneakern und Jeans, ein Ausrufezeichen setzt, passt gut. Vor einem überdimensionalen Foto seiner Mutter kämpft der bekannte Film- und Fernsehschauspieler sichtlich mit den Tränen, als er beschreibt, wie lange er gebraucht habe, sich mit der Arbeit seiner Mutter zu beschäftigen.

Kämpferisch klingt dann sein Versprechen, alles dafür tun zu wollen, damit die Privattheatertage gerettet werden. Er überreicht den Publikumspreis an ein Stück, das exemplarisch für die 10. Ausgabe des Festivals steht, an "Kitzeleien". Das Stück stammt von einer der jüngsten Bühnen des Landes, der 2018 gegründeten Kulturbühne Spagat in Münchens Norden.

Festival darf nicht sterben

Und "Kitzeleien" ist ein Text, den zunächst niemand spielen wollte, das autobiografische Werk der französischen Tänzerin André Bescond über Kindesmissbrauch. Der Mut für diese Deutsche Erstaufführung und das eindringliche Spiel Lucca Züchners werden von den Zuschauern und Zuschauerinnen belohnt.

Wenn der Spirit dieser glanzvollen und zeitgemäßen, berührenden und auch kämpferischen Gala einen Zweck hatte, dann war es der zu sagen: Dieses Schaufenster der einmalig vielfältigen Landschaft der privaten Bühnen des Landes darf nicht geschlossen werden. Denn die Monica Bleibtreu Preise haben sich längst zu einem Ausweis für Qualität in den zahlreichen Kommunen und Bundesländern gemausert. Dieses Festival darf nicht sterben, und die Preisverleihung hat das eindrucksvoll unterstrichen.

 

Weitere Informationen
Theatersitze © picture alliance / dpa Foto: Patrick Pleul

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 04.07.2022 | 14:20 Uhr

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Theater

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