"Die Ärztin" am Schauspiel Hannover: Kräftig gefeierte Premiere
Regisseur Stefan Pucher hat mit Robert Ickes Stück "Die Ärztin" in Hannover Premiere gefeiert. Besonders haben die Schauspieler Johanna Bantzer, Hajo Tuschy und Christine Grant überzeugt.
Die Geschichte beginnt unspektakulär. In einem Institut für Alzheimer-Kranke landet eine 14-Jährige, deren Leben nach einem verpfuschten Abtreibungsversuch nicht mehr zu retten ist. Einem herbeigeeilten Pfarrer verwehrt Institutschefin Prof. Ruth Wolff gewaltsam den Zugang zur Patientin.
Doch wer nun glaubt, die Rollen seien klar erkennbar, der irrt. Frau spielt Mann, eine weibliche Person of Color mimt einen männlichen Weißen. Regisseur Stefan Pucher erklärt: "Es gibt zum Beispiel eine Schauspielerin, Christine Grant, die spielt einen jungen Assistenzarzt. Dann guckt man sich die Schauspielerin an und interpretiert natürlich auch jede Geste. Man muss sich da immer wieder vor Augen führen: Ach nee, das ist ja gar keine Frau und sie ist auch gar nicht schwarz. Das ist ein Assistenzarzt. Insofern bringt es eigentlich ständig die eigenen Kategorien durcheinander, wie man selber Leute ansieht."
Aseptisch wirkende erste Hälfte
Doch damit nicht genug: Auch Kategorien, wie jüdisch und katholisch, lesbisch und heterosexuell spielen eine Rolle. Darf eine jüdische Institutsleiterin einem katholischen Priester den Zugang zu einer Sterbenskranken verweigern? Ist es legitim, dass sie sich als Frau und Hausherrin vehement gegen einen Mann und Eindringling wehrt? Und schließlich: Welche Art von Unterstützung benötigt ein Mensch am Ende seines Lebens? Die Öffentlichkeit hat eine klare Meinung: Der Kirchenmann ist im Recht, ein Shitstorm zieht auf.
Nach einer eher aseptisch wirkenden ersten Hälfte mit Menschen in grünen OP-Kitteln und einer Art Aquarium, in der das Institutspersonal wie eingeschlossen in einer Filterblase seine Lage diskutiert, wird es nach der Pause munter und bunt. Grün, lila und beige sind die Farben der Anzüge. Ihre Trägerinnen und Träger sind gegen Abtreibung, für die Erforschung der jüdischen Kultur oder mehr Rechte für People of Color.
Johanna Bantzer gibt eine starke Ärztin
Lustvoll wird um die Bedeutung von Klassismus und Rassismus gerungen. Ist es heute möglich, sich seine Identität selbst zu erschaffen? Interessiert hat Regisseur Stefan Pucher dabei auch die Sprache: "Das Stück ist vordergründig extrem realistisch geschrieben. Man denkt manchmal von den Texten her auch an so Krankenhausfilme oder -serien. Insofern hat das vom Schreiben her auch schon etwas Filmisches, also auch in den Dialogszenen. Und so steht die Musik hier eher in einem Kontext wie ein Filmsoundtrack."
Christine Grant wechselt mühelos von der Rolle des lakonisch-witzigen Transgender-Mädchens in die wutgeladene Person-of-Color. Hajo Tuschy überzeugt als konservativer Pfarrer sowie als wütig-ohnmächtiger Vater. Johanna Bantzer, die das Ensemble nach 10 Jahren am Schauspiel Hannover 2019 verließ, ist zurück und gibt eine starke Ärztin: kämpferisch, textstark und präsent - und wird am Ende der Vorstellung vom Publikum kräftig gefeiert. Ein Stück für alle, die noch einmal tief in das Thema Identitätspolitik eintauchen wollen.
"Die Ärztin" am Schauspiel Hannover: Kräftig gefeierte Premiere
Regisseur Stefan Pucher spielt in Robert Ickes Stück "Die Ärztin" in Hannover mit den Geschlechterwahrnehmungen.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
-
Schauspiel Hannover
Opernplatz 1
30159 Hannover