Das Cover des Buches "Nach vorn, nach Süden" von Sarah Jäger. © Rowohlt

"Nach vorn, nach Süden": Ein Roadtrip Richtung Süden

Stand: 14.10.2022 14:40 Uhr

In ihrem ersten Roman erzählt Sarah Jäger von einer Gruppe Jugendlicher, die ihre Tage auf dem Hinterhof eines Discounters verbringt und sich, als es unbedingt nötig erscheint, in ein großes Abenteuer stürzt.

von Katja Eßbach

Es gibt Bücher, mit denen möchte man befreundet sein und sie überall mithinnehmen. Ein solches Buch ist der Debütroman von Sarah Jäger "Nach vorn, nach Süden". Der Hinterhof des Penny-Marktes ist eine Zufluchtsstätte für die, die sonst nicht so richtig dazugehören. Für die, die als Aushilfen in dem Discounter arbeiten und den Rest des Tages nichts mit sich anzufangen wissen.

Manchmal denke ich, dass einige von uns nur beim Penny arbeiten, damit sie eine Ausrede haben, um auf dem Hinterhof abzuhängen. Wir Aushilfen verstecken uns acht oder zwölf Stunden in der Woche irgendwo zwischen Süßigkeitenregal und Pfandflaschenautomat, aber die meisten von uns hängen Vollzeit im Hinterhof ab. Leseprobe

Ein Roadmovie beginnt

Die Ich-Erzählerin heißt Lena, ist 19 Jahre alt und gerade dabei ihr Studium abzubrechen. Die vom Hinterhof, das sind Otto, Vika, Marie, Can, Marvin und Pavel, treffen sich jeden Tag und chillen. Sie trinken, grillen, labern. Der Hinterhof ist ihr zu Hause, die Leute sind ihre Familie. Aber einer fehlt jetzt und das ist Jo. Der war mal mit Marie zusammen und die hält es nicht mehr ohne ihn aus.

"Ich werde ihn suchen", sagt Marie. "Ich werde Jo suchen." Alle nicken, als hätten sie nur darauf gewartet, dass Marie diesen Satz ausspricht, als sei es nur eine Frage der Zeit gewesen. Auch ich nicke, dabei habe ich gar nicht darauf gewartet. Seit sechs Monaten ist Jo verschwunden. Er wurde nicht entführt, er wurde nicht verschleppt, er ist einfach abgehauen. Leseprobe

Da nur Lena ein Auto und einen Führerschein hat, macht sie sich zusammen mit Marie und Can auf die Suche nach Jo. Die einzige Spur, der sie folgen können, sind ein paar Postkarten, jede immer ein Stück weiter südlich abgestempelt. Ein Roadmovie beginnt. Möglicherweise ist "Nach vorn, nach Süden" eines dieser Jugendbücher, das Erwachsene fast noch mehr lieben, als die Zielgruppe selbst. Weil es so unverschämt wahrhaftig von Jugend erzählt, wie man es erst viel später versteht. Und zwar dann, wenn man selbst nicht mehr jung ist und auf diese Zeit wehmütig zurückblickt. Sarah Jäger findet dafür eine Sprache, die nie versucht, aktuellen Jugendslang zu kopieren und die zwischen schnoddriger Beiläufigkeit und Poesie schwankt.

Warten ist so eine Sache

Die Zeit dehnt sich, wir hängen nicht mehr ab, wir warten, und warten ist so eine Sache, man wartet ja nicht, weil das Warten an sich so toll ist, weil es so großen Spaß macht, noch nie habe ich in ein Freundschaftsbuch geschrieben "Lieblingshobby: Warten", sowieso habe ich nur in wenige Freundschaftsbücher geschrieben, aber zurück zum Warten, man wartet immer auf irgendetwas anderes, Warten ist die Lücke zwischen dem Jetzt und dem Anderen, und wenn man wartet, dann stellt sich früher oder später die Frage nach dem Sinn. Leseprobe

Das Beste aber sind die Protagonisten. Die Autorin schafft es, ihnen Leben einzuhauchen, sie werden für die Leser zu echten, nahbaren Menschen. Ach ja, und lustig ist das Ganze auch noch. Nicht irre komisch, sondern auf diese subtile Art, die nicht gleich klar ist, sondern die manchmal einen Moment braucht, bis sie zündet. "Nach vorn, nach Süden" ist ein sehr gelungenes, ein kraftvolles Debüt.

Nach vorn, nach Süden

von Sarah Jäger
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Jugendbuch
Zusatzinfo:
ab 14 Jahren
Verlag:
rororo rotfuchs
Bestellnummer:
978-3-499-00239-7
Preis:
18,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 02.05.2020 | 09:05 Uhr

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Jugendbücher

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