Angelique Kerber © IMAGO / Hasenkopf

Angelique Kerber: Mutterglück und keine Lust auf Tennis-Rentnerin

Stand: 27.11.2022 10:45 Uhr

Tennis-Profi Angelique Kerber macht Turnier-Pause. Im Frühjahr wird die 34-Jährige Mutter. Bei DAS! erzählt sie von Höhen und Tiefen ihrer Karriere, warum sie auch mit Kind zurück auf die Tour will - und was sicher nicht passieren wird.

von Andreas Bellinger

Sie lacht und strahlt so glücklich wie sonst nur nach ihren großen Siegen. Angelique Kerber geht es gut und das steht ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie redet viel über Tennis, aber die Pause vom Turnierstress genießt die dreifache Grand-Slam-Siegerin in vollen Zügen. Weihnachtszeit ohne tägliches Training für die neue Saison? Seit fast 20 Jahren undenkbar für die 34-Jährige - und doch "eine spannende Zeit", wie sie im NDR Fernsehen verrät. Im Frühjahr erwarten sie und ihr Partner Franco Bianco das erste Kind. "Ich freue mich auf das, was kommt", sagt sie und fügt genüsslich ein "aufregend" hinzu.

Keine Lust auf "Rampensau"

Ein neues, unbekanntes Leben wartet auf sie. Unvergleichlich mit all dem, was sie in ihrer professionellen Tennis-Karriere seit 2003 erlebt hat. Aber auch etwas, das für die Öffentlichkeit weitestgehend im Verborgenen bleiben soll, unsichtbar hinter ihrer strikten "roten Linie", die ihr Privatleben schützen soll. So hat sie es immer gehalten - und davon rückt die am 18. Januar 1988 in Bremen geborene Kerber auch in ihrer jüngst erschienenen Autobiografie "Eine Frage des Willens" keinen Millimeter ab. Sport ist Sport und Privates muss privat bleiben, ist ihre Maxime. "Das ist auch gut so", meint sie. Zur "Rampensau", wie es mitunter ihre einstige Fedcup-Kollegin Andrea Petkovic war, tauge sie nicht: "Ich brauche meine Ruhe."

Später Ruhm als Glücksfall

Norddeutsch nennt man diese Mentalität vielleicht. Auf jeden Fall charakterisiert sie die in Kiel aufgewachsene Kerber ziemlich treffend, die längst die meiste Zeit bei den Großeltern im polnischen Puszczykowo lebt, dort eine Tennis-Akademie betreibt und sich irgendwann auf ihr Comeback als tennisspielende Mutter vorbereiten will. Dass sie froh sei, ihren ersten Grand-Slam-Titel erst im Alter von 28 Jahren gefeiert zu haben, mag angesichts dieser Einstellung niemanden verwundern. Mit allerlei Fragezeichen, aber jeglicher Unterstützung der Eltern war sie peu à peu ins harte Tennis-Business eingestiegen, hat Höhen und Tiefen erlebt - und stand 2011 nach elf Erstrunden-Niederlagen kurz davor, endgültig das Racket in die Ecke zu feuern.

2016 platzt bei Kerber der Knoten

"Ich war eine von vielen und wollte die Beste sein", erzählt sie vom folgenden Sinneswandel. Es musste sich etwas ändern, beschloss sie, und legte im Training mehr als eine Schippe drauf. "Irgendwann habe ich gemerkt: Das reicht nicht, um dahin zu kommen, wo ich hin möchte.“ Von heute auf morgen klappte es natürlich nicht. Erst 2016 platzte der Knoten endgültig bei der nun erwachten Perfektionistin Angelique Kerber. Gleich zu Beginn des Jahres bei den Australian Open und - unterbrochen von der olympischen Silbermedaille in Rio de Janeiro - mit dem zweiten Major Titel am Ende der Grand-Slam-Saison bei den US Open in Flushing Meadows. Platz eins der Tennis-Weltrangliste, den sie insgesamt 34 Wochen innehatte, gab es als erste Deutsche nach Steffi Graf sozusagen als Draufgabe.

Kerber: "Der pure Wahnsinn"

"Wenn ich mir im Rückblick diesen Weg vergegenwärtige, von 2011 bis 2016, von der "Touristin", die auf gut Glück, aber erfolglos in die Stadt reiste, hin zu einer prägenden Figur innerhalb des schillernden New Yorker Kosmos, dann ist das einfach nur der pure Wahnsinn", heißt es in Kerbers Buch mit dem bezeichnenden Untertitel "Mein Weg nach oben". Denn die Achterbahnfahrt ihrer Karriere, die neben vielen Höhen und sagenhaften Begegnungen wie mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama auch bedrückende Talfahrten bot, führte sie im Jahr darauf sportlich und menschlich an den Rand der Verzweiflung.

"Beim Blick in den Spiegel schaute mir ein bleiches Gesicht entgegen, mit tiefen Furchen unter den Augen", so Kerber im Buch. Manchmal hatte ich den Eindruck, als würde mich das Tempo meines eigenen Lebens überholen." Der Respekt der Gegnerinnen wurde spürbar geringer und der öffentliche Erwartungsdruck schier unerträglich. Das "ständige Hoffen aufs Gewinnen, überlagert von der Angst zu verlieren", habe mehr und mehr Besitz von ihr ergriffen. "Das war früher nicht so."

Vom Druck, der krank macht

Halt fand Kerber in ihrem intakten Umfeld, aber sie wusste auch, dass es dringend an der Zeit war, etwas zu verändern. "Wenn ein Sportler nicht die entsprechenden Strategien im Umgang mit dem Stress hat, kann das sehr schnell krank machen", sagt Sportpsychologe Andreas Marlovits dem NDR. Beispiele gibt es viele: Ski-Star Lindsey Vonn, Turn-Olympiasiegerin Simone Biles oder Fußball-Nationalspieler Sebastian Deisler ("Mit der richtigen Freude spiele ich nicht mehr"). Sie haben ihre psychische Krankheit öffentlich gemacht. Kerbes Kollegin Naomi Osaka hat bei den French Open sogar die obligatorische Pressekonferenz verweigert, weil sie nervlich am Ende war und niemand Rücksicht darauf nehmen wollte.

Rigorose Trennung zwischen Beruf und Privatleben

"Ich bin manchmal sogar ein bisschen überrascht, dass so wenig passiert im Leistungssport, wenn man sieht, wie viel Druck auf den einzelnen Menschen lastet und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind", sagt Marlovits. Nach dem Tod von Robert Enke, der seine Depression geheim hielt und Suizid beging, half er den Teamkollegen von Hannover 96, das Drama zu verarbeiten. Kerber schaffte es offenbar ohne fremde Hilfe, sich nach einer Niederlage nicht tagelang elend zu fühlen. "In diesen Tagen begriff ich, wie wichtig es für meine weitere Entwicklung war, eine rigorose Trennung vorzunehmen: auf der einen Seite die Tennisspielerin, auf der anderen die private Person."

Kindheitstraum auf Heiligem Rasen von Wimbledon

Wimbledon-Siegerin 2018: Angelique Kerber © picture alliance / empics
Angelique Kerber 2018 in Wimbledon am Ziel ihrer Träume.

Es half - wie jeder weiß. Es half sogar so gut, dass 2018 auf dem Heiligen Rasen in Wimbledon der größte sportliche Erfolg und das Einlösen eines Kindheitstraums gelang. Wieder landete sie nach dem Matchball glückselig auf dem Rücken, als der Return der Gegnerin im Netz hängen geblieben war. Und wieder war es Serena Williams, die ihr die Trophäe überlassen musste. Jene Serena Williams, die lange als unbezwingbar galt - und nun auch zum Vorbild dafür taugt, wie es eine junge Mutter zurück in den Tennis-Zirkus schaffen kann.

Mit ihr, aber auch mit Kim Clijsters und Viktoria Asarenka habe sie sich schon ausgetauscht. Denn ans Aufhören denkt Kerber (noch) lange nicht. Nach ihrer Auszeit will die dann 35-Jährige abermals angreifen, getreu dem wohl gelittenen Motto "Höhen und Tiefen überwinden und immer stärker zurückkommen".

"Ich habe alles erreicht, wovon ich geträumt habe. Ich spiele nur noch Tennis, weil ich die Liebe für diesen Sport habe und diese Leidenschaft spüre. [...] Das ist etwas, das mir jetzt schon fehlt." Angelique Kerber

Kerber: "Werde eine rote Linie haben"

"Ich weiß nicht, wie sich das Leben verändern wird. Man braucht eine andere Routine und muss es anders organisieren", sagt sie und verschwendet nicht einen Gedanken an die Tennis-Rente. Wahrscheinlich werde die Umstellung ein bisschen Zeit brauchen. Eins aber weiß sie schon jetzt ganz gewiss: Ihren Nachwuchs zu den Matches und womöglich sogar in die Spieler-Loge mitzunehmen, komme nicht in Frage. "Ich denke, ich werde eine rote Linie haben und es sehr privat halten."

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DAS! | 26.11.2022 | 18:45 Uhr

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