Mourad Bounoua (l.) vom FC St. Pauli im Duell mit Braunschweigs Torsten Lieberknecht © imago sportfotodienst Foto: imago sportfotodienst

Marokko - Frankreich: Bounoua und die Frage, für wen das Herz mehr schlägt

Stand: 14.12.2022 10:00 Uhr

Das heutige WM-Halbfinale zwischen dem Sensationsteam Marokko und Titelverteidiger Frankreich elektrisiert Mourad Bounoua. Für den französisch-marokkanischen Ex-Profi des FC St. Pauli und von Hannover 96 ist das Duell eine hochemotionale Angelegenheit.

von Christian Görtzen

Wenn sich am Abend (20 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) im Al Bayt-Stadion von Katar Romain Saiss und Hugo Lloris, die Kapitäne Marokkos und Frankreichs, zum Münzwurf über die Seitenwahl gegenüberstehen, ist im 6.000 km entfernten Heidestädtchen Schneverdingen auf gleiche Weise eine überaus wichtige Entscheidung längst gefallen. Mourad und Jamal Bounoua werden zu dem Zeitpunkt der immensen Anspannung nachgegeben haben. Schließlich wollen die im Elsass aufgewachsenen Brüder marokkanischer Eltern früh wissen, wer was trägt an diesem historischen Abend - wer also das dunkelblaue Trikot mit dem gallischen Hahn überstreift und wer das rote mit dem fünfzackigen Stern auf der Brust.

Zahl oder König? Münze entscheidet über Trikot

Ausgeführt wird der Münzwurf von Schneverdingen mit einem Dirham, einem marokkanischen Geldstück, wie Mourad Bounoua, der ehemalige Fußballprofi von Hannover 96 und dem FC St. Pauli, verrät. Er sei ja im Besitz einer solchen Münze, die geradezu ideal für diesen Zweck sei. Und dann wird die Frage lauten: Zahl oder König? Ist auch dies festgelegt, wird der Dirham um sich selbst rotierend im Bogen durch die Luft flippen und nach dem Aufprallen auf den Boden das Ergebnis für den gemeinsamen Fernsehabend mit Verwandten und Freunden präsentieren. "Auf solch einen Abend muss man sich doch vorbereiten", sagt der 50 Jahre alte Mourad Bounoua im Telefongespräch mit dem NDR lachend.

Ein Lieblingsteam blieb früh auf der Strecke

Überhaupt hatten er und sein Bruder in den vergangenen Wochen viel Anlass zur Freude. Mit drei Lieblingsteams waren die beiden in die umstrittene WM im Wüstenstaat gegangen - und gleich zwei davon haben nicht nur das Halbfinale erreicht, sondern stehen sich in diesem sogar gegenüber. Womit ja schon mal ein emotionales WM-Finale gebucht sei, frohlocken sie.

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Nur das mit Deutschland, dem Land, in dem die beiden seit 30 Jahren leben, sei jetzt nicht so aufgegangen, räumen die beiden unisono ein. Da ist es schon besser, flugs den Blick auf Afrikas Stolz zu richten. Denn Marokko hat auch sie begeistert, verzaubert, sogar beinahe überwältigt.

"Ja, klar, das macht einen richtig stolz." Mourad Bounoua

"Sie spielen mit so viel Disziplin", schwärmt der zwei Jahre ältere Jamal, der anders als sein Bruder kein Profi geworden ist. Er kickte einst unter anderem für Arminia Hannover, den Goslarer SC und Eintracht Celle und ist heute Geschäftsführer von Senioreneinrichtungen. Mourad, der bei 13 norddeutschen Vereinen gespielt hat, ist bei seinem Bruder Einrichtungsleiter.

Auf das Abschneiden der "Löwen vom Atlas" werde er immer wieder angesprochen, sagt Mourad Bounoua: "Ja, klar, das macht einen richtig stolz." Dass Marokko als erstes afrikanisches Land ein WM-Halbfinale erreicht hat, sei das Ergebnis dessen, dass da ein "echtes Team auf dem Platz steht. Jeder ist für den anderen da. Und wenn man dann einen guten Tag hat, ist im Leben alles möglich."

Mourad Bounoua mit einem Länderspiel für Marokko

In seiner Karriere sei dieser perfekte Tag jener gewesen, an dem er für die marokkanische Nationalmannschaft nominiert wurde. Ein Länderspiel, 1998 gegen Bulgarien, bestritt er. Ein Leistenbruch trug erheblich dazu bei, dass es nicht mehr Einsätze wurden.

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Marokko hatte bei dieser WM schon fünf richtig gute Tage. Im Auftaktspiel gegen Kroatien gelang ein 0:0, dann folgten Siege gegen Belgien, Kanada, Spanien und Portugal. Und mit lediglich einem Gegentor (von Kanada) ging es ins Halbfinale. Das Ergebnis gegen Frankreich könnte so oder so in dem Mahgreb-Staat keinen negativen Einfluss auf die Bewertung des Teams haben. "Die sind dort jetzt schon Helden. Und dieses Abschneiden wird dem Fußball in Marokko einen richtigen Schub geben - es gibt da sehr viele talentierte Spieler. Ach, es ist dort für alle Bereiche des Lebens gut", sagt Mourad, der wie Jamal mehrmals versichert, dass ihre Herzen aber für beide Halbfinalisten schlügen.

"Löwen vom Atlas" mit vielleicht einmaliger Chance

Allerdings, und das wissen die Bounoua-Brüder natürlich nur allzu gut, ist da auf der einen Seite Frankreich, das schon jeweils zweimal Welt- und Europameister geworden ist und glänzende Perspektiven für weitere Triumphe in naher Zukunft hat. Und auf der anderen Seite steht da Marokko, das bislang erst ein einziges Mal Afrika-Meister (1976) wurde und dem sich in dem WM-Semifinale jetzt eine vielleicht einmalige Chance auf der größten Bühne des Fußballs bietet.

Und das soll keine Auswirkungen auf die Reaktionen der Brüder nach dem Münzwurf von Schneverdingen haben? Oder wird es nicht vielmehr so sein, dass der Marokko-Trikot-Träger ziemlich gute schauspielerische Fähigkeiten aufbieten muss, um die Freude darüber nicht zum Ausdruck zu bringen. "Ja", sagt Mourad Bounoua mit einem Lachen, "das könnte schon sein."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 2 Sport | 14.12.2022 | 23:03 Uhr

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