VIDEO: Fan-Proteste und Investorenpläne - wem gehört der Fußball? (86 Min)

"Am Ende verlieren alle": Fans unversöhnlich - DFL und Kind bleiben stur

Stand: 16.02.2024 16:59 Uhr

Die Fan-Proteste gehen weiter, immer mehr Clubs fordern eine neue Abstimmung - und die DFL bleibt stur, während Hannovers Profifußball-Boss Martin Kind Öl ins Feuer gießt. Fanforscher Harald Lange fordert in der NDR Info Redezeit Gesprächsbereitschaft und warnt: "Am Ende verlieren alle."

von Andreas Bellinger

Erst flogen Schokoladen-Goldtaler. Dann waren es Tennisbälle, die auf den Rasen geschleudert wurden. Im Hamburger Volksparkstadion mussten Metallschlösser mit dem Trennschleifer von Torpfosten gelöst werden - und sogar ein Gartenstuhl landete auf einem Spielfeld. Die Spirale der Fanproteste gegen die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und ihre Pläne, für rund eine Milliarde Euro einen Investor ins Boot zu holen, scheint noch lange nicht am Ende zu sein.

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Fan-Proteste © NDR Foto: NDR

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"Das Gegeneinander der Fans auf der einen und der Bosse der DFL auf der anderen Seite nimmt immer schärfere Konturen an", sagte Fanforscher Harald Lange von der Universität Würzburg in der NDR Info Redezeit - und fordert: "Jetzt ist Mediation gefragt, weil sonst alle verlieren."

Unversöhnliches Gegeneinander

Tatsächlich scheinen die Lager im professionellen Fußball so zerstritten zu sein wie nie zuvor. Die Fans fühlen sich nicht ernst genommen und fürchten den Ausverkauf ihres Sports. "In der DFL gibt es keinerlei Vision, keine Idee ist erkennbar - außer: Wir wollen mehr Geld", sagt Thomas Kessen, Pressesprecher der Fan-Vereinigung "Unsere Kurve".

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Das Angebot für ein lange überfälliges Gespräch von Seiten der DFL haben die Fans abgelehnt. Zu fadenscheinig erschien ihnen die Einladung, in der "kein Wort zur 50+1-Regel noch zu einer neuen Abstimmung stand, die definitiv nicht wieder geheim sein darf", so Kessen.

Neben den Anhängern fordern auch immer mehr Vereine genau das: eine neue Abstimmung - aktuell die Bundesligisten Stuttgart, Union Berlin, Köln und Mönchengladbach sowie Zweitligist FC St. Pauli.

DFL-Aufsichtsratschef Watzke signalisiert Entgegenkommen

DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke hat indes erstmals ein Entgegenkommen signalisiert. "Wir als Präsidium haben ein bindendes Abschluss-Mandat erteilt bekommen. Aber wenn wir das Gefühl haben, dass die Mehrheit das im März nicht mehr will, werden wir unser Votum sicher nicht gegen deren Willen geben", sagte Watzke.

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Ein Ball und das Logo der Deutschen Fußball Liga (DFL) © imago/MIS

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Zuvor hatte der Dachverband der 36 Clubs aus den Bundesligen die Wiederholung der Abstimmung über einen Investoren-Einstieg vom 11. Dezember 2023 stets lehntentschieden abgelehnt.

Kind trotzig: "Geheim ist geheim"

Die Abstimmung sei rechtskräftig, betonte DFL-Präsidiumsmitglied Axel Hellmann unlängst, und werde nicht wiederholt. Von den Protesten der Fans werde man sich nicht unter Druck setzen lassen, so der Vorstand von Eintracht Frankfurt. Auch Martin Kind sieht keinen Grund für ein neues Voting. Dem 79-Jährigen wird vorgeworfen, entgegen der Vorgabe des Muttervereins für das Investoren-Modell gestimmt zu haben.

Einen Beweis dafür gibt es nicht, weil die Abstimmung geheim war, und Kind jegliche Auskunft mit dem trotzigen Hinweis "geheim ist geheim" verweigert. Im Interview mit NDR Info betonte er am Donnerstagabend, dass alles "korrekt gelaufen" sei. "Wie ich gestimmt habe, das weiß nur ich. Alles andere ist Spekulation, und deshalb lehne ich eine Diskussion um dieses Thema ab."

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Martin Kind, Geschäftsführer von Hannover 96 © picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg
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Er halte es für unprofessionell, dass einige Clubs ihre Wahl öffentlich gemacht hätten, sagt Martin Kind im Interview auf NDR Info. Deshalb lehne er eine Diskussion über sein Votum ab. 7 Min

Aber warum schweigt Kind? Hat er sogenannten strategischen Vermarktungspartnern, von denen als Gegenwert für eine Beteiligung mit acht Prozent an den TV- und Marketingrechten in den nächsten 20 Jahren rund eine Milliarde Euro erwartet werden, zur notwendigen Zweidrittelmehrheit verholfen?

Fan-Sprecher Kessen über Kind: "An Hohn nicht zu überbieten"

Kind schweigt - eine Antwort allerdings bleibt er nicht schuldig. Wem der Fußball gehört, weiß der Unternehmer und langjährige Präsident, der über die Jahre rund 46 Millionen Euro in den Verein Hannover 96 gesteckt haben soll, nämlich ganz genau: "Der Fußball gehört entweder dem Verein oder den Eigentümern der Kapitalgesellschaft." Also auch ihm als deren Boss. Eine Sicht der Dinge, die Fanvertreter Kessen nach Fassung ringen lässt und Sportwissenschaftler Lange einigermaßen sprachlos macht.

"Das ist an Hohn nicht zu überbieten", sagt Kessen. "Es zeigt, mit welchem Selbstverständnis er da durchgeht. Wenn alles so richtig gelaufen ist, dann hat er sich doch bestimmt an die 50+1-Regel gehalten und nach der Anweisung seines Vereins gestimmt." Wohlwissend, dass Muttervereine wie der Hannoversche Sportverein 1896 e.V. weiterhin die letzte Entscheidungsgewalt behalten sollen, auch wenn der Profibereich in eine Kapitalgesellschaft wie die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ausgegliedert wurde.

Scharfe Kritik von Hannover 96 an der DFL

In Hannover wird darüber seit Jahren gestritten. "Dass wir im Verein unterschiedliche Bewertungen bezüglich 50+1 und Weisungen haben, ist hinlänglich bekannt", sagt Kind.

Hannover 96 e.V. hat unterdessen die DFL massiv kritisiert. Sie habe die Abstimmung "proaktiv" geheim durchgeführt und damit das Ergebnis begünstigt. "Das Präsidium der DFL wusste, dass die Abstimmung sehr knapp ausfallen würde. Es wurden unmittelbar vor der eigentlichen Abstimmung Probeabstimmungen durchgeführt. Im Ergebnis ordnete ein Mitglied des Präsidiums die geheime und somit intransparente Abstimmung an und ermöglichte somit Martin Kind, im gewünschten Interesse abstimmen zu können", heißt es in einer Mitteilung des eingetragenen Vereins.

DFL: Kartellamt-Ärger wegen 50+1

Passend dazu kam die Meldung, dass das Bundeskartellamt die 50+1-Regel nochmals überprüfen will. Nachdem das Verfahren als fast schon abgeschlossen galt, könnte es nach Informationen der Sportschau durch die geheime Abstimmung zum DFL-Investoreneinstieg eine neue Bewertung geben. Verbandsregeln müssten transparent, objektiv, präzise und nichtdiskriminierend gestaltet sein, so die Wettbewerbshüter. Deshalb müsse sich das auch in ihrer praktischen Anwendung zeigen.

Neuendorf: 50+1-Regel Garant für Akzeptanz

DFB-Präsident Bernd Neuendorf blickt jedenfalls mit Sorge auf die Debatte. Allein der Verdacht, es könnte in diesem Zusammenhang zu einem Verstoß gegen die 50+1-Regel gekommen sein, gefährde die Reputation des Fußballs in Deutschland, sagte er. Die Regel sei "die Garantie dafür, dass die Bundesliga nicht zu einem Spielball der Investoren wird. Sie ist für mich der Garant für die Akzeptanz unseres Sports in der Gesellschaft. Und das ist mehr wert als jeder noch so potente Geldgeber."

Radio-Hörer: Über Kind wundert sich niemand mehr

Was Kind sagt, so Fan- und Fußballforscher Lange, verdeutliche, warum es die Fan-Proteste gibt. "Er macht die DFL-Abstimmung zu seiner persönlichen Sache und nimmt sich auch das Recht heraus, es geheim zu halten. Obschon er weiß, dass er eine Weisung vom Verein hat. Darüber setzt er sich mal so eben hinweg. Und er gibt zu, dass der Fußball ihm gehört - als Chef der Kapitalgesellschaft." Was einen Hörer der NDR Redezeit wenig erstaunt: "Dass Martin Kind sich an die Spielregeln nicht hält, verwundert in Hannover niemanden mehr."

Fans: Blackstone-Absage ein Teil-Erfolg

Das könnte auch für die Absage eines möglichen Investors gelten. Während die DFL den Rückzieher des New Yorker Private-Equity-Unternehmens Blackstone partout nicht mit den Berichten über das zögerliche Verhalten der Bundesliga-Clubs und den Fan-Protesten in Verbindung bringen will, tat Kind im Gespräch mit dem NDR genau das Gegenteil. Zur Freude von "Unsere Kurve" und deren Sprecher Kessen: "Er hat bestätigt, dass sich Blackstone durch die Proteste zurückgezogen hat. Das werten wir als großen Teil-Erfolg." CVC ist somit der einzige verbliebene Kandidat. Aber macht es das einfacher?

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CVC als einziger Bewerber noch im Rennen

Bis zum April, wenn die Verhandlungen um die TV-Rechte beginnen, will die DFL den Investoren-Deal mit CVC unter Dach und Fach haben. Die Luxemburger sind eine der weltweit größten Kapitalbeteiligungsgesellschaften und halten jeweils zehn Prozent der Medienrechte an der spanischen La Liga und der französischen Ligue 1. Sie engagieren sich aber nicht nur im Fußball, sondern auch im Rugby, Volleyball und Cricket. 2023 wurde eine strategische Partnerschaft mit der Damentennis-Tour WTA geschlossen.

CVC besitzt zudem 60 Prozent des Wettanbieters und DFL-Partners Tipico; zu den institutionellen Anlegern gehört auch der saudische Staatsfonds PIF. Außerdem hat das Unternehmen im Jahr 2006 für etwa eine Milliarde US-Dollar einen Mehrheitsanteil an der Formel 1 gekauft und diesen Ende 2016 an Liberty Media für ein Vielfaches wieder veräußert.

"CVC will Rendite machen und Einfluss nehmen. Rote Linien sind leicht zu umgehen." Thomas Kessen, Pressesprecher "Unsere Kurve"

Was aber würde passieren, wenn CVC gleiches mit dem Engagement in der DFL machen würde? Wären Roten Linien beispielsweise bei der Gestaltung des Spielplans und der Spielorte dann immer noch unverrückbar? "CVC will Rendite machen und Einfluss nehmen", sagt Kessen. "Was ist zum Beispiel, wenn die Clubs plötzlich beschließen, wir wollen in Riad spielen? Dann wird eine Partie pro Spieltag in Saudi-Arabien stattfinden? Die Roten Linien sind leicht zu umgehen."

Muss Protest auch nerven?

Ist der Fußball noch zu retten, wenn keiner mehr weiß, wem er "gehört"? "Die Fans sagen zu Recht, dass ihnen der Fußball gehört; uns Fußballern aber auch", so 96-Trainer Stefan Leitl. "Deshalb sollten sie uns auch spielen lassen." Protest hin oder her. Ist frisches Geld für die 36 Bundesligavereine im internationalen Konkurrenzkampf nicht unabdingbar? Oder droht dem einstigen Volkssport der kommerzielle Ausverkauf, wie es die Fans fürchten?

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Hannovers Torwart Ron-Robert Zieler gestikuliert während des Spiels, weil Tennisbälle auf das Spielfeld geworfen werden. © picture alliance/dpa | Carmen Jaspersen

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"Wir alle wollen auch in Zukunft zu dem Fußball gehen, wie er jetzt ist", sagt Helen Breit von der Freiburger "Supporters Crew" und dem Fan-Netzwerk "Zukunft Profifußball". Protest müsse auch nerven, damit er einen Effekt hat. "Erst als längere Unterbrechungen waren, ist das Thema in der Öffentlichkeit angekommen und es wurde darüber berichtet", so Osnabrück-Fan Kessen, der sich selbst schon geärgert hat, dass er einen Zug verpasst hat, weil das Spiel länger gedauert hat. Aber letztlich werde nur der Zeitplan durcheinandergebracht - und niemand verletzt: "Einen friedlicheren Protest kann ich mir nicht vorstellen."

Fanforscher Lange: Wertebasis für die Zukunft des Fußballs

Wortmeldungen in der Redezeit lassen vermuten, dass sich manche Fußball-Anhänger auch genervt fühlen. Eine Studie der Uni Würzburg zeigt allerdings ein anderes Meinungsbild. Danach bekundet die Mehrheit Sympathie und Unterstützung für die Proteste der Fans. Möglich, dass sich diese Haltung durch die vielfältigen Probleme in jüngster Zeit (Montagspiele, Corona-Sonderrechte, Kommerzialisierung, Irrsinnsgehälter) sukzessive aufgebaut hat. "Seitdem kann man sehen, dass die Reihen auch jenseits der Vereinsfarben enger geworden sind", so Lange. "Und man vergewissert sich so ganz nebenbei einer Wertebasis im Hinblick auf eine Vision des Fußballs der Zukunft - das ist meine Interpretation."

Hansa-Boss Marien: "Transparent noch mal der Abstimmung stellen"

Der Wissenschaftler liefert damit eine interessante Erklärung, was die Fans wirklich umtreiben könnte: "Die Leidenschaft, vielleicht auch Romantik, wie man sich den Fußball auch auslegen kann." Dies sei eigentlich das "Tafelsilber der Bundesliga, ein Alleinstellungsmerkmal" und die DFL müsste es aufgreifen. Die Fans sollten "gleichberechtigt an den Tisch geholt werden" (Dortmunds Trainer Edin Terzić) statt sie auszugrenzen. Über eine neue Abstimmung müsse ernsthaft nachgedacht werden.

Mehrere Bundesliga-Clubs fordern dies längst. "Im Moment habe ich den Eindruck, dass die Spieler und Schiedsrichter das ausbaden müssen, was wir da oben nicht gebacken kriegen", sagte Hansa Rostocks Clubchef Robert Marien dem NDR. "Ich bin dafür, dass wir uns transparent der Abstimmung noch mal stellen und uns allen reinen Wein einschenken."

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Dieses Thema im Programm:

Redezeit | 15.02.2024 | 20:33 Uhr

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