HSV am Tiefpunkt: Was passiert mit Trainer Walter?

Stand: 11.02.2024 23:34 Uhr

Der HSV hat mit dem 3:4 gegen Hannover 96 einen neuen Tiefpunkt unter Coach Tim Walter erreicht. Die Hamburger bekommen ihre Defensive nicht in den Griff - und gefährden damit ihre Chancen im Aufstiegsrennen massiv. Einer Trainerdiskussion weicht Sportvorstand Jonas Boldt aber aus.

von Tobias Knaack

Walter hatte nach dem Sieg in Berlin am vergangenen Wochenende gesagt, eine Serie starten zu wollen. Und das Vorhaben nimmt Form an - nur überhaupt nicht in der vom Trainer gedachten Form. Denn das abermals konfuse 3:4 gegen Hannover 96 war die dritte Heim-Niederlage des HSV in Folge. Die Serie läuft. 

Die "Festung Volkspark" ist eine zugige Einzimmerwohnung

Zumal eine andere, die gemessen an den Aufstiegsambitionen des Clubs eine noch größere Tragweite hat, schon seit fünf Monaten läuft. Denn seit dem Übergang vom August in den September hat der HSV keine zwei Spiele mehr in Folge gewonnen. Das war in der Hinrunde gegen Hannover und Rostock. Es waren die Spieltage vier und fünf. Seither wechselten sich über weite Teile der Hinserie Heimsiege mit Pleiten und Unentschieden auf fremden Plätzen ab. 

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So betrachtet könnte man nach der neuerlichen Heim-Pleite sagen, der HSV hätte den Turnaround geschafft. Denn auswärts gab es zuletzt drei Siege in Folge. Das Problem: Eine Serie gestartet hat das Team dennoch nicht, denn zu Hause geht nichts mehr. Die "Festung Volkspark" ist keine mehr. Sie ist eine zugige Einzimmerwohnung, in der in aller Regelmäßigkeit Tag der offenen Tür ist - oder besser: Tag des offenen Tores. 1:2 gegen Paderborn, 3:4 gegen Karlsruhe, nun 3:4 gegen Hannover.

"Es ist schwer zu begreifen, wie uns nach Karlsruhe erneut so ein Spiel passiert." HSV-Stürmer Robert Glatzel

Zehn Gegentore in drei Heimspielen sprechen dem im Dezember formulierten Anspruch von mehr defensiver Stabilität Hohn. Eigentum kann der HSV im Volksparkstadion spätestens nach der Niederlage gegen die Niedersachsen nicht mehr anmelden. Denn dafür stellt die Mannschaft zu wenig Besitzansprüche, spielte 96 insbesondere in der ersten Hälfte zu dominant. Zu wenig für die Ansprüche der Walter-Elf.

Wie schon gegen den KSC ließen die Hamburger sich früh in der Partie übertölpeln. "Es ist schwer zu begreifen, wie uns nach Karlsruhe erneut so ein Spiel passiert", sagte Stürmer Robert Glatzel, der kurz vor Ende der regulären Spielzeit das 3:3 erzielt hatte. "Wir sind wieder zu spät aufgewacht und haben uns am Ende wieder selbst geschlagen."

Sehr viele Zwei-Tore-Rückstände

Es sind wiederkehrende Muster, die dem HSV schon fast die gesamte Saison über wehtun: schläfrige Phasen mit vielen Gegentoren, ineffizientes Pressing, schlechte Positionierung und Raumaufteilung, das Verlieren entscheidender Zweikämpfe. Das Problem früher Rückstände - zumal doppelter - gab es in dieser Saison nicht nur gegen Karlsruhe und 96, sondern auch schon beim 2:4 in Kiel. Beim 3:3 in Kaiserslautern und beim 2:2 im Stadtderby beim FC St. Pauli hatte es nach Zwei-Tore-Rückständen jeweils immerhin noch zu einem Zähler gereicht. Dabei wären es nur Siege, die dem Verein im Aufstiegsrennen helfen würden. Siege am Stück.

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Der Freitagabend im Volksparkstadion aber bedeutete einen weiteren Tiefpunkt und lieferte keine Argumente dafür, dass die selbst formulierte Aufstiegspflicht mit Walter erfüllt werden kann. Für den Trainer spricht die Mentalität der Mannschaft, nach Rückständen immer wieder aufzustehen. Zugleich ist ihm aber anzulasten, dass sie permanent hinfällt. Er müsste - zumal im dritten Jahr seines Wirkens - sein Team so anleiten, trainieren, vorbereiten und auch während der Partie coachen, dass es auf den Beinen bleibt.

Defensiv fahrig, vorne fahrlässig

Doch statt einer Entwicklung hin zu einem besseren gesamtmannschaftlichen Verteidigen wird die Abwehrarbeit der Hamburger wilder und konfuser, kurzum: schlechter. Neun Gegentore in vier Rückrundenspielen sind kein Zeugnis einer stabileren Defensive. Und die war nach der Hinrunden-Analyse klarer Fokus - und Voraussetzung für die weitere Zusammenarbeit mit Walter.

Dass zu dem erneuten Abwehr-Debakel noch eine Vielzahl schwacher bis fahrlässiger Abschlüsse und zwei Platzverweise kamen - eine Rote Karte gegen Laszlo Benes, zuvor erneut bester Hamburger mit einem Treffer und einer Vorlage, und eine Gelb-Rote Karte gegen Dennis Hadzikadunic -, passte ins Bild einer aus der Balance geratenen Mannschaft. "Die Entschlossenheit, das Zutrauen im Rausspielen und teilweise die Konzentration haben heute gefehlt", übte sich Kapitän Jonas Meffert in einer Analyse.

Walters Erklärungsansätze sind dünn

Die Erklärungsansätze seines Trainers wirken seit Wochen zunehmend rat- und hilfloser. Nach dem Karlsruhe-Spiel argumentierte er, dass man bereits achtmal in der Saison ohne Gegentreffer geblieben sei, und verwies auf die hohe Zahl individueller Fehler. Am Freitag sagte er nun, Benes' Rote Karte sei der "Gamechanger" gewesen und dass man über "die vielen Gegentore zu Hause reden" müsse. Vor der Partie hatte er vom "Verantwortungsbewusstsein beim Verteidigen" gesprochen. Den Worten folgten mal wieder keine Taten auf dem Rasen.

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Und so ging Topstürmer Glatzel härter mit der Mannschaft ins Gericht: "Die 2. Liga ist zu gut, dass man jedes Mal Zwei-Tore-Rückstände aufholen kann." Und Matheo Raab, der für den formschwachen Daniel Heuer Fernandes im Tor stand und beim ersten Gegentreffer selbst keine ganz glückliche Figur machte, sagte mit Blick auf das 3:4: "Es ist in dem Moment dann auch etwas fehlende Cleverness. Wir haben immer den Anspruch, Spiele zu gewinnen, aber manchmal muss man auch einen Punkt mitnehmen und nicht zu viel ins Risiko gehen."

Kiel kassiert den HSV

Durch den Kieler Sieg am Sonntag gegen Schalke rutschte der HSV in der Tabelle auf Rang drei ab. Immerhin verlor aus Hamburger Sicht Fürth, so dass die Walter-Elf noch zwei Punkte Vorsprung vor dem Vierten hat. Direkt dahinter lauert aber mit den wiedererstarkten Hannoveranern ein weiterer Aufstiegsanwärter. Das große Ziel - die Rückkehr in die Bundesliga - ist auch in der sechsten Zweitliga-Saison in Gefahr.

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Sportvorstand Jonas Boldt aber wehrte nach dem abermals konfusen Auftritt eine Trainerdiskussion ab. "Zwei Minuten nach dem Spiel werde ich mich nicht dazu äußern", sagte er bei "Sky". Stattdessen verlegte er sich auf eine allgemeine Analyse: "Wir haben generell in allen Bereichen zu viele Fehler gemacht. Die Gegentore fielen zu einfach, wir hatten keine Abstände, auch die Situationen vorne haben wir viel zu hektisch ausgespielt und leichtfertig vergeben."

Bricht Boldt mit Walter?

All das stimmt. Es ist aber derselbe Befund, den man auch schon nach der ersten Heimniederlage der Saison gegen Paderborn Mitte Dezember hatte. Am Freitag nun versuchte Boldt die Trainerfrage irgendwie zu umschiffen: "Die Herangehensweise, wie wir arbeiten, müssen wir grundsätzlich hinterfragen. Natürlich spielt da ein Trainer eine ganz, ganz wichtige Rolle."

Die Frage, die nur Boldt beantworten kann, ob der im kommenden Spiel gegen Hansa Rostock weiterhin Walter heißt oder ob er die Nibelungentreue zum Coach bricht.

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 09.02.2024 | 21:17 Uhr

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