Eine Frau steht an der Kiellinie und hält ein Schild mit der Aufschrift "Hass ist keine Meinung" vor ihr Gesicht. © NDR Foto: Lisa Pandelaki

Täglicher Rassismus: Schwarz sein im Norden

Stand: 26.01.2024 08:28 Uhr

NDR Schleswig-Holstein hat mit vielen Schwarzen Menschen gesprochen, die in Schleswig-Holstein leben. Einige kommen hier zu Wort. Die Aussagen sind durchweg alarmierend, finden unsere Reporterinnen.

von Neneh Sanneh und Lisa Pandelaki

Raschida kommen die Tränen, als sie erzählt, welche massive Ablehnung ihr begegnet ist - nur wegen ihrer Hautfarbe. "Der Job als Pflegerin war richtig schwer! Ich wurde angespuckt und angegriffen. Häufiger haben die älteren Menschen mir unterstellt, ich hätte ihnen Dinge wie Schokolade geklaut", berichtet Raschida. Sie ist 34 Jahre alt und der Job als Pflegerin liegt schon einige Jahre hinter ihr. Dennoch hat diese Zeit sie geprägt. "Damit habe ich heute noch zu tun", sagt sie und wendet ihren Blick ab. Dass sie in Schleswig-Holstein irgendwie anders wahrgenommen wird, begleitet sie jeden Tag. Zum Beispiel bei der Wohnungssuche. Drei Jahre haben sie und ihr Mann eine Wohnung für sich und ihre zwei Kinder gesucht. Eine Antwort haben sie auf keine ihrer Bewerbungen bekommen, obwohl beide in einem festen Angestelltenverhältnis arbeiten. Jetzt haben sie entschieden, ein Haus zu kaufen. Sie sehen ihre Zukunft hier im Norden, haben Wurzeln geschlagen. Raschida ist eine Schwarze, charismatische junge Frau, deren Augen leuchten, wenn sie von ihren Kindern und ihrem Mann erzählt. Dass Leute sie anstarren, wenn sie in den Raum kommt, sie anders behandeln, als beispielsweise eine Frau mit heller Haut, damit hat sie sich schon lange abgefunden.

Jeder fünften Schwarzen Frau wird mit Angst begegnet

Eine Frau schreibt mit einem schwarzen Stift eine Botschaft auf ein Stück Pappe. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Ihr Gesicht wollen die meisten nicht zeigen - aus Angst vor negativen Konsequenzen. Ihre Aussagen sollen über ihnen als Person stehen.

Diese Diskriminierungserfahrungen im Alltag macht nicht nur Raschida. Jede fünfte Schwarze Frau berichtet, dass ihr immer wieder mit Angst begegnet wird, sie mehrmals pro Jahr belästigt oder bedroht wird. So das Ergebnis des Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa), der im November 2023 veröffentlicht wurde.

Fragt man Schwarz gelesene Menschen nach rassistischen Erfahrungen im Alltag wird deutlich: Sie alle haben Mechanismen entwickelt, um irgendwie damit klarzukommen. Es wird weggelächelt, mit den Schultern gezuckt oder ganz tief im Gedächtnis vergraben. Schwarz gelesen bedeutet, dass eine Person als mit afrikanischer Migrationsgeschichte wahrgenommen wird. Das heißt, dass mit der Hautfarbe automatisch bestimmte Attribute verbunden werden.

"Silencing verhindert die Thematisierung von Rassismus: Die wiederholten Erfahrungen mit Othering, Entwertung und Ignoranz können dazu führen, dass Studienteilnehmende indirekt zum Schweigen gebracht werden oder aus Angst vor Konsequenzen selbst verstummen." NaDiRa 2023

In den Interviews mit NDR Schleswig-Holstein werden rassistische Begegnungen von den Betroffenen selbst wiederholt verharmlost. Oder sie suchen die Schuld bei sich selbst, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass ihnen diese Erlebnisse und ihre Gefühle dabei immer wieder abgesprochen werden. Ihre Erfahrungen werden zu Einzelfällen, Zufällen oder Missverständnissen degradiert.

"Es ist wichtig, dass wir immer mehr machen"

Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift "Wir können einander respektieren und sogar inspirieren". © privat
In den letzten Jahren hat sich in Deutschland in Sachen Rassismus nicht viel geändert.

So auch bei Anna*. In einem rasanten Tempo erzählt sie von wiederholten Tritten in Richtung ihres Gesichts, als sie einer älteren Person mit Gehhilfe eine Treppe herunter helfen möchte. Davon, dass man am 20. April – Hitlers Geburtstag – als Schwarz gelesene Person besser zuhause bleibt, weil ihr Onkel an einem 20. April krankenhausreif geschlagen wurde, was sich bis heute körperlich auswirkt. Oder dass ihr Bruder von der Polizei fälschlicherweise eines Diebstahls verdächtigt wurde, weil er mit dem Täter nur ein Merkmal teilte - die Hautfarbe. Sobald das Mikrofon läuft, wird in Annas Sätzen allerdings das "ich" zum "man", sie bricht ihre Sätze mittendrin ab und setzt mit einer neuen Formulierung an und relativiert ihre Erlebnisse stärker als zuvor - ein Schutzmechanismus. Verändert hat sich an der Lebensrealität von Schwarz gelesenen Menschen in Deutschland in den letzten zehn Jahren ihrer Einschätzung nach nichts. Ihre Strategie, um damit umzugehen: Bildung. Sie macht gerade ihren Bachelor. Am liebsten würde sie danach weitermachen, bis sie ein Kürzel vor ihren Namen setzen kann. "Wenn du den Abschluss hast, dann lassen sie dich eher in Ruhe. Du bekommst eher die Wohnung oder du bekommst sie, weil du einfach mehr Gehalt hast. Du hast dann einfach mehr Chancen."

Es sind keine Einzelfälle

Obwohl in den letzten Jahren das Thema Rassismus immer mehr im öffentlichen Diskurs auftaucht, obwohl in den letzten Wochen zehntausende Menschen auf die Straße gegangen sind, um gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren, hat sich im Alltag doch wenig verändert. In der Studie "Being Black in the EU" (dt. "Schwarz sein in der EU") der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), die im Jahr 2023 veröffentlicht wurde, gaben 45 Prozent der Befragten an, in den vergangenen fünf Jahren wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion diskriminiert worden zu sein. Die gleiche Studie war bereits 2018 durchgeführt worden. Damals lag der Anteil noch bei durchschnittlich 39 Prozent. Deutschland liegt im Vergleich zu 13 anderen EU-Ländern, in denen die Studie ebenfalls durchgeführt wurde, auf dem letzten Platz.

Demonstrieren ist erst der Anfang. Es braucht ein Umdenken. "Die Art und Weise, wie Fälle wie Hanau aufgearbeitet und als 'Einzelfälle' dargestellt werden - gerade auch im Zusammenhang mit der AfD - reicht nicht aus. Aus der deutschen Geschichte heraus würde ich mir mehr aktives Handeln von der Politik und Gesellschaft wünschen. Ich frage mich halt, wenn das schon auf der Ebene der Politik nicht ernst genommen wird, wie soll dann Antirassismusarbeit im Alltag funktionieren?", sagt eine weitere Person im Interview.

Jonathan prangert Schubladendenken an

Jonathan* ist etwa 1,90 Meter groß. An seinem linken Ohr trägt er zwei Ohrringe. Sein Gesicht ist gesprenkelt von Sommersprossen. Er strahlt diese für Norddeutsche typische, gutmütige Gelassenheit aus, die man nur bekommt wenn man dem Wetter im Norden trotzt. Er suggeriert, dass ihn nicht viel aus der Fassung bringen kann. Vor ein paar Jahren habe er mal alle Erfahrungen aufgearbeitet. Seitdem versucht er, nicht mehr so viel darüber nachzudenken, es nicht an sich ran zu lassen, sagt er. Erzählen kann er trotzdem viel.

Auf einer Bank steht ein Schild mit der AUfschrift "Ich bin mehr". © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Jonathan wünscht sich, dass wir anfangen, Menschen kennenzulernen und nicht nur Rückschlüsse ziehen aus dem, was wir sehen.

Auf die Frage, ob es ihm gegenüber ungerechtfertigte Polizeikontrollen gab, lacht er: "Ja, es gab sehr viele Vorfälle, wo wir einfach von der Polizei kontrolliert wurden. Unabhängig davon, wie wir gekleidet waren, wo wir unterwegs waren, mit welchen Autos wir gefahren sind." In seinem ersten Jahr mit Führerschein wurde er bestimmt fünf bis sechs Mal kontrolliert, erinnert er sich. Oft musste er dabei auch den Kofferraum öffnen. Heute weiß er, dass solche Kontrollen ohne dringenden Tatverdacht gar nicht zulässig sind. Wütend gemacht haben sie ihn aber damals auch schon. Heute prangert er vor allem das Schubladendenken an. Bei einem Lauftest forderte ihn beispielsweise ein Kollege auf, doch schneller zu laufen, weil er doch wüsste, dass er schneller sei, weil er Schwarz ist. Jonathan schmunzelt und sagt: "Ich war wirklich hart am Atmen, so kurz vorm Exitus." Er konnte nicht schneller als das, was er gerade gerannt war.

Auch sein Sohn hat mit acht Jahren schon erste rassistische Erfahrungen mit Mitschülern gemacht. Danach kam er weinend nach Hause. Jonathans erster Gedanke war: Da wird noch viel schlimmeres auf dich zukommen. Trotzdem hat er die Gefühle seines Sohnes ernst genommen, das Gespräch mit den anderen Eltern und auch der Lehrerin gesucht. Nicht alle von ihnen waren einsichtig und haben die Tragweite der Beleidigungen anerkannt.

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Warum all diese Erfahrungen eine Rolle spielen.

Die beschriebenen Erlebnisse der Protagonistinnen und Protagonisten dieses Artikels mögen für einige Leserinnen und Leser nach "harmlosen Einzelfällen" klingen. Doch das sind sie nicht. Es sind individuelle Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Aber dass es keine Einzelfälle sind, zeigt allein schon die Anzahl der sich überschneidenden Berichte. Die oben genannten repräsentativen Statistiken belegen: Die in diesem Artikel beschriebenen Erlebnisse beschreiben die Erfahrungen von vielen Schwarzen Menschen in Deutschland. Es sind Erfahrungen, die unsere Protagonistinnen und Protagonisten persönlich treffen, sie prägen und nachhaltig ihr Verständnis zu unserer Gesellschaft beeinflussen.

"Wir alle können nichts für die Welt, in die wir hineingeboren wurden. Aber jede und jeder kann Verantwortung übernehmen und diese Welt mitgestalten." Tupoka Ogette (Autorin und Beraterin für Rassismuskritik und Antirassismus)

Diese täglich stattfindenden von Rassismus und Vorurteilen geprägten Mikroaggressionen ergeben eine dichte Decke an negativen Erfahrungen. Denn immer wieder werden Schwarze Menschen in ihrem Leben unabhängig von ihrer Person zu "den Anderen" erklärt und anders als Weiße Menschen behandelt. Das muss aufhören.

*Name geändert

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 25.01.2024 | 19:30 Uhr

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