Ferienhäuser in den Dünen am Sylter Strand. © Picture Alliance Foto: Wolfgang Diederich

Sylter geben Input für künftige Tourismus-Strategie

Stand: 11.12.2020 19:02 Uhr

Wie soll die zukünftige Tourismus-Strategie für Sylt aussehen? Dazu hat die Sylt Marketing GmbH jetzt erstmalig die gefragt, die von und mit den Touristen leben: Die Sylter selbst.

Von Simone Steinhardt

Zu laut, zu voll, zu viel Verkehr, zu fremdbestimmt: So hatten viele Sylterinnen und Sylter ihre Insel nach der Wiedereröffnung im Mai empfunden. Wie es mit dem Tourismus auf Sylt weitergehen soll, dazu wurden sie jetzt erstmalig befragt. Angeschoben hat das die Sylt Marketing GmbH (SMG) gemeinsam mit den fünf Inselgemeinden. "Wir wollen miteinander statt aneinander vorbeireden - und das braucht Fakten. Sylt war in den vergangenen Monaten selten im Gleichgewicht zwischen Heimat- und Urlaubsinsel", erklärt SMG-Chef Moritz Luft.

18.000 Sylter befragt

Neben der Bürgerbefragung gab es auch Interviews mit 40 Mandats- und Entscheidungsträgern und -trägerinnen auf Sylt. Außerdem fand das Zukunftsforum Sylt statt - mit externen Referenten und Referentinnen sowie Diskussionsrunden. 18.000 volljährige Sylter und Sylterinnen mit Erstwohnsitz haben den Fragebogen erhalten. Insgesamt 4.500, also rund 25 Prozent, haben ihn beantwortet.

Stimmung negativ, Sylt als Lebensraum positiv

"Insgesamt zeigt sich ein verhaltenes, negatives Stimmungsbild gegenüber dem Tourismus", so Luft. 65 Prozent der Befragten gaben an, dass in Hoch-Zeiten zu viele Urlauber auf der Insel seien. Mehr als 90 Prozent sind genervt vom Verkehr. Beinahe 90 Prozent finden, dass auf Sylt zuviele Gästebetten entstehen. Im vergangenen Jahr gab es auf Sylt sieben Millionen Übernachtungen - in diesem Jahr ein leichtes Plus von vier Prozent.

Mehrheit findet Sylt als Lebensraum gut bis sehr gut

Auf die Frage, was die Corona-Pandemie verändert hat, gaben zwei Drittel der Befragten an, es gebe zum einen zu viele Touristen, zum anderen bestünde eine große Abhängigkeit vom Tourismus. Interessant sei laut Luft die Antwort auf die Frage, wie die Sylter und Sylterinnen den Anstieg der jährlichen Übernachtungen in den letzten zehn Jahren einschätzen. "74 Prozent der Befragten gaben dabei ein Wachstum von 15 Prozent und mehr an. Tatsächlich aber liegt der Anstieg bei lediglich 2,9 Prozent." 84 Prozent würden allerdings selbst die touristischen Angebote nutzen. Für Luft ist trotz allem ein Ergebnis wichtig: "72 Prozent der Befragten bewerten Sylt als Lebensraum mit der Schulnote gut bis sehr gut. Das ist ein Mutmacher für uns."

Tourismus als Wirtschaftsfaktor

Der Tourismus ist auf Sylt ein Wirtschaftsfaktor, ohne den es längst nicht mehr geht. 2019 wurden laut Insel Sylt Tourismus Service und dem Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Institut für Fremdenverkehr (dwif) insgesamt 507 Millionen Euro Brutto-Umsatz generiert. Davon entfallen 497,4 Millionen Euro auf die Übernachtungsgäste und 9,6 Millionen Euro auf Tagesgäste. Mehr als 40 Prozent der Wertschöpfung in der Destination "Nordsee" werden Sylt Marketing zufolge auf Sylt erwirtschaftet.

Wie viel Tourismus verkraftet Sylt? 

Diskussionen über zu viele Touristen und zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Sylter sind nicht neu. Anfang der 1970er Jahren erstellte das Land Schleswig-Holstein ein Strukturgutachten über Sylt und setzte dabei die Anzahl der Menschen, die sich gleichzeitig auf Sylt aufhalten sollten, auf maximal 100.000 fest. Mehr würde die Infrastruktur nicht verkraften. 2010 indes sprach das Inselbauamt von rund 150.000 Menschen. In den 1980er Jahren legten sich Sylter mit Matratzen in die Westerländer Fußgängerzone und protestieren so für mehr für bezahlbaren Dauerwohnraum. Denn Ferienwohnungen hatten zunehmend Wohnraum für Sylter verdrängt. Für Eigentümer war und ist in aller Regel die Vermietung an Gäste lukrativer.

Lösungsansätze

Die vorhandenen Betten-Kapazitäten sind da, werden nicht wieder verschwinden. Im Gegenteil: Gebaut wird auf Sylt weiter. Wie also könnte ein Ansatz für einen sanfteren, nachhaltigeren Tourismus aussehen? Das fragt sich auch der Inselbaumeister a.D., Wolfgang Knuth. Er verantwortete 30 Jahr lang das Bauamt in Westerland, kämpfte, wie er sagt, oft gegen Windmühlen, wenn es darum ging, Bauprojekte zu verhindern. "Die Dinge sind hier schon zu weit fortgeschritten. Ich setze daher keine großen Hoffnungen in diese Umfrage", sagt der gebürtige Sylter. Dabei habe Westerland schon in den 1980er Jahren mit der Baugestaltungssatzung ein Instrument eingeführt, um Dauerwohnraum zu sichern und ein zu viel an Ferienwohnungen zu unterbinden. Doch die Regelungen würden nicht konsequent angewandt oder von Investoren unterwandert. Auch für Moritz Luft ist klar: "Man muss die rechtlichen Rahmenbedingungen verstehen und dann auch anwenden." Ziel müsse sein, nicht noch mehr Wachstum im Tourimus zuzulassen.

Politik soll Handlungsempfehlungen bekommen

Die Keitumerin Birte Wieda sieht das genauso. "Ich freue mich, dass wir Sylter endlich mal gefragt wurden", sagt sie und ist sicher: "Das Ergebnis erhöht den Druck auf den Handlungsbedarf." Vor einigen Monaten gründete Wieda die Bürgerinitiative "Merret reicht’s". Zusammen mit ihren Mitstreitern will sich Birte Wieda für eine Insel einsetzen, auf der auch die Sylter gut und gerne leben können. Wie genau dieses Engagement künftig aussehen soll ist noch unklar. Klar indes ist für Birte Wieda, ebenso wie für viele andere Sylter und auch Moritz Luft: "Es geht nur, wenn wir gesamtinsular denken und handeln." Für Moritz Luft könnte ein so genannter Resonanz-Tourismus ein Ansatz sein. "Dabei geht es darum, Räume zu schaffen, um sich wieder zu spüren." Als Beispiel dafür nennt der das Surfen: "Man ist aktiv, aber auch passiv, weil man auf die richtige Welle wartet. Und wenn sie dann kommt, ist das Glück perfekt." Es gehe auch darum Angebote zu kreieren, die nicht ständig verfügbar seien.

In den kommenden Tagen wollen sie im Zukunftsforum Sylt und in den Diskussionsrunden Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten. Klar ist allen Beteiligten: Der Tourismus ist die Lebensader der Insel, ohne ihn geht es nicht.  

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 11.12.2020 | 12:00 Uhr

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