Eine Schale mit Wellant-Äpfeln steht auf einem Tisch. © NDR Foto: Anja Deuble

Kolumne: Der Obstkorb aus der Hölle

Stand: 06.08.2023 10:00 Uhr

Es gibt kaum etwas Unschuldigeres auf der Welt als Obst. Ein Apfel ist durch und durch gut. Im Recruiting aber wird er missbraucht, findet unsere Kolumnistin und sagt: Lasst das arme Obst in Ruhe!

von Stella Kennedy

Mit "kostenlosen Obstkörben im Büro" versuchen verzweifelte Unternehmen potenzielle Bewerbende anzulocken und zu binden. Während es früher ausreichte, seinen Mitarbeitenden einen Arbeitsplatz, im besten Falle mit Schreibtisch und Stuhl ausgestattet, anzubieten, müssen Arbeitgeber in der Welt des demografischen Wandels und folglich Fachkräftemangels härtere Geschütze auffahren.

Diese sehen dann so aus, dass Firmen in Stellenausschreibungen mit "Büro-Yoga", Tischkickern oder "Rund-um-sorglos-Frühstückspaketen" Arbeitskräfte anlocken wollen. In der Vergangenheit waren es urbane Start-ups, die mit solchen sogenannten Benefits ihre Beschäftigen (in spe) köderten. Heute soll auch ein Kanal- und Rohrreiniger mit "kostenlosen Obstkörben an jedem Standort" und einer Fitnesscenter-Mitgliedschaft verführt werden ...

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Nicht Paradies-, sondern Höllenapfel

Das ist alles wahnsinnig gut gemeint, könnte man zumindest auf den ersten Blick denken. In echt ist natürlich jeder trostlose Obstkorb im "Meetingraum" eines mittelständischen Unternehmens Zeugnis für die Verzweiflung der Chefetage. Und sie tun mir ja auch leid! Also beide, die Chefs und das Obst. Einerseits die Unternehmensführung, die ja für alle offensichtlich (jeder Generation-Zler, der das Reizwort Obstkorb in einer Annonce liest, "cringed" innerlich) händeringend geeignetes Personal sucht.

Andererseits das Obst, was seine ursprüngliche Bedeutung durch die Umnutzung als trauriges Lockmittel komplett verliert. Denn im Gegensatz zum Apfel im Paradies, der ja bekanntlich zur Sünde anstiftete, soll der Apfel im Obstkorb, (junge) Leute in die vermeintlich gesunde Arbeitswelt ziehen.

Obstkorb heute, Belohnung morgen

Denn natürlich suggeriert das bunte, frische, oftmals sogar als Bio angepriesene Obst Wellness. Nach dem Motto: Hier bleibst du gesund. Dabei ist jeder Benefit nicht mehr als ein Symbol, ähnlich dem schlaffen Händedruck des Büroleiters am Tag der Einstellung. Was bleibt sind die ungesunden Strukturen in vielen Unternehmen: Überstunden, Zeitdruck, zu geringe Gehälter, Angsthierarchien - dagegen hilft kein Obst der Welt.

Okay, möglicherweise wird durch das launige Anpreisen von achso-flippigen Arbeitsbedingungen eine angestellte Person zwecks Esel-Möhre-Prinzip (!) bei der Stange gehalten. Aber wirklich, also wahrhaftig attraktiv, wird das Unternehmen für Bewerbende dadurch nicht.

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Viel gesünder als jede Banane, Kiwi oder Apfel wären strukturelle Veränderungen. Vor allem in jenen Unternehmen, in denen das Mantra das im Chor geraunte "Mahlzeit" zur Mittagsstunde ist. Ehrliche Wertschätzung, Mitspracherecht, faire und transparent gestaltete Gehälter - generell einfach mehr durch Taten werben als durch Symbole! Das zumindest könnte ein Anfang sein, stelle ich mir vor.

Um einen wirklichen Wandel zu vollziehen, müssten sich viele Unternehmen allerdings selbst hinterfragen. Das ist natürlich viel schmerzhafter als Obst zu kaufen oder einen Tischkicker. Aber wie bei allem: Die Zeit wird’s zeigen. Leider ist Leidensdruck meistens der größte Antrieb von Veränderung. Dabei will ja eigentlich keiner leiden, sondern im Gegenteil: gesund sein.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin Schleswig-Holstein – mit Mandy Schmidt und Horst Hoof | 04.08.2023 | 08:15 Uhr

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Arbeitsmarkt

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