Klimawandel im Wattenmeer: Folgen für Dorsch und Pfuhlschnepfe

Stand: 19.03.2024 11:30 Uhr

Der Klimawandel beeinflusst auch die Nordsee und das Wattenmeer. Negative Folgen etwa für Dorsche und Pfuhlschnepfen sind schon jetzt erkennbar. Das beobachten Expertinnen und Experten vom Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum.

von Pauline Reinhardt

Ein neuer Bericht zum Klimawandel sorgt für Aufregung: Seit 2017 gab es große negative Veränderungen im Wattenmeer. Claus von Hoerschelmann ist Biologe im Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum in Tönning. Außerdem vertritt er die schleswig-holsteinischen Nationalparks in der trilateralen Expertengruppe Klimawandel - von ihr stammt der sogenannte Qualitätsstatusbericht. Im Wattenmeer von Schleswig-Holstein beobachten von Hoerschelmann und seine Kolleginnen und Kollegen konkrete Veränderungen. Diese hängen vor allem mit der Erwärmung der Nordsee zusammen.

Nordsee erwärmt sich seit elf Jahren konstant

Claus von Hoerschelmann vor dem Aquarium mit den Dorschen im Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum. © NDR Foto: Pauline Reinhardt
Für Claus von Hoerschelmann und seine Kollegen im Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum ist klar: Der Klimawandel wirkt sich auf das Wattenmeer und Tiere wie den Dorsch aus.

Für die Nordsee war es das drittwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1969 - und der September 2023 war der wärmste September, seitdem es diese Aufzeichnungen gibt. Das zeigen die Daten für 2023, die das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie kürzlich veröffentlicht hat. Dazu kommt: Die Erwärmung der Nordsee lässt sich laut den Aufzeichnungen des Bundesamtes bereits seit elf Jahren kontinuierlich beobachten. Seitdem ist das Meer konstant wärmer als das langjährige Mittel von 1991 bis 2020.

Die Erwärmung wirkt sich vor allem auf Tiere aus. "Für Pflanzen ist Licht der entscheidende Faktor, aber für Tiere ist es Temperatur", erklärt von Hoerschelmann. Wenn es wärmer ist, verschieben sich die Entwicklungszyklen - oder es kommt gar nicht mehr zu einer Entwicklung.

Dorsche pflanzen sich in südlicher Nordsee nicht mehr fort

Diese Dorsche sind gut 30 Jahre alt und einen Meter lang. © NDR Foto: Pauline Reinhardt
Bei den Dorschen ist die Fortpflanzung zunehmend ein Problem.

Der Experte von Hoerschelmann steht vor einem großen Becken im Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum, in dem Dorsche schwimmen. Sie sind gut 30 Jahre alt und einen Meter lang. Die Fische können sogar noch älter und größer werden, berichtet er, bis zu 1,60 Meter. Doch in der südlichen Nordsee pflanzen sie sich gar nicht mehr fort. Denn: "Dorsche lieben Kälte." Außerdem ist die Population inzwischen zu klein.

Pfuhlschnepfe als Verliererin, Nordseekrabbe als Gewinnerin

Doch nicht für alle Tiere ist die Erwärmung der Nordsee nur negativ. So kommt es, dass die kleine Nordseekrabbe im Kampf um Nahrung gegen die Pfuhlschnepfe, einen Vogel, gewinnt. Das Ganze fängt ebenfalls mit der Erwärmung an, so von Hoerschelmann. Nordseekrabben ziehen sich im Winter in tiefere, wärmere Gewässer zurück. Im Frühling, wenn kein Frost mehr droht, wagen sie sich wieder ins Watt. Der Frühling beginnt inzwischen viel früher, sodass die Krabben dort auf die Larven der Baltischen Tellmuschel treffen - und sie fressen.

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Die Pfuhlschnepfe macht sich währenddessen aus ihren Brutgebieten im hohen Norden Skandinaviens auf den Weg zu ihren Rastplätzen im Watt. Sie will sich dort sattfressen mit baltischen Tellmuscheln. Doch die Pfuhlschnepfe geht leer aus: Da die Nordseekrabben bereits die Larven der Muscheln gefressen haben, gibt es nur wenige erwachsene Baltische Tellmuscheln als Futter für die Vögel. Die Pfuhlschnepfe ist entkräftet. Gleichzeitig hat sie weniger Zeit, um andere Nahrungsquellen zu finden. Sie muss zurück zu ihren Brutstätten, weil dort - aufgrund der Erwärmung - eine bestimmte Mückenart früher ausschwärmt als sonst. "Eine Reise von 5.000 Kilometern am Stück - dafür muss man ordentlich gegessen haben", betont von Hoerschelmann.

Nationalparks wollen mit dem Meer wachsen

Ein Modell zeigt die Wattenmeerflächen und die küstennahen Salzwiesen, die ins Festland übergehen. © NDR Foto: Pauline Reinhardt
Dieses Modell zeigt die Wattenmeerflächen und die küstennahen Salzwiesen, die ins Festland übergehen.

Doch auch die Wattenmeerflächen selbst sind bedroht: Derzeit steigt der Meeresspiegel an der Westküste um gut drei Millimeter pro Jahr und die Höhe des Wattenmeers durch Ablagerungen um dreieinhalb Millimeter. Doch schon ab 2050 wird sich das verändern und der Meeresspiegel stärker ansteigen als die Ablagerungen. "Das heißt: Wir verlieren Wattenmeerflächen. Flächen, auf die Vögel und andere Tiere angewiesen sind", prognostiziert von Hoerschelmann.

Wattenmeer bleibt Wattenmeer - mit anderen Arten

Um diese Entwicklung aufzuhalten, gibt es in Schleswig-Holstein die Strategie für das Wattenmeer 2100: "Wachsen mit dem Meer". Mittel- und langfristig sollen Watt und Salzwiesen anwachsen, indem Ablagerungen künstlich hinzugefügt werden. Das ist zum Beispiel durch Importe von Sand aus der Nordsee in das Wattenmeer möglich. Die klimabedingte Erwärmung hingegen kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die klimatischen Veränderungen betreffen vor allem viele Vögel, die in den Salzwiesen und im Watt Nahrung suchen. Dennoch sagt Experte von Hoerschelmann: "Das Wattenmeer wird ein Wattenmeer bleiben - aber mit anderen Arten."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 15.03.2024 | 19:30 Uhr

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