Klimawandel: Unterwasser-Thermometer für die Ostsee

Stand: 25.11.2023 10:38 Uhr

Die Temperatur ist ein Schlüsselfaktor für den Meeresschutz: Ihr Anstieg hat großen Einfluss auf die Umweltprobleme der Ostsee. Forschende wollen ein Pflanzensterben mit neuen Messmethoden verhindern.

von Jörn Zahlmann

Unten am Meeresgrund kleben die schmucklosen grauen Knöpfe an wuchtigen Steinen. Kaum größer als ein Zwei-Euro-Stück sind die runden Messgeräte. Diese sogenannten Logger sind Thermometer. Sie messen die Temperatur in regelmäßigen Abständen - zum Beispiel in den Seegraswiesen vor Fehmarn. Hunderte dieser Messgeräte sollen jetzt in der Ostsee platziert werden. "Wenn wir die genauen Temperaturen kennen, ist das die Schlüsselvoraussetzung dafür, zu wissen, unter welchem Stress Pflanzen und Tiere bei der rapiden Erwärmung der Ozeane stehen", erklärt Professor Thorsten Reusch, Meeresforscher am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

"Unterwasser-Gärtnerei" als Reaktion auf die Meereserwärmung

Auf einem Smartphone werden mehrere Messwerte in einem Graphen dargestellt. © NDR Foto: Jörn Zahlmann
Die Forscherinnen müssen die Logger für die Auswertung vom Meeresgrund holen und die Daten per Bluetooth auslesen. GPS funktioniert unter Wasser nicht.

Vor der schleswig-holsteinischen Küste untersuchen Forscherinnen deshalb das Klima bei den Seegraswiesen. Sie wollen hitzeresistente Pflanzen erkennen und Teile der Bestände dorthin umsiedeln, wo die Temperatur bislang noch nicht so stark gestiegen ist. Denn dann haben die Pflanzen eine bessere Überlebenschance, wenn es in Zukunft auch dort wärmer wird - so zumindest die Hoffnung der Wissenschaft. "Assisted Revolution" nennt sich das - oder auch Unterwasser-Gärtnerei für den Meeresschutz.

Ab 25 Grad sterben wichtige Lebensräume

Fatal wird es an der Ostseeküste nämlich ab 25 Grad Celsius. "Wenn die Meerestemperatur diese Marke für ein oder zwei Wochen überschreitet, sterben Seegras und die Braunalgenart Blasentang. Das sind zwei Lebensräume, die extrem wichtig sind, weil sie kleine Ökosysteme mit begründen", sagt Thorsten Reusch. Das mediterrane Niveau von 25 Grad Celsius Wassertemperatur hat die Ostsee an der deutschen Küste zuletzt während der Hitzewelle 2018 erreicht. Die Daten des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie zeigen, dass solche Ereignisse immer wahrscheinlicher werden.

Die Daten zeigen, dass die Meerestemperatur in der Ostsee in diesem Jahr bisher jeden Monat wärmer war als im Mittel der Jahre 1991 bis 2020. Seit Januar 2018 gab es nur neun Monate, in denen die Ostsee kälter als im Mittel der vergangenen drei Jahrzehnte war.

"Pariser Klimaziel schon jetzt gerissen"

"Die Ostsee hat das Pariser Klimaziel schon jetzt gerissen. Wir sehen bis hin zu mittleren Tiefen eine Erwärmung von bis zu zwei Grad in den vergangenen drei Jahrzehnten", sagt Professor Reusch. Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde 2015 das Ziel definiert, den weltweiten Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Doch die Temperatur-Prognosen sind gerade für die Ostsee alarmierend: Wissenschaftler erwarten einen weiteren Anstieg von 1,5 bis zwei Grad bis Mitte des Jahrhunderts. Die Ostsee erwärmte sich in den vergangenen Jahren deutlich schneller als die Nordsee.

Wasserproben seit 66 Jahren

Neben den modernen Messverfahren hat die Datenerfassung in der Ostsee auch eine jahrzehntelange Tradition. Langfristige Entwicklungen misst das Geomar an der Messstelle Boknis Eck in der Eckernförder Bucht. Seit 1957 nehmen Meeresforscher dort Wasserproben. So dokumentieren sie Veränderungen der Temperatur und des Sauerstoff- und Nährstoffgehalts.

Der Schlüsselfaktor Temperatur

Geomar-Professor Reusch spricht von der Temperatur als "Mastervariable", weil sie Einfluss auf andere maßgebliche Probleme der Ostsee hat. Das zeigen zum Beispiel die Zusammenhänge mit der Überdüngung und dem Sauerstoffmangel: Durch die steigenden Temperaturen wachsen die sogenannten Todeszonen deutlich schneller.

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Schleswig-Holstein Magazin | 25.11.2023 | 19:30 Uhr

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