Kirche erhöht Erbbauzins in Hannover-Kirchrode drastisch

Stand: 19.04.2025 14:05 Uhr

Statt bisher knapp 1.000 Euro im Jahr soll eine Rentnerin in Kirchrode jetzt mehr als 15.000 Euro Erbbauzins an die Landeskirche Hannovers zahlen. Sie fürchtet, aus ihrem eigenen Haus ausziehen zu müssen.

von Vera Zellmer

Drei Jahre bleiben noch, bis Wiltrud Bartig-Friedleins Erbbaurechtsvertrag, früher Erbpachtvertrag genannt, ausläuft. Verlängern kann sie den Vertrag für ihr etwa 430-Quadratmeter-Grundstück aber nur, wenn sie deutlich mehr zahlt als jetzt: 15.600 Euro statt bisher 980 Euro im Jahr.

Haushalte sollen teils das 45-Fache zahlen wie bisher

"Wie weit müsste mir die Kirche denn da entgegenkommen, was ich ihnen nicht zutraue, dass ich das dann noch schaffen könnte? Auch 12.000 Euro könnte ich kaum schaffen." Bartig-Friedlein lebt von ihrer Rente und der Witwenrente ihres Mannes. Sie fürchtet, ausziehen zu müssen aus ihrem kleinen Reihenendhaus im Molanusweg, in dem sie einst mit Ehemann, Sohn und ihrer Mutter gelebt hat. Insgesamt 30 Haushalte in der Straße haben Angebote der Kirche bekommen - teils sollen sie das 45-Fache zahlen wie bisher. Fast alle werden in Rente sein, wenn die neuen Verträge in Kraft treten würden.

Vorteil: Günstig wohnen über Jahrzehnte

Wiltrud Bartig-Friedlein steht in ihrem Garten in Hannover. © NDR
Wiltrud Bartig-Friedlein soll der Kirche für ihr Grundstück künftig im Jahr 15.600 Euro statt bisher 980 Euro zahlen.

Bisher lebten sie hier zu einem Erbpachtzins, der seit den 1950er-Jahren nicht erhöht wurde - vergleichsweise also sehr günstig. Die zuständige evangelische Jakobi-Gemeinde bietet den Bewohnern an, gemeinsam eine Lösung zu finden. "Man kann individuell schauen, mit dem Ziel, dass niemand aus seinem Haus ausziehen muss, weil er sich das nicht leisten kann", sagt Pastor Benjamin Simon-Hinkelmann von der Landeskirche Hannovers.

Nachteil: Kein Besitz, sondern ein Nutzungsrecht

"Gleichzeitig müssen Kirchenkreis und Kirchengemeinde aber mit den Vermögenswerten, die sie haben, verantwortlich umgehen. Deshalb müssen sie schauen, dass für die Grundstücke ein Zins erzielt wird, der dem Marktwert entspricht." Simon-Hinkelmann sagt, er verstehe die Aufregung. Aber: "Wenn man so ein Erbpachtgrundstück hat, bedeutet das ja auch, dass man das nicht besitzt, sondern das man einen Vertrag geschlossen hat, der irgendwann endet."

Wie funktioniert das Erbbaurecht?

Das Grundstück, auf dem Wiltrud Bartig-Friedlein lebt, gehört wie mehr als 50 weitere Grundstücke im Molanusweg in Kirchrode der Kirche. Das kleine Haus darauf besitzt Bartig-Friedlein. Sie zahlt für das Grundstück regelmäßig einen Erbbauzins. Und für den legt die Kirche in ihrem Angebot nun den aktuellen Bodenrichtwert des Stadtteils zugrunde: 1.100 Euro pro Quadratmeter. Der Zinssatz liegt bei vier Prozent. Kirchrode ist ein verhältnismäßig teurer Stadtteil zum Wohnen geworden.

Bewohner empfinden das Angebot als unangemessen

Bewohner des Molanusweg wehren sich gegen Erbbauzinserhöhung in Hannover. © NDR
Pfingsten wollen die Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Molanusweg in der Nähe der Kirche demonstrieren.

"Wir sind bereit, mehr Erbpacht zu zahlen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Erbpachtzins, der die letzten 75 Jahre gezahlt wurde, nicht zu halten ist", betont Bewohnerin Astrid Houghton. "Allerdings ist es so, dass das Angebot der Kirche jetzt unangemessen ist. Mit einem Renteneinkommen sind die hohen Zinsen einfach nicht zu bezahlen. Man kann nicht 1.500 Euro für ein 400-Quadratmeter-Grundstück bezahlen und noch genügend überhaben, um das eigene Haus instand zu halten, Versicherungen und Essen zu bezahlen." Nach zwei Gesprächen mit der Kirche fühlt sie sich abgewatscht - und organisiert nun einen öffentlichen Protest: Pfingsten wollen die Bewohner aus dem Molanusweg in der Nähe ihrer Kirche demonstrieren.

Kirche macht Angebot - Bewohner machen Gegenangebot

Die Kirche hat auch angeboten, den Bewohnern entgegenzukommen: Sie bietet an, für 20 Jahre den Erbbauzins durch 35 Prozent Abschlag auf den Bodenwert zu reduzieren. Aber die Bedingungen, die daran geknüpft sind, finden die Bewohner nicht akzeptabel: "Wir können das Haus nicht verkaufen, nicht vermieten, nicht vererben. Und nach 20 Jahren trifft uns dann die volle Härte", so Houghton. Gemeinsam wollen die Bewohner bis zum Fristablauf Ende Juni anbieten, das Zwölffache der jetzigen Beträge zu zahlen. Der Bodenrichtwert solle von Spekulationen bereinigt, ein niedrigerer Zinssatz angesetzt und das Durchschnittsrenteneinkommen berücksichtigt werden.

Was passiert, wenn die Erbpacht endet?

Gudrun und Wilfried Schaper stehen in ihrem Garten in Kirchrode in der Region Hannover. © NDR
1.400 Euro im Monat sind für die Schapers nicht zu stemmen, sie leben zusammen von 1.600 Euro Rente.

Wenn sich die Bewohner und die Kirche nicht auf einen Erbbauzins einigen können, dann laufen ihre Verträge 2028/29 aus. Die Bewohner würden das Recht verlieren, ihre Grundstück zu nutzen und bekämen von der Kirche eine Ablöse für ihr Haus: üblicherweise zwei Drittel dessen, was das Haus wert ist. Einige haben bereits versucht, ihr Haus zu verkaufen - aber ohne Erfolg: "Wir haben es über ein dreiviertel Jahr versucht,", berichten Gudrun und Wilfried Schaper. Die Leute hätten sich eigentlich darum gerissen. "Aber es hat sich keiner dafür entscheiden können aufgrund der hohen Pacht, die kommen soll. Mindestens 1.400 Euro im Monat für das 600-Quadratmeter-Grundstück, auf dem ein 85-Quadratmeter-Haus steht." Auch für die Schapers ist das nicht zu stemmen, sie leben zusammen von 1.600 Euro Rente.

Kritik am Vorgehen der Kirche

Die Bewohner berufen sich auch auf den sozialen Aspekt, der berücksichtigt werden soll. Sie sind der Meinung, von der Kirche sei ein anderes Verhalten geboten. Werner Lichtenberg, pensionierter Staatssekretär des Niedersächsischen Innenministeriums, der sich seit Jahren mit dem Erbbauzins beschäftigt, betont, dass das Erbbaurecht ursprünglich breiteren Bevölkerungsschichten Wohneigentum ermöglichen sollte. Grundstücke langfristig zu vergeben, sollte Bodenspekulationen vermeiden, sagt er. "In Ballungsräumen mit exorbitant gestiegenen Bodenwerten, die spekulativ entstanden sind, den gleichen Zins als Erbbauzins zu nehmen, der die Höhe hat, wie wenn ich das Grundstück kaufen und per Kredit finanzieren würde, widerspricht dem Sinn des Gesetzes", so Lichtenberg. 

Viele Erbbaurechte in Niedersachsen müssen bald erneuert werden

Niedersachsen ist eines der Bundesländer, in denen die meisten Erbbaurechte ausgegeben wurden, sagt Lichtenberg. Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung lebe auf Erbbaurechtsgrundstücken. Der größte Erbbaurechtgeber ist die Klosterkammer, aber auch die Kirchen und Kommunen haben viele solche Verträge. Die meisten Rechte seien in den Jahren nach 1950 ausgegeben worden - für etwa 80 Jahre. Und das bedeute, laut Lichtenberg: Die Hälfte aller Erbbaurechte müssen in den kommenden 20 Jahren erneuert werden. Das habe es in Deutschland noch nicht gegeben.

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Hallo Niedersachsen | 16.04.2025 | 19:30 Uhr

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