Kehren wir zurück zur Wehrpflicht? Und: Geht das überhaupt?
Zwölf Jahre nach der Aussetzung flammt in Deutschland die Debatte um die Wehrpflicht neu auf. Während Politik und Gesellschaft noch diskutieren, haben zwei junge Menschen ihre Entscheidung schon getroffen.
Früh aufstehen, antreten, Befehle befolgen: Für Leif und Minja gehört das nun zum Alltag. Sie absolvieren einen zwölfmonatigen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr. "Mir tut es ganz gut, zu lernen, die Fresse zu halten", sagt Leif nüchtern. Der 21-Jährige hat sich nach einem verpatzen Abitur für die Bundeswehr entschieden. Für ihn und seine Kameradin Minja ist der Dienst aber nicht nur eine persönliche Entscheidung, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung. "Für mich ist das Tapferkeit. Ich will etwas beitragen, dafür sorgen, dass andere in Frieden leben können", erzählt Minja.
Politik ringt um Neustart für Wehrpflicht
Doch das sieht längst nicht jeder so. Die Bundeswehr hat seit dem Aussetzen der Wehrpflicht mit einem enormen Personalmangel zu kämpfen. Laut Wehrbericht sind aktuell rund 20.000 Stellen unbesetzt. Ein Mittel, um dem entgegenzuwirken: ein neues Wehrdienstmodell, bei dem alle jungen Männer ab 18 einen Fragebogen zur Bereitschaft und Eignung ausfüllen müssen. Frauen sollen freiwillig teilnehmen können. Ein vorläufiger Kompromiss. Denn die Union geht mit ihrer Forderung noch weiter. Sie will zurück zum alten Modell und den Wehrdienst wieder zur Pflicht machen.
Von der Schulbank direkt in die Kaserne
Die Diskussion um eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht trifft auch bei Leif einen Nerv. "Das ist natürlich gerade hier auf dem Gelände ein großes Thema", sagt er. "Man kann natürlich nicht jeden zur Bundeswehr schicken. Nicht jeder ist dafür gemacht". Für den 21-Jährigen kommt deshalb nur eine Hybridlösung in Frage, bei der jeder seinen Dienst für Deutschland auch an anderer Stelle leisten könnte, zum Beispiel im Krankenhaus. Ähnlich sieht das auch Kameradin Minja. Auch sie lehnt einen Wehrdienst nicht gänzlich ab. "Ein bisschen Disziplin haben, würde der Gesellschaft sicher guttun", sagt die 18-Jährige.
Experten kritisieren Wehrpflichtdebatte
Schimmel, zu wenig Platz oder alte Elektrik - viele Gebäude der Bundeswehr sind marode. Das zeigt der aktuelle Wehrbericht der Bundesregierung. Ein Sanierungsstau, der auf ambitionierte Pläne der Politik trifft. Severin Pleyer von der Universität der Bundeswehr in Hamburg warnt deshalb vor einer Überforderung des Systems. "Für die Wehrpflicht brauche ich mehr Ausrüstung und die ist momentan einfach nicht vorhanden und die wird auch nicht so schnell auf dem Hof stehen, wie sich das ganz viele Leute wünschen oder denken", kritisiert er. Es sei zudem nicht geklärt, welches Ziel mit der Wiedereinführung eines Wehrdienstes verfolgt würde. "Wie man die Leute einsetzt und was das rechtlich bedeutet, das steht momentan sehr in den Sternen".
Reichen die Kapazitäten der Bundeswehr aus?
Anders sieht das Lutz Kuhn. Er ist Brigadegeneral der Niedersachsenbrigade und verantwortlich für rund 5.000 Soldaten. "Ich kann nicht sagen, ob die Bundeswehr das kann. Ich kann aber sagen, dass die Panzerbrigade natürlich Wehrpflicht könnte", sagt er. Er sei darauf vorbereitet, die offenen Stellen zu füllen und dafür mehr junge Soldaten aufzunehmen. "Man kann auch eine bestehende Infrastruktur - wir sagen da gerne zu - verdichten, so dass wir auch mehr Wehrpflichtige aufnehmen", erklärt der General. Er ist sich sicher: Die Wehrpflicht kann funktionieren, wenn sie gut genug erklärt wird. "Die höchste Attraktivität entsteht aus dem Verständnis des einzelnen Bürgers, dass dieser Dienst notwendig ist, weil die sicherheitspolitische Lage eben so ist, wie es ist".
Gesellschaftlicher Zusammenhalt - oder Eingriff in die Freiheit?
Doch laut ARD-Deutschlandtrend befürwortet nur rund ein Viertel der Deutschen zwischen 18 und 34 Jahren eine Wiedereinführung der alten Wehrpflicht für Männer. 31 Prozent wären für einen Wehr- und Zivildienst für alle Geschlechter. 37 Prozent lehnen eine Wehrpflicht ab. Und auch im Jugendtreff im niedersächsischen Munster gibt es Kritik an dem Vorhaben. In der Stadt liegt der größte Heeresstandort der Bundeswehr, Soldaten gehören hier zum Stadtbild. "Ich glaube, das wäre nicht so meins", sagt Edmir Alihdoc. "Jeder hat seine eigene Meinung. Wer will, der soll und wer nicht will, soll nicht". Ganz anderer Meinung ist sein Kumpel Noah Minzer. Beide sind in Munster aufgewachsen und treffen sich hier im Jugendtreff regelmäßig. "Ich finde es schon wichtig”, sagt Noah. "Haben alle dann auf eine Art auch ein Grundwissen, könnte das im Falle, wenn es sein sollte, schon helfen."
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