Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" haben ihre Hände zusammengeklebt, um eine Straße  zu blockieren. © Bernd Thissen/dpa

Kommentar: Wie sinnvoll sind die Proteste der "Letzten Generation"?

Stand: 23.04.2023 00:01 Uhr

Die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" radikalisieren sich weiter und sind auch mit deutlichen Strafen nicht abzuschrecken. Das wurde in der vergangenen Woche wieder einmal deutlich. Die Überzeugung der Klimaschützer ist bewundernswert, mit ihren Aktionen schaden sie allerdings inzwischen der Sache mehr, als dass sie ihr nutzen.

Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Markus Feldenkirchen ("Der Spiegel")

Ich muss gestehen, dass ich die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" lange Zeit mit einem gewissem Grundwohlwollen betrachtet habe. Weil ich ihnen ihre Sorge um die Entwicklung des Planeten in vollem Umfang abnehme, weil ich ihren Idealismus schätze und sie sogar ein wenig darum beneide: Es ist schon etwas, die eigene Freizeit und zum Teil sogar die eigene Freiheit für ein größeres, ein menschheitsgeschichtliches Ziel zu opfern. Wer bereit ist, für Aktionen auch in den Knast zu gehen, dem geht die Zukunft der Erde zumindest nicht am Allerwertesten vorbei.

Der deutsche Journalist und Schriftsteller Markus Feldenkirchen © Markus Feldenkirchen Foto: Markus Feldenkirchen
Die Klimaaktivisten sollten die Folgen des eigenen Handelns überprüfen und gegebenenfalls überdenken, meint Markus Feldenkirchen.

Mir persönlich ist eine aktive Generation, die aus Wut über eine verantwortungslos bräsige und feige Politik auf die Straßen geht (nicht unbedingt: klebt), jedenfalls lieber als Zeitgenossen, die ihre Zeit, Kreativität und Energie vor allem den Errungenschaften der Unterhaltungselektronik widmen.

Ignoranz der Politik treibt viele Aktivisten an

Das Gefühl von Zorn und Verzweiflung, das viele der Aktivisten antreibt, ist angesichts der Ignoranz der Politik - aber auch vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger - der Klimabedrohung gegenüber durchaus nachvollziehbar. Wenn die Erderwärmung entscheidend gestoppt werden soll, müssen strukturelle Lösungen gefunden werden. Nicht im Kleinen, in den Privathaushalten, sondern ganz oben. Dann muss klimafreundliches Reisen von staatlicher Seite endlich umfassend gefördert werden. Dann muss die Politik ambitionierte ökologische Standards schaffen, nach denen Unternehmen künftig wirtschaften dürfen. Dann muss der Abbau fossiler Energieträger umgehend gestoppt und der Ausbau erneuerbarer Energien endlich beherzt vorangetrieben werden.

Es gibt ja viele, die sich in diesen Tagen, da die "Letzte Generation" die Taktung und den Druck erhöht, ganz versonnen an die jungen Frauen und Männer von "Fridays for Future" erinnern. Weil die so schön höflich und anständig waren, sich stets an Recht und Gesetz gehalten haben. Insbesondere Politiker von FDP und Union scheinen "Fridays for Future" plötzlich furchtbar lieb gewonnen zu haben. Das war auch nicht immer so.

Die "Letzte Generation" erweist dem Klimaschutz ungewollt einen Bärendienst

Womit wir wieder bei der radikaleren Konkurrenz wären, der "Letzten Generation". Auch sie tragen eher nicht dazu bei, dass das Klima energischer und schneller geschützt wird ­ wenn auch aus völlig anderen Gründen. Die gesellschaftliche Ablehnung ihrer Aktionen, sei es das Festkleben auf der Straße oder das symbolische Übergießen von Kunstwerken, ist so eindeutig, so überwältigend und erdrückend, dass ich sagen muss: Die "Letzte Generation" erweist dem Klimaschutz ungewollt einen Bärendienst. Es stimmt, dass sie sehr viel Aufmerksamkeit generieren - aber vor allem für ihre Protestformen an sich. Der notwendige zweite Schritt, dass als Folge über die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen gesprochen wird, erfolgt leider nicht.

Politisch und gesellschaftlich denkende Aktivisten sollten eigentlich in der Lage sein, die Folgen des eigenen Handelns zu überprüfen und gegebenenfalls zu überdenken. Diese Fähigkeit scheint mir bei den meisten Vertretern der "Letzten Generation" nicht allzu ausgeprägt zu sein. Sonst hätten sie den Effekt ihrer Aktionen längst evaluiert - und andere Protestformen entwickelt oder verstärkt. Die Zufahrt eines Terminals für Privatjets zu blockieren, was auch mal geschehen ist, stößt jedenfalls auf eine ganz andere Akzeptanz, als den Weg zur Arbeit von ganz normalen Leuten zu blockieren. Und vielleicht sollte man sich endlich mal auf die Politik als wesentlichen Akteur beim Klimaschutz konzentrieren, statt wahllos irgendwelchen Bürgern zu schaden. Nur mal als kleiner Tipp am Rande. Vielleicht klappt's dann irgendwann auch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz.

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NDR Info | Kommentar | 23.04.2023 | 09:25 Uhr