Aufgeheizte Stimmung bei Bauernprotesten - Entlastungen angekündigt

Stand: 15.01.2024 20:27 Uhr

Tausende Landwirte aus dem Norden haben am Montag in Berlin gegen die Agrarpolitik des Bundes demonstriert. Bundesfinanzminister Lindner wurde vor dem Brandenburger Tor ausgebuht. Die Ampel-Fraktionen wollen die Bäuerinnen und Bauern entlasten. In Niedersachsen gab es weitere Blockaden.

Der Bauernverband und seine Landesorganisationen hatten zum Abschluss der Protestwoche zu einer Kundgebung in Berlin aufgerufen, an der auch Tausende Landwirte aus Norddeutschland teilnahmen. Das Landvolk - der niedersächsische Arm des Bauernverbandes - schätzte, dass 2.000 bis 3.000 Bauern aus Niedersachsen in Berlin protestierten. Auch aus Mecklenburg-Vorpommern ließen sich mehrere Hundert Landwirte blicken. "Das war eine überwältigende Masse an Menschen und Agrar-Fahrzeugen im Zentrum der Hauptstadt", sagte Landes-Bauernpräsident Detlef Kurreck, der mit nach Berlin gereist war. "Damit haben wir noch einmal unsere ganze Entschlossenheit demonstriert."

Unterstützt wurde der Protest von der Transport-Branche, Lkw-Fahrern und Spediteuren. Laut Polizei kamen insgesamt rund 6.000 Fahrzeuge wie Traktoren und Lastwagen in die Hauptstadt. Die Demonstration galt als Höhepunkt der Protestwelle der Landwirte in diesen Tagen.

In Berlin stehen bei einer Großkundgebung von Landwirten zahlreiche Traktoren, Lastwagen und Autos auf der Straße des 17. Juni. © dpa Foto: Monika Skolimowska
AUDIO: Bauernprotest in Berlin - Reaktionen norddeutscher Landwirte (5 Min)

Lindner hält an Kürzungen beim Agrardiesel fest

Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht während einer Protest-Kundgebung von Landwirten in Berlin. © dpa Foto: Sebastian Christoph Gollnow
Während seiner Rede wurde Christian Lindner immer wieder von Pfiffen und Protestrufen der Landwirte gestört.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach bei der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor zu den Versammelten. Er zeigte Verständnis für die Proteste der Bauern und gab zu, die Sparpläne hätten zu schnell zu viel von ihnen verlangt. "Ich höre Sie", sagte er. Es sei klar, dass die deutsche Landwirtschaft wettbewerbsfähig bleiben müsse. "Es darf kein Sonderopfer der Landwirtschaft geben." Deshalb seien die ursprünglich geplanten Kürzungen abgeschwächt worden. Lindner verwies aber auch auf die aktuelle Haushaltssituation, die von allen einen Beitrag fordere. "Ich kann ihnen heute nicht mehr staatliche Hilfe versprechen aus dem Bundeshaushalt", sagte der FDP-Vorsitzende. Es treffe auch andere Branchen wie den Luftverkehr.

Lindners Rede wurde immer wieder von Buh-Rufen aus den Reihen der Landwirte gestört. Reporter berichten von einer äußerst aufgeheizten Stimmung vor Ort.

"Es waren richtig viele da"

Auch Hendrik Benitt aus dem Alten Land hatte mit ein paar befreundeten Landwirten den Weg aus Hamburg-Francop bis nach Berlin auf sich genommen. Allerdings im eigenen Auto und nicht mit dem Traktor. "Da wären wir viel zu lange unterwegs gewesen", sagte der 46-Jährige im Gespräch mit dem NDR. Vom Auftritt des Bundesfinanzministers habe er selbst kaum etwas mitbekommen angesichts der vielen Buh-Rufe. "Ich hätte mir gewünscht, dass man da auch mal etwas Ruhe bewahrt hätte, um ihm zuzuhören." Milchvieh-Halter Henning Münster aus dem Kreis Pinneberg konnte Lindners Rede ebenfalls nicht verstehen. Mit der Demonstration ist er aber zufrieden. "Die Stimmung war gut - und es waren richtig viele da", sagte Münster.

Landwirte: Fahrt nach Berlin hat sich gelohnt

Schleswig-Holsteins Bauernpräsident Klaus-Peter Lucht zeigte sich von Lindners Rede enttäuscht. Zwar habe er eine kämpferische Rede gehalten. Der Finanzminister sei jedoch keinen Millimeter weiter auf die Forderungen der Landwirte zugegangen, so Lucht. Er hofft, dass nun der Haushaltausschuss nach der Sitzung am Donnerstag Bewegung bringt. 

Die Vorsitzende des Vereins "Land schafft Verbindung" in Schleswig-Holstein, Uta von Schmidt-Kühl, teilte mit, die Fahrt nach Berlin habe sich in jedem Fall gelohnt. Weil die Landwirte gezeigt hätten, wie viele sie sind. Sie hätten lautstark gezeigt, dass sie die Politik der Ampel-Regierung ablehnen.

Und MV-Bauernpräsident Kurreck sagte, er hoffe, dass man erkannt hat, dass der Unwille bei den Landwirten und auch in weiten Teilen der Bevölkerung nicht einfach ignoriert werden kann. Es sei nun die Zeit des Dialogs angebrochen und neue, durch den Landesbauernverband organisierte Aktionen werde es vorerst nicht geben. Dennoch wollte Kurreck weitere Proteste nicht gänzlich ausschließen: "Nicht jeder Bauer wird jetzt gleich auf seinen Hof zurückkehren und so tun, als wäre nichts gewesen."

Ampel-Fraktionen wollen Landwirte entlasten

Während die Kundgebung in Berlin noch lief, kamen die Vorsitzenden der drei Ampel-Fraktionen mit Vertretern der Bauernverbände zusammen. Anschließend sagte die Ampel-Koalition der Landwirtschaft Entlastungen zu. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte, die Koalition plane bis zur Sommerpause strukturelle Entscheidungen, die die Betriebe entlasten und ihnen Planungssicherheit geben sollten. Zu einer Agrardebatte am Donnerstag im Bundestag wolle man einen Plan vorlegen, um die Branche zukunftssicher zu machen. In wenigen Wochen solle dann ein Fahrplan mit konkreten Umsetzungsschritten ausgearbeitet werden.

Niedersachsen: Landwirte blockieren Supermärkte

Auch in Norddeutschland gingen die Proteste weiter. In Niedersachsen nahmen Landwirte am Montag Supermärkte ins Visier. Sie blockierten zwischen 50 und 60 Discounter - unter anderem in den Landkreisen Harburg, Lüneburg und Lüchow-Dannenberg. Das führte teils zu leeren Regalen. Auch das Aldi-Zentrallager in Stelle (Landkreis Harburg) war am Morgen von rund 100 Fahrzeugen blockiert worden. Dort und beim Amazon-Zentrum in Winsen (Luhe), das am Morgen von zehn Fahrzeugen blockiert worden war, lief der Verkehr im Laufe des Tages wieder.

Auch in Schleswig-Holstein gab es Proteste. So blockierten Bauern unter anderem erneut Autobahn-Auffahrten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Nachrichten | 15.01.2024 | 11:25 Uhr

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