Stand: 06.07.2022 07:03 Uhr

Vor fünf Jahren: G20-Gipfel in Hamburg

von Elke Spanner und Annika Stenzel

G20-Prozesse

Vor Gericht hat der G20-Gipfel bis heute ein Nachspiel. Immer noch wird Gipfel-Gegnerinnen und -Gegnern der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat insgesamt gegen 1.286 Männer und Frauen ermittelt, deren Identität sie herausfinden konnte. Hunderte Prozesse vor Hamburger Amtsgerichten und Landgerichtskammern gab es bereits. Die Vorwürfe zumeist: Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Polizistinnen und Polizisten, Körperverletzung.

Flaschen auf Polizisten geworfen

Am 28. August 2017 ist der Niederländer Peike S. der erste G20-Gegner, der sich vor dem Amtsgericht verantworten muss. Er soll am Vorabend des G20-Gipfels nach der Auflösung einer Demonstration zwei leere Flaschen auf Polizisten geworfen haben. Der 21-Jährige schweigt zu den Vorwürfen. Das Urteil wird deutschlandweit für Aufsehen sorgen: Der Amtsrichter verurteilt Peike S. zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis. Die harte Strafe begründet er damit, dass Polizistinnen und Polizisten nicht "zum Freiwild der Spaßgesellschaft" von "Krawalltouristen" und "erlebnisorientierten Gewalttätern" werden dürften.

Neue Strategie

Das Urteil spricht sich herum und die meisten Angeklagten setzen auf eine andere Strategie: Sie gestehen, distanzieren sich von ihrer Tat und kommen mit moderateren Strafen davon. So zum Beispiel am 14. September 2017 der Schweizer Rafael G., 29 Jahre alt. Die Vorwürfe gegen ihn sind ganz ähnlich wie die gegen Peike S. Auch er soll zwei Flaschen auf Polizistinnen und Polizisten geworfen haben. Rafael G., geständig und reuig, bekommt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Solche Prozesse und Strafen gibt es in den folgenden Jahren noch hunderte. Auch das Urteil gegen Peike S. wird im Berufungsverfahren abgemildert, auch er bekommt im Januar 2019 schließlich eine Bewährungsstrafe. Er hatte allerdings ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen.

Folgen für die Gerichte

Die juristische Aufarbeitung der G20-Proteste hat aber nicht nur Folgen für die einzelnen Angeklagten. Die Hamburger Gerichte müssen auch eine grundsätzliche juristische Frage beantworten, die Bedeutung für das Demonstrationsrecht in Deutschland insgesamt haben dürfte: begehen Demonstrierende einen (schweren) Landfriedensbruch, wenn sie auf einer gewalttätigen Demonstration mitlaufen, ohne selbst Gewalt auszuüben? Diese Frage spielt in drei zentralen Prozessen eine entscheidende Rolle.

Prozess gegen Fabio V.

Für besonderes Aufsehen sorgt zunächst der Prozess gegen Fabio V.. Der Italiener ist 18 Jahre alt, als er 2017 zu den Protesten gegen G20 nach Hamburg kommt. Am Morgen des 7. Juli läuft er auf der Demonstration von rund 200 Männern und Frauen mit, die am Bahrenfelder Rondenbarg von der Polizei aufgelöst wird. Aus der Gruppe heraus sollen Steine auf Polizistinnen und Polizisten geworfen und Pyrotechnik gezündet worden sein. Außer Frage steht, dass Fabio V. selbst nichts geworfen hat. Dennoch wird er verhaftet.

Lange Untersuchungshaft

Er muss fast fünf Monate in Untersuchungshaft bleiben. Erst am 27. November, als sein Prozess längst läuft, wird er gegen Kaution freigelassen. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn wegen versuchter Körperverletzung, tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und schweren Landfriedensbruchs an. Im Oktober eröffnet das Amtsgericht Altona den Prozess- und der platzt nach langer Verhandlung im Februar 2018 kurz vor dem Urteil, weil die Richterin in Mutterschutz geht. Fabio V. soll nun zusammen mit anderen Angeklagten aus dem Rondenbarg-Komplex vor Gericht gestellt werden. Dazu gekommen ist es bislang nicht.

Ausschreitungen an der Elbchaussee

Auch im Prozess um die schweren Ausschreitungen auf der Elbchaussee am Morgen des 7. Juli sind es eher Mitläuferinnen und Mitläufer, die die Polizei identifiziert und die vor Gericht kommen. Fünf Männer im Alter von 20 bis 26 Jahren werden im Juli 2020 nach eineinhalb Jahren Prozess wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zu Brandstiftung zu Bewährungsstrafen und Arbeitsauflagen verurteilt. Ein Angeklagter kommt wegen weiterer Vorwürfe für insgesamt drei Jahre in Haft. Er hatte als einziger Flaschen- und Steinwürfe eingeräumt. Alle Angeklagten hätten zumindest billigend in Kauf genommen, dass Banken, Versicherungen und Immobilienbüros beschädigt, Barrikaden errichtet und Polizistinnen und Polizisten mit Steinen beworfen wurden, sagt die Vorsitzende Richterin und begründet damit die Verurteilung wegen Landfriedensbruchs.

Kritik an der Staatsanwaltschaft

Dass die Staatsanwaltschaft die fünf jungen Männer für alle beim Aufmarsch angerichteten Schäden verantwortlich gemacht habe, sei aber eine nicht zulässige Pauschalisierung und rechtlich falsch. Die Richterin kritisierte die Staatsanwaltschaft im Urteil scharf: Die habe politische Stimmungsmache betrieben. Selten habe sie auch unter Richterinnen und Richtern "so viel Meinungsmache und Schwarz-Weiß-Analysen" erlebt, so die Vorsitzende Richterin.

Rondenbarg-Prozesse

Wegen des Aufmarsches am Bahrenfelder Rondenbarg am Morgen des 7. Juli hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen 85 Beschuldigte erhoben. Sie waren am Morgen des 7. Juli bei der Demonstration dabei, bei der aus der Menge heraus Polizistinnen und Polizisten mit Steinen beworfen worden sein sollen. Am 3.12.2020 beginnt der erste Prozess im Rondenbarg-Komplex. Fünf junge Männer und Frauen aus dem ganzen Bundesgebiet sollen sich wegen gemeinschaftlichen schweren Landfriedensbruchs, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung verantworten. Weil alle fünf zum Zeitpunkt des G20-Gipfels Jugendliche waren, findet der Prozess vor einer Jugendstrafkammer und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch der Prozess ist kaum gestartet, da setzt ihn die Kammer Ende Januar 2021 wegen der Corona-Pandemie nach nur zwei Verhandlungstagen aus. Es sei den jungen Menschen nicht zuzumuten, in einer Pandemie jede Woche viele Stunden mit dem Zug nach Hamburg zu reisen, heißt es. Es gibt bis heute keinen Termin für einen Neustart.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | 07.07.2022 | 08:00 Uhr

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