Über gutes Entscheiden (nicht nur) in Krisenzeiten
Wie treffen wir gute Entscheidungen, was macht sie aus? Selbst wenn wir uns auf Fakten und Daten einigen können, sind gute Entscheidungen nicht garantiert. Wesentlich ist vielmehr eine Fähigkeit, die wir viel zu selten nutzen: das Denken in Modellen.
Jetzt sind wir in der vierten Welle. Dabei sollte 2021 das Jahr sein, in dem wir die Pandemie hinter uns lassen. Es wird uns nicht gelingen. Stattdessen verbreiten sich auch noch starke Mutationen wie Omikron. Wie kommen wir da wieder raus?
Viele tragen Masken, wünschen sich mehr Geimpfte und mehr verfügbare Booster, um die Inzidenz zu senken. Andere finden das alles übertrieben. Fast jede und jeder hat eine Meinung, welche Entscheidungen zu treffen wären. Und viele sparen nicht mit Kritik. Aber was sind "gute" Entscheidungen? Was macht sie aus? Vor allem: Wie treffen wir sie?
Fakten und Tatsachen vs. Bauchgefühl
In den vergangenen Jahrzehnten zeigten unzählige Studien, wie fehleranfällig menschliches Entscheiden ist. Wir kämpfen mit sogenannten Bias - kognitiven Verzerrungen, die unsere Urteilskraft einschränken. Wir glauben, wir kämen immer bei Rot an die Kreuzung, wählten immer die langsamste Schlange an der Supermarktkasse. Anstatt Zufälle zu akzeptieren, sehen wir überall sogleich Ursachen.

Je mehr wir über unsere Urteils- und Entscheidungsschwierigkeiten wissen, desto lauter rufen manche danach, dem Bauchgefühl mehr zu vertrauen. Selbst die Vorstände großer Unternehmen in Europa geben zu, dass sie sich oft davon leiten lassen. Es mag sich richtig anfühlen. Aber wie wir heute recht eindeutig wissen: Es ist falsch.
Die viel bessere Antwort ist, auf der Basis von Fakten und Tatsachen zu entscheiden. In der Medizin nennt man das evidenz-basiert. In der Pandemie haben wir gesehen, wie gut das funktionieren kann. In nur 14 Tagen wurde der Bauplan des Virus sequenziert und allen Forschenden auf der Welt zugänglich gemacht, in weniger als einer Woche konnte damit der Kern des ersten Impfstoffes entwickelt werden. Seitdem wird getestet und geimpft - und dabei werden riesige Mengen an Daten und Fakten gesammelt. Nach vielen Milliarden verabreichter Impfdosen wissen wir mehr über die Wirksamkeit und Nebenwirkungen dieser Impfstoffe als über viele Medikamente, die wir ganz selbstverständlich einnehmen.
Menschen denken in Frames
Auf der Basis von Daten und Fakten zu entscheiden hilft nicht nur in der Medizin. Es hat das Fliegen dramatisch sicherer gemacht - und das Autofahren. Wir haben damit Entscheidungen getroffen, die unsere Luft gesünder und das Wasser sauberer machten. Es ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, aber sie stößt auch an Grenzen. Das bemerken wir, wenn trotz umfassender Daten Experten ganz unterschiedliche Entscheidungen treffen.
Ein Beispiel: Vor einigen Jahren wurde Westafrika von einem Ebola-Ausbruch heimgesucht. Ebola ist hochansteckend und oft tödlich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die medizinische Hilfsorganisation 'Ärzte ohne Grenzen' waren vor Ort, sammelten und analysierten dieselben Infektionsdaten. Die WHO sah keine Notwendigkeit für einen Lockdown, 'Ärzte ohne Grenzen' schon. Wie ist das möglich?
Weil wir Menschen in Frames denken, in mentalen Modellen der Wirklichkeit. Und die uns vorliegenden Daten aus der Perspektive dieser Frames analysieren. Wir können nicht anders. Wir denken in Frames, wenn wir eine Entscheidung treffen, auch wenn uns das oft gar nicht bewusst ist. Mit diesen Frames meine ich also etwas ganz anderes als das "Framing", von dem die Rede ist, wenn es darum geht, wie etwas am besten kommuniziert werden soll. Hier geht es darum, wie wir Menschen denken. Vom Frame im Kopf hängt nicht nur ab, wie wir Daten analysieren, sondern vor allem, welche Entscheidungsoptionen wir sehen.
Für jede Situation der richtige Frame
Zu Beginn der ersten Welle, im März 2020, mussten Staaten auf der ganzen Welt Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung treffen. In Neuseeland erinnerte sich die Regierung an den SARS-Ausbruch vor fast 20 Jahren. Ihr Frame zielte auf die Eliminierung des neuen Virus. Die Entscheidung war ein radikaler Lockdown. In Großbritannien hingegen verglich die Regierung Covid mit einem schweren Schnupfen. Sie war auf Schadensminderung geframet.
Zwei Monate später war Neuseeland virusfrei, Großbritannien verzeichnete eine Rekordzahl an Toten. Doch es wäre falsch, dem Frame die Schuld zu geben. Nicht der Frame war schlecht. Er passte bloß nicht zur Situation, er war falsch gewählt.
Aber wenn die Situation sich ändert, kann auch ein ursprünglich passender Frame nicht mehr stimmen. Diesen Herbst, verursacht durch die infektiösere Delta-Variante, musste Neuseeland seinen Frame wechseln und konnte nicht länger auf komplette Eliminierung setzen.
Unsere Entscheidungen werden von der Wahl und Anwendung des richtigen gedanklichen Modells bestimmt. Viel hängt davon ab.
- Teil 1: Fakten und Tatsachen vs. Bauchgefühl
- Teil 2: Eine kognitive Superpower, die wir viel zu wenig nutzen
