Ein letztes Mal an der Uhr drehen? Vom Unsinn der Zeitumstellung
Der Biologe und Wissenschaftsjournalist Peter Spork meint, dass es Zeit ist, mit der Zeitumstellung Schluss zu machen. Und er erinnert daran, wie der Griff an die Zeiger zustande kam.
Es ist der 7. April 1980 in Deutschland. Aufgeschreckt durch die Ölkrise wünscht sich die Regierung einen geringeren gesellschaftlichen Energieverbrauch und gräbt eine Idee aus den letzten beiden Weltkriegen aus. Die Menschen müssen dafür nicht viel tun: Sie sollen einfach eine Stunde früher zur Arbeit, an die Uni oder in die Schule gehen. So würden sie das kostbare abendliche Tageslicht besser ausnutzen.
Heute, gut vier Jahrzehnte später, verstehen wir nicht, wie die Menschen sich darauf einlassen konnten. Eine ganze Stunde früher aufstehen? Jeden Arbeitstag. Sieben Monate lang bis Ende Oktober? Warum ist niemand auf die Straße gegangen? Warum hat sich niemand geweigert? Vier Fünfteln der Bevölkerung fällt es doch ohnehin schon schwer genug, immer und immer wieder vom Wecker getrieben das Bett zu verlassen. Wer von denen sollte freiwillig noch früher aufstehen?
Die Lösung - warum es bis heute keine gigantische Protestbewegung gegen die so genannte Sommerzeit gibt - verbirgt sich hinter einem Trick, von dem sich viele noch immer täuschen lassen: Wenn jedes Jahr im März das Frühaufstehen beginnt, fordert niemand, die Menschen sollten früher aufstehen. Man sagt ihnen schlicht, sie müssten die Zeit vorstellen - ganz so, als läge es in unserer Macht, die Rotation der Erde zwischenzeitig zu beschleunigen.
Siebenmonatiger Mini-Jetlag
Doch die Zeit kann niemand verstellen - zumindest nicht, ohne quer zum Erdball zu verreisen. Weil unsere Biologie sich daran rasch anpasst, ist es zwingend nötig, auch die Uhren anzupassen. Sie sollten die Zeit anzeigen, die auch für unsere inneren Uhren - unser biologisches System gilt: Es ist die Zeit, bei der die Sonne ihren höchsten Stand ungefähr um 12 Uhr mittags erreicht. Und die bleibt - sofern wir nicht verreisen - das ganze Jahr über gleich, ist unabhängig von der Jahreszeit.
Wenn wir aber - wie jedes Jahr im März - gar nicht verreisen und dennoch die Uhren verstellen - vielleicht weil wir glauben, der Sommer käme dadurch schneller - wechseln wir in Wahrheit in die Zeitzone der Osteuropäischen Normalzeit, leben aber weiterhin in Mitteleuropa. Den resultierenden Mini-Jetlag erleben wir dann nicht nur am vermeintlichen Reisetag, er kommt mit Abstrichen jeden Tag wieder, sieben Monate lang, bis Ende Oktober.
Nehmen wir an, jetzt endlich begreifen wir unseren Irrtum und stellen die Uhr zurück - was wir ja in der kommenden Nacht tatsächlich tun werden. Dann werden wir nicht nur für ein bis drei Nächte besonders lange und erholsam schlafen, weil uns eine Stunde Schlafenszeit geschenkt wurde. Ein Teil dieses Effekts wird bleiben, er wird den ganzen Winter durch weiter wirken.
Denn wir schlafen von nun an wieder besser im Einklang mit der tatsächlichen, der physikalischen, der äußeren Zeit. In der Regel werden wir etwas leichter und zeitiger einschlafen, und wir werden etwas weniger Probleme haben, morgens aus den Federn zu finden. Der Grund ist simpel: Die Zeit auf unseren Uhren stimmt besser mit der biologischen Zeitmessung in unserem Körper, in unseren 38 Billionen Zellen, überein.
Zeitumstellung: Wir drehen an den Zeigern der sozialen Zeitmesser
Natürlich wird dieser Effekt in den ersten Wochen am größten sein, und natürlich betrifft er nicht jeden von uns gleichermaßen stark. Menschen leben in sehr unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen und ihre biologischen Uhren ticken verschieden. Aber gesamtgesellschaftlich gesehen werden rund 80 Prozent der Bevölkerung in den kommenden Monaten mehr als sonst schlafen, weil sie wieder in der richtigen Zeitzone leben. Sie werden kreativer, leistungsfähiger und gesünder sein. Die Gesellschaft insgesamt wird dadurch eine Menge Geld sparen.
Denn während wir uns einreden, wir würden die Zeit verstellen, drehen wir tatsächlich nur an den Zeigern der sozialen Zeitmesser. Die Uhren bestimmen, wann wir uns mit anderen treffen, wann Geschäfte schließen und Züge abfahren, wann wir im Büro sein müssen. Darüber, wie wir biologisch ticken, bestimmen sie nur indirekt und in geringem Maße.
Messbarer Nachteile durch die Zeitumstellung
Als die Deutschen im Jahr 1916 zum ersten Mal kollektiv die Uhren verstellten, kannten sie die Wissenschaft der biologischen Zeitmessung noch nicht. Und auch in den Jahren 1940 und 1980 beim zweiten und dritten Anlauf, sah man keine Gesundheits-Gefahren. Man sah nur Vorteile für die Wirtschaft: Es würde weniger Energie verbraucht, diese würde günstiger werden.
Dass die Rechnung nicht aufgegangen ist, haben Wissenschaftler*innen längst mehrfach belegt. Hinzu kommen eine Reihe messbarer Nachteile, bis hin zum vermehrten Auftreten von Verkehrsunfällen, Infarkten oder Arbeitsausfällen direkt nach der so genannten Zeitumstellung.
Die Mehrheit der Menschen ist deshalb schon lange gegen die Umstellerei. Die EU-Kommission hat sich bereits für die Abschaffung ausgesprochen. Der EU-Verkehrsausschuss wollte dies schon 2021 erledigen. Doch wichtigere Probleme kamen dazwischen: die Corona-Pandemie, die beginnende Klimakatastrophe. Und natürlich wird niemand bezweifeln, dass diese und viele andere Aufgaben eine größere Bedeutung haben - aber sie sind auch bei weitem nicht so leicht zu lösen.
Würden wir heute beschließen, die Uhren morgen ein letztes Mal zu verstellen, müssten wir nichts weiter tun. Wir sparten in Zukunft sogar Geld. Und wir erreichten viel für die Gesundheit, Kreativität und Leistungsfähigkeit der ganzen Gesellschaft. Sogar die Wirtschaft profitierte.
- Teil 1: Siebenmonatiger Mini-Jetlag
- Teil 2: Welche Zeitzone ist die richtige?