
Sarrazin-Buch: "Gefragt sind jetzt echte Experten!"
Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin stellte in dieser Woche sein neues Buch vor: "Feindliche Übernahme - wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht". Eines ist jetzt schon sicher: Sarrazins Thesen werden auch dieses Mal wieder für heftige Kontroversen sorgen. Doch wie am besten umgehen mit dem umstrittenen Autor und seinem neuen Werk?
Ein Kommentar von Canan Topçu
Ich habe mich durch das Buch gequält. Und ich gestehe: Nicht jede Seite habe ich von Anfang bis Ende lesen können. Dieses Buch ist eine Zumutung für all die, die gegen Pauschalisierungen sind. Es ist eine Zumutung, weil der Autor im Vorwort ankündigt, Fakten nicht voreilig interpretieren zu wollen, aber genau das macht.
Seine These ist schnell wiedergegeben: Der Islam ist eine Bedrohung. Er selbst hat das im Vorwort als Frage so formuliert: "Inwieweit bildet der Islam (in seinem ganzen Schillern von Religion bis zur politischen Ideologie) und inwieweit bildet die Einwanderung von Muslimen nach Europa eine Gefahr für die Zukunft der westlichen Gesellschaft und für unser Lebensmodell?“"
Er erklärt nicht, was er mit "unser Lebensmodell" meint und unter der Kultur versteht, die er für die einzig richtige hält. Dabei lässt Sarrazin außer Acht, dass Kultur nicht statisch ist und auch nie war. Und er meint allen Ernstes, dass eine restriktive Migrationspolitik erforderlich sei, damit Muslime in diesem Land nicht zur Mehrheit werden.
Sarrazin nimmt den Islam vor allem als Bedrohung wahr
"Feindliche Übernahme" ist geschrieben worden, um darzulegen, wie bedrohlich der Islam und die Muslime vermeintlich sind. Das Buch erscheint zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Die rassistischen Ereignisse in Chemnitz sind auch das Ergebnis der Enttabuisierung, zu der Sarrazin maßgeblich beigetragen hat - mit seinem vor acht Jahren veröffentlichten Buch "Deutschland schafft sich ab".
Ich befürchte, dass all jene, die Muslime und Migranten für alles Schlechte hierzulande verantwortlich machen, einmal mehr in ihren Ansichten bestärkt werden; Sarrazin wird diese Menschen, auch ohne dass sie das Buch gelesen haben, in ihrem Gefühl bestärken, immer mehr verdrängt zu werden im eigenen Land. Dafür werden die Medienberichte über "Feindliche Übernahme" genügen.
Auch die Medien tragen Verantwortung
Wäre es daher nicht sinnvoll, das Buch des allzu besorgten deutschen Bildungsbürgers zu ignorieren? Keine Zeile zu verlieren über die 450 Seiten, weil ja auch Verrisse die Aufmerksamkeit auf Bücher und Autoren lenken. Überließe man dann aber nicht das Feld denen, die Sarrazin und seine Ansichten bejubeln? Das ist ein Dilemma. Und dieses Dilemma lässt sich eigentlich nur so auflösen: besonnen reagieren und das Buch sachlich und mit fachlicher Expertise auseinandernehmen.
Gefragt sind daher jetzt echte Experten! Die Betonung liegt auf echte. Es sollten sich Theologen, Islamwissenschaftler, Soziologen und Sozialpsychologen zu Wort melden. Ich wünsche mir, dass sie nicht darauf warten, gefragt zu werden, sondern selbst die Initiative ergreifen und ihre Expertise anbieten. Sie sollten uns Laien erörtern, was an Sarrazins Koraninterpretation problematisch ist und was sonst so alles falsch ist in diesem Buch.
Kolleginnen und Kollegen lege ich ans Herz, genau zu prüfen, wen sie zu Wort kommen lassen. Die üblichen Islamkritiker werden nur Öl ins Feuer gießen und selbsternannte Experten mit ihrem Halbwissen die Diskussion nicht substantiell weiterbringen.
Auf besonnen geführte Debatten kommt es nun an
Der Weg zum gesellschaftlichen Frieden führt auch nicht über das Ignorieren von Problemen, die es zweifelsohne auch gibt in den muslimischen Communities. Und diese Probleme werden ja durchaus benannt - so etwa von Ahmed Mansour in seinem Buch "Klartext zur Integration: Gegen falsche Toleranz und Panikmache".
Nur über besonnen geführte Debatten sind positive Entwicklungen möglich - und nicht durch Anstacheln zum Streit, was, wie jetzt in Chemnitz, sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen kann.