Stand: 26.05.2017 12:54 Uhr

Muslime auf dem Evangelischen Kirchentag

Der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg hat für viele Christen eine ganz besondere Bedeutung. Vor allem wegen des 500-jährigen Jubiläums der Reformation. Doch der Kirchentag wird auch überschattet vom Bombenanschlag in Manchester. Umso wichtiger, mehr denn je auf Dialog und Begegnung zu setzen. Und dazu beizutragen, einen anderen Blick auf den Islam zu werfen.

Von Brigitte Lehnhoff

Berlin, die evangelische Kirche St. Thomas in Kreuzberg. Drei Musiker begleiten auf Buzuk, Laute und Kontrabass eine Kalligraphie-Performance. Der Künstler Shahid Alam schreibt in arabischer Schrift "Du siehst mich" - das Motto des Kirchentags. Seine Handarbeit mit Metallfeder und Tinte wird im Großformat auf eine Leinwand übertragen. Und 250 Besucher verfolgen gebannt, wie ein Kunstwerk entsteht.

"Wir möchten, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kirchentags praktische Erfahrungen mit Spiritualität und Glauben erleben können" sagt Stefanie Rentsch. "Das heißt zum Beispiel auch, dass sie teilnehmen können an einer Veranstaltung, wo Kalligraphie gezeigt, aber auch erstellt wird und mit Körpern spürbar ist."

"Religion ist nichts Dogmatisches"

Stefanie Rentsch ist beim Kirchentag zuständig für den Bereich Gesellschaftspolitik. Das Programm sei mit Experten aus dem interreligiösen Dialog und aus muslimischen Gemeinschaften entwickelt worden: "In der Diskussion mit diesen Spezialisten ist entschieden worden, dass diese Konfliktthemen nicht im Zentrum stehen sollen. Sondern es sollen Fragen im Zentrum stehen wie Spiritualität und Glaube, Glaube und Alltag, aber auch Humor. Und besonders die Frage der Jugend. Das heißt, wir haben beschlossen, querzudenken und uns nicht an den üblichen Konfliktthemen entlangzuhangeln."

Was ist Kirchentag?

Der Deutsche Evangelische Kirchentag findet alle zwei Jahre statt. Das Fest des Glaubens mit rund 100.000 Teilnehmern versteht sich vor allem als ein Forum für Laien. Auch gesellschaftspolitische Themen spielen eine wichtige Rolle. Der 36. Evangelische Kirchentag vom 24. bis 28. Mai in Berlin und Wittenberg ist 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr.

So ging es beispielsweise um Koran und Bibel: Wie sind diese identitätsstiftenden Schriften entstanden, welche Ansätze gibt es, sie zu verstehen und welche Motive stecken dahinter? Die islamische Theologin und Religionspädagogin Noah Abdel-Hady aus Hamburg moderierte diese Veranstaltung: "Die Chance war für mich, die Vielfältigkeit der Interpretationen und den Rahmen der Religion aufzuzeigen. Dass Religion etwas nicht Dogmatisches ist, was starr ist und nicht flexibel ist und sich nicht den Lebensumständen der Menschen anpasst. Und dieses Bild einfach zu durchbrechen. Dass es verschiedene Zugänge zu den Texten geben kann."

Abdel-Hady war bereits zum dritten Mal eingeladen, den Kirchentag mitzugestalten. Diese Plattform sei angesichts des jüngsten Anschlags in Manchester besonders wichtig: "Religion wird heutzutage stark instrumentalisiert für menschenfeindliche Ansichten. Sie wird benutzt für bestimmte Ideologien, die nicht dem Geist der Religion entsprechen", bedauert Abdel-Hady.

Politischer Poetry-Slam

"Das Paradies ist nicht weit entfernt, um genau zu sein, nur einen Knopf. Ich zieh die Skimaske über meinen Kopf, ich hebe die Hände und dann bete ich zu meinem Gott, denn ich mach heute den Internet-Dshihad." Sami El-Ali

Politisch wird es dann doch auf dem Kirchentag. Sami El-Ali, muslimischer Poetry-Slamer aus Berlin, setzt sich kritisch mit Selbstmordattentätern auseinander. Das trifft nach Manchester ganz die Gemütslage des jungen Publikums. Als er sich musikalisch zu einer persönlichen Sinnkrise bekennt, fühlen sich die jungen Leute vollends verstanden.

Das Freitagsforum zum Nachhören
Podiumsdiskussion beim 36. Deutschen Evangelischen Kirchentag © Deutscher Evangelischer Kirchentag
4 Min

Muslime auf dem Kirchentag

Brigitte Lehnhoff hat das Zentrum Muslime und Christen auf dem Evangelischen Kirchentag besucht. 4 Min

"Was mich persönlich bewegt, hierher zu kommen oder generell Poetry-Slam zu machen, ist zum einen die Liebe zur Kunst, zum anderen aber auch die Motivation, als Muslim in Deutschland seine Meinung zu sagen, etwas bewegen zu wollen", erklärt El-Ali. "Es wird immer sehr viel über Muslime gesprochen und daher möchte ich als muslimischer Deutscher selbst mal über die Muslime reden. Ich finde es auch eine Form des Respekts, dass man eine Einladung bekommt und diese Einladung auch annimmt und sagt: Danke schön, ich mache gerne mit und leiste einen Beitrag dazu."

Das Konzept der Kirchentagmacher, querzudenken, scheint aufzugehen. Die Veranstaltungen im Zentrum Muslime und Christen sind durchweg sehr gut besucht. Mit Spannung erwarten die Organisatoren nun, ob das auch morgen Abend der Fall sein wird. Wenn die Sehitlik-Moschee einlädt zum Fastenbrechen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 26.05.2017 | 15:20 Uhr

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