DITIB Jugendstudie 2021: Junge Muslime fordern Wandel
Welche Einstellungen haben junge Musliminnen und Muslime, die sich im Moscheeverband DITIB engagieren? Zu dieser Frage hat die DITIB eine Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse liegen nun vor.
Die Erziehungswissenschaftler Harry Harun Behr und Meltem Kulaçatan von der Goethe Universität in Frankfurt am Main haben die Studie im Auftrag der DITIB durchgeführt. Auf die Ergebnisse habe der Moscheeverband, einer der bundesweit größten, keinen Einfluss gehabt, sagen die Autoren. Sie haben die rund 500 Fragebögen ausgewertet, und die gäben ihrer Ansicht nach einen repräsentativen Eindruck der Einstellungen junger DITIB-Mitglieder.
"Die jungen Menschen verstehen sich vor allem als deutsche Musliminnen und Muslime mit heterogenen Herkünften - die mehrsprachig groß geworden sind und die sich in verschiedenen Milieus sehr sicher bewegen können", sagt Studienautorin Meltem Kulaçatan. Ihre eigene Religion sehen die jungen DITIB-Mitglieder mehrheitlich als einzige wahre an - aber die anderen Religionen hätten auch ihre Berechtigung: "Es ist ganz klar, die eigene ist die beste Religion. Sie hat die besten Vorbilder und man kann sich da am besten orientieren, was ganz logisch ist: Es ist die grundeigene Sozialisation."
Angst vor Ablehnung
Aufgewachsen sind sie häufig in Deutschland - und nehmen das Land auch als eine ihrer Heimaten wahr. Aber die jungen Musliminnen und Muslime haben auch Angst, abgelehnt zu werden, sagt Meltem Kulaçatan: "Sie erklären häufig: Mein Land macht es mir schwer, mein Land liebt mich nicht. Da werden Begriffe auf der Beziehungsebene genannt."
Diskriminierungserfahrungen bereits in der Schulzeit spielen in den Antworten eine große Rolle. Betül Cinar ist die Vorsitzende des Landesverbands der DITIB-Jugend in Niedersachsen und Bremen. Die 24-Jährige hat selbst schon solche Erfahrungen gemacht - wegen ihres Kopftuchs: "Man wird dann angesprochen oder man wird zur Seite gedrückt oder man wird geschubst, man wird angespuckt. Es sind nicht nur verbale Dinge, die man abbekommt, sondern es sind die kleinen Dinge im Alltag, die unsere Jugendlichen sehr beschäftigen."
DITIB-Nachwuchs möchte Moscheeverband verändern

Trotzdem planen die Jugendlichen eine Zukunft in Deutschland, sagt Studienautorin Kulaçatan - und der DITIB-Nachwuchs möchte seinen Moscheeverband verändern: "Das, was sich die jungen Menschen wünschen, sind Gelehrte, sowohl männliche als auch weibliche, die pädagogisch fit sind, die sprachlich fit sind - also deutschsprachig sind - und die sich mit ihrer Lebenswelt auskennen." In den Predigten hoffen die Mitglieder der DITIB-Jugend auf andere Themen wie Migration, Klimawandel und Armut.
Man nehme die Forderungen der Jugendlichen ernst, sagt Zekeriya Altuğ vom DITIB-Bundesverband: "Die DITIB bildet seit 2007 deutschsprachige Theologen aus und gleichzeitig werden wir ständig dahingehend beschuldigt, deutschsprachige Imame in unseren Moscheen nicht zuzulassen."
Murat Kayman sieht das anders. Bis vor etwa vier Jahren war er selbst als Justitiar im DITIB-Bundesverband aktiv. Dann ist der Anwalt ausgetreten. Heute sagt er: Nach dem Putsch-Versuch 2016 in der Türkei sei der Einfluss der türkischen Religionsbehörde insbesondere auf den Bundesverband immer größer geworden: "Deshalb glaube ich, dass tatsächlich der Bundesjungendverband - egal wie gutmeinend und wohlwollend die jungen Leute sich da engagieren wollen - von einem Organisationsrahmen umfasst ist, der diese Arbeit sich nicht entfalten lassen wird, sondern eher ersticken wird."
Die Befragten hoffen, dass der Moscheeverband sich weiter öffnet - auch für nicht-muslimische Organisationen. Andererseits möchten die meisten nur einen Muslim oder eine Muslimin heiraten. Es sei im Alltag einfacher, mit einem Muslim verheiratet zu sein - egal welche Sprache er spricht, sagt auch die Landesverbandsvorsitzende Betül Cinar: "Wenn ich fünf Mal am Tag bete, dass mein Partner dann auch betet oder wenn ich im Ramadan faste und mein Fastenbrechen habe, dass ich dann auch mit meinem Partner gemeinsam diesen Weg gehen kann - das wünsche ich mir einfach."
Junge Mitglieder fordern Distanzierung der DITIB von der Türkei
Und noch einen Wunsch geben die jungen DITIB-Mitglieder an: Der Moscheeverband solle sich stärker von der Türkei distanzieren. Die Nachwuchsmitglieder belaste es, als Repräsentantinnen und Repräsentanten der unterschiedlichen Regierungspolitiken in der Türkei angesprochen zu werden, sagt Studienautorin Kulaçatan: "Das ist auch ein Faktor, der sie intern sehr belastet und den sie auch kritisieren. Das machen die befragten jungen Menschen tatsächlich an der Generation fest."
Es sei die ältere Generation, die anders sozialisiert sei und ihr Leben mit Blick auf eine mögliche Rückkehr in die Türkei gestaltet habe. Die junge Generation aber möchte sich langfristig ein Leben in Deutschland aufbauen, sagt Kulaçatan. Deswegen sei es für die Zukunft der DITIB wichtig, die Kritik der jungen Mitglieder ernst zu nehmen und schon jetzt einen Generationenwechsel vorzubereiten.
Die Studie wurde im Beltz Verlag veröffentlicht:
Harry Harun Behr / Meltem Kulaçatan, DİTİB Jugendstudie 2021. Lebensweltliche Einstellungen junger Muslim:innen in Deutschland, Beltz Juventa Verlag, 185 Seiten, ISBN: 978-3-7799-6936-5, 24,95 Euro.
