Bundesweit einmalig: Christlich-muslimische Kita in Gifhorn
Die Debatte um Integration und Rassismus in Deutschland ist nach den Vorwürfen von Mesut Özil neu entbrannt. Als Deutscher mit türkischen Wurzeln bleibe man immer der Ausländer, selbst wenn man es zum deutschen Nationalspieler geschafft habe, so Özil. Müssen wir bei der Integration eventuell noch früher ansetzen? In Gifhorn in Niedersachsen eröffneten Christen und Muslime nun die bundesweit erste Kindertagesstätte, die von beiden Religionen gemeinsam getragen wird.
Es hat zwar gedauert. Nun sind aber 15 Plätze in der Kindertagesstätte "Abrahams Kinder" vergeben. An Jungen und Mädchen, die zu fast gleichen Teilen aus muslimischen und aus christlichen Familien kommen. Wenn dann Anfang August der Betrieb offiziell beginnt, wird es so lebhaft zugehen wie in jeder anderen Kita.

Das Erziehungskonzept orientiert sich an der Montessori-Pädagogik, legt also großen Wert auf Selbstständigkeit. Die Kinder - im Alter vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr - sollen aber auch, so Yurtsever Rayman, eine sogenannte "positive Toleranz" lernen und leben. "Wenn man von vornherein miteinander aufwächst, mit bekannten Regeln, christlich, muslimisch - die Kinder wissen schon, was das ist. Das ist schon für mich positive Toleranz."
Achtsamkeit und Respekt von klein auf einüben
Yurtsever Rayman ist Vorstandsvorsitzender der DITIB-Moschee in Gifhorn. Im Vorstand des Kindergartenkomitees arbeitet er eng mit Martin Wrasmann zusammen. Der Pastoralreferent im Bistum Hildesheim und Vorsitzende des Komitees betont: "Neben den gemeinsamen Festen, die wir entwickeln wollen - das Erntedankfest etwa - werden wir an Weihnachten oder am Opferfest daran arbeiten, was dem anderen wichtig ist. Wir werden nicht jedes Fest feiern, aber die Bedeutung jedes Festes herausheben, um das gemeinsam zu lernen."
Es wird darum gehen, Achtsamkeit und Respekt einzuüben, sagt Wrasmann, und diese Haltungen auch gemeinsam mit den Eltern zu entwickeln: "Hier kommen Eltern - die einen, die haben sich positiv entschieden, hierher zu gehen, die anderen haben den Platz gekriegt, weil sie woanders keinen gekriegt haben. Das müssen wir erst einmal zusammenbringen. Manche sagen auch, Mensch, da haben wir die Karte gezogen, die wir eigentlich nicht ziehen wollten."
Intensive Zusammenarbeit mit den Eltern

Linda Minkus, Katholikin, 29 Jahre alt, wird die kleine Kita künftig leiten. "Das Spannende an dieser Aufgabe wird die intensive Arbeit mit den Eltern sein. Was nach meiner Erfahrung eher immer ein bisschen abgenommen hat, was hier aber ganz anders gelebt werden muss und was wir hier auch können." Den Stellenwert der Elternarbeit macht Minkus auch daran fest, dass dafür ein eigener Raum hergerichtet wird.
Das interreligiöse Experiment ist umstritten
Martin Wrasmann sieht noch andere Herausforderungen: "Die Anfeindungen von außen. Wir kriegen dermaßen politischen Druck, von der rechten Seite, aber auch von den Hardlinern unserer eigenen jeweiligen Religionen."
Viele Katholiken stören sich an der Zusammenarbeit mit der DITIB, weil deren Imame direkt der türkischen Religionsbehörde unterstellt sind, erläutert Martin Wrasmann. In kritischen Gesprächen argumentiert er dann mit der guten interreligiösen Zusammenarbeit in der Stadt. Die zeige sich auch darin, dass im Kindergartenkomitee ein Vertreter der kurdischen Gemeinde sitze. Das interreligiöse Experiment ist aber auch unter Muslimen umstritten, weiß Yurtsever Rayman. "Einige haben Bedenken, dass die Kinder christlich erzogen werden, dass sie ungläubig werden, ja. Aber andererseits gehen die Kinder auch in den normalen Kindergarten, genauso wie hier."
Dialog als Chance und Bereicherung für beide Seiten
Die DITIB-Gemeinde macht mit der Kita einen ersten Schritt, muslimische Wohlfahrtsarbeit zu professionalisieren. Partner und Mitträger des Projekts ist die Gifhorner katholische Gemeinde St. Altfrid. Die örtliche evangelische Gemeinde darf sich nicht beteiligen. Denn die Hannoversche Landeskirche will keine Kitas in Mischträgerschaft. Leitung, Arbeitsrecht und Grundausrichtung sollen evangelisch geprägt sein.
Eingesprungen ist die Dachstiftung Diakonie. Deren theologischer Leiter Hans-Peter Daub sieht vor allem die Chancen des Projekts. "Ich glaube nicht, dass wir unsere Identität dadurch klären, dass wir uns abgrenzen", stellt Daub fest. "Es ist viel, viel leichter zu spüren, was evangelisch sein bedeutet, im offenen und freundschaftlichen Dialog mit Menschen anderer Religionen, anderer Traditionen. Dann spüre ich auf eine sehr unverkrampfte und oft auch humorvolle Weise, was das Eigene ausmacht."
Fast vier Jahre haben die Planungen gedauert. Hatice Kekeç, 34 Jahre alte Muslima und eine der vier Erzieherinnen, freut sich nun auf die ersten Kinder und deren Eltern: "Ich träume davon, dass wir unser Ziel erreichen: Zusammen sind wir stark. Dass wir das erreichen."
