Eine Frau steht lächelnd und mit verschränkten Armen vor einer Ausstellungswand. © Franziska Taffelt / Save the Children Foto: Franziska Taffelt

Kinder und Krieg: Fotografien von Dominic Nahr im Meldorfer Dom

Stand: 05.05.2022 13:12 Uhr

Im Meldorfer Dom im Kreis Dithmarschen findet momentan die Ausstellung "Ich lebe" statt. Dort sind elf bewegende Geschichten von Kindern zu sehen, die in den vergangenen 100 Jahren irgendwo auf der Welt einen Krieg erlebt und überlebt haben.

von Peter Bartelt

Die Geschichten hinter den Fotos reichen vom Ersten Weltkrieg bis heute. Die Wanderausstellung zeigt Fotos, die anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Hilfsorganisation "Save the children" zusammengestellt worden sind. Fotografiert hat die Kinder Kriegsfotograf Dominc Nahr. "Für das Werk 'Ich lebe' habe ich elf Menschen fotografiert. Egal ob in Kambodscha oder Deutschland, Kindsein im Krieg ist immer das Gleiche." Die Bilder von Dominic Nahr sind Einblicke in Seelen von Erwachsenen, die durch Kriegserlebnisse als Kind tiefe Narben davongetragen haben und Erinnerungen, die sich bis heute eingebrannt haben. So wie bei Evelyn Brix aus Berlin, die sich vor allem an den Hunger direkt nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. "Es war so etwa 1946, eine Zeit, wo wir sehr wenig zu essen hatten, wir bekamen zwei Mal die Woche eine zusätzliche Speisung, das nannte sich Schwedenspeisung. Ich erinner mich an Nudelsuppe und Butterbrötchen mit Kakao, das war eine richtige Freude."

Die Idee zu der Ausstellung "Ich lebe" hatte Martina Dase

Die Idee zu dieser Ausstellung und zu dem Bildband "Ich lebe" hatte Martina Dase, die in Meldorf aufgewachsen ist. Und sie kennt jede einzelne Geschichte der dort abgebildeten Menschen, wie die von Vanessa aus Ruanda, die den Genozid 1994 in ihrem Land überlebt hat. Ob ihre Eltern noch leben, weiß sie nicht. "Vanessa war sehr niedergeschlagen, auf einem Bild sieht man noch mal, wie sie weint, als sie ihre Geschichte erzählt und auf einem anderen sieht man sie mit ihrer Tochter. Und das ist ein Phänomen: Dass die Kriegstraumata auf die nächste Generation übertragen werden. In Ruanda sind es 20 Prozent."

Eine Zeitreise durch 100 Jahre Krieg - die Suche nach Zeitzeugen

Die Ausstellung ist eine Zeitreise durch 100 Jahre Krieg, angefangen kurz nach dem Ersten Weltkrieg, als sich "Save the children" in England gründete, um Kindern in Not zu helfen. Aber eines war für Martina Dase klar: Wenn sich kein Zeitzeuge findet, der den Ersten Weltkieg als Kind erlebt hat, dem nach dem Krieg durch "Save the children" geholfen wurde und der sich noch daran erinnert, dann scheitert das ganze Projekt. Die Suche nach der 100 Jahre alten Nadel im Heuhaufen. "Bei den über 100-Jährigen war es extrem. Wir haben in einem Bildband über 100-Jährige gesucht, beim Bundespräsidenten haben wir angefragt und sind gescheitert. Dann habe ich jemanden gefunden, der war aber inzwischen nicht mehr klar im Kopf. Und dann haben wir einen Zeitungsaufruf gestartet und da hat dann eine Frau angerufen und gesagt: 'Mein Onkel könnte jemand sein'." Dieser jemand war Erich Karl, Jahrgang 1914 und vitale 105 Jahre alt, als Martina Dase ihn zum ersten Mal traf. Ein absoluter Glücksfall. "Diese Lebenserfahrung hat ihn besonders gemacht und als er das Buch sah, hat er gesehen, ich bin nicht allein mit meinem Schicksal und er hat gesagt: 'Ich bin jetzt einer von diesen Menschen aus der ganzen Welt, da sag' ich Dankeschön!'"

Zeitzeuge Erich Karl war eine Bereicherung

Erich Karl hat die Ausstellung im auswärtigen Amt in Berlin noch selbst besucht, im vergangenen Sommer ist er im Alter von 107 Jahren gestorben. Doch das ist nicht das Ende, denn es gibt nicht nur zehn Menschen aus zehn Dekaden Krieg, sondern auch das Baby Rajia aus Myanmar. "Uns war es wichtig, dass wir nicht aufhören, sondern dass die Geschichte von 'Save the children' weitergeht, deswegen elf Geschichten, deswegen ist Rajia dabei - als Hoffnungsschimmer, dass es besser werden kann. Es geht ihr gut - und das ist das Schöne."

Die Wanderausstellung "Ich lebe" im Meldorfer Dom ist noch bis zum 22. Mai zu sehen, die nächste Station sind dann die Vereinten Nationen in Genf.

Weitere Informationen
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Die Johanniskirche in Meldorf wird umgangssprachlich als Meldorfer Dom bezeichnet. Sie ist die wichtigste Kirche in Dithmarschen und an der Westküste. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 05.05.2022 | 11:20 Uhr

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