Ein Mann mit grauen, kurzen Haaren schaut freundlich nach vorne. Er trägt ein weißes Hemd und darüber ein dunkelblaues Sacko. © picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm Foto: Wolfgang Kumm

documenta fifteen: Diskussionen und Vorwürfe oder Kunst?

Stand: 15.06.2022 08:57 Uhr

Bereits ab heute können Medienvertreter und Fachbesucher die 32 Ausstellungsorte der documenta fifteen besuchen. Bisher seien 54.000 Tickets verkauft, heißt es von der documenta auf Anfrage. Das seien erheblich mehr als zum selben Zeitpunkt bei der documenta 14.

Das Interesse für die documenta ist groß. Aber ein bisschen fragt man sich: Wollen die Menschen die Kunst sehen oder geht es vor allem um die Diskussionen und Vorwürfe, über die seit Wochen berichtet wird? Das Kuratoren-Kollektiv präsentiere Politik-Aktivismus statt Kunst, so die Kritik. Außerdem steht der Antisemitismus-Vorwurf im Raum: Unter den eingeladenen Künstlern sei keine einzige israelische Position, bemängeln vor allem Vertreter jüdischer Organisationen. Eine vorab geplante Debattenreihe zum Thema Kunstfreiheit wurde kurzfristig abgesagt. Einer, der damals auch eingeladen war mitzudiskutieren ist Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main.

Herr Prof. Mendel mit welchem Gefühl fahren sie nach Kassel zur documenta?

Meron Mendel: Eigentlich mit großer Neugier und Freude. Ich freue mich alle fünf Jahre auf die documenta, das ist für mich ein Highlight und auch in diesem Jahr. Trotz der ganzen Diskussionen im Vorfeld, ist die Vorfreude nicht getrübt.

Sehen Sie denn selber auch den Antisemitismus bei den Künstlerinnen und Künstlern der documenta fifteen?

Meron Mendel: Ich finde es schon eine erstaunliche Diskussion, die wir seit Januar führen. Denn, soweit ich weiß, gibt es bis heute noch keinen einzigen Beleg dafür, dass unter den Künstlerinnen und Künstlern der documenta Antisemiten sind. Kurz um, ich sehe keinen Antisemitismus in der documenta und ich habe auch keine Sorgen, dass ich bei meinem Besuch bei der documenta morgen Antisemitismus begegnen werde.

Also war das ein Fehler, dass die Sache vorab so hoch gekocht ist? Dass zum Beispiel Kulturstaatsministerin Roth und der Präsident des Zentralrats der Juden sich in die Diskussion schon im Vorfeld eingeschaltet haben?

Meron Mendel: Es ist eine politische Frage, inwiefern man auf mediale Aufregung reagiert. Also, dass die die Vorwürfe so laut in den deutschen bundesweite Medien kommuniziert wurden, war eher eine Tatsache. Ich gehe davon aus, dass die Persönlichkeit sind, die Sie benannt haben, darauf reagieren mussten und ihre Meinung dazu gesagt haben. Ob die mediale Aufregung berechtigt war, da bin ich bin mir nicht sicher.

Das Künstlerkollektiv ruangrupa hat dann ja selbst mit einem Rassismus-Vorwurf an seine Kritiker reagiert. Das ist wie eine Art Spirale. Wie könnte man denn aus dieser Polarisierung der gegenseitigen Vorwürfe rauskommen?

Meron Mendel: Das ist Teil des Problems. Der Antisemitismus wird fast reflexhaft mit dem Rassismus-Vorwurf gleichgesetzt. Es geht nur um die eigenen Befindlichkeiten und darum selbst Opfer zu sein. Der einzige Weg aus dieser Spirale ist ein Dialog. Und zwar kein öffentlicher Dialog, sondern man hätte erst in geschlossenen Räumen miteinander reden und sich austauschen müssen. Der zweite Schritt wäre dann der vor die Öffentlichkeit gewesen. Das war aber so nicht, der Fall, und deswegen hat auch die Gesprächsreihe nicht stattgefunden wie geplant.

Und wie kann diese documenta fifteen aus ihrer Sicht jetzt gelingen?

Meron Mendel: An aller erster Stelle müssen wir die Kunst sprechen lassen. Denn die documenta war und ist künstlerisch interessant und bietet alle fünf Jahre viel an. Wenn es so weiter geht, dann mache ich mir gar keine Sorgen. Diese überflüssige Diskussion im Vorfeld kann man zu den Akten legen, damit man sich dann wieder auf die Hauptsache konzentrieren kann, nämlich die internationale Kunst, die wir in Kassel bis September anschauen können. Ich bin sehr froh für jeden, der sich die Zeit nimmt und nach Kassel fährt, um die documenta zu sehen.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 15.06.2022 | 08:15 Uhr

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