Ralf Bauer © picture alliance/dpa Foto: Axel Heimken

Ralf Bauer interpretiert Rilke-Gedichte: "Ich schwelge dahin"

Stand: 19.10.2022 15:04 Uhr

Vor zwei Jahrzehnten startete das Komponisten-Duo Angelica Fleer und Richard Schönherz das Rilke-Projekt. Begleitet von einer Band interpretieren prominente Gäste Rilke-Gedichte vor großem Publikum.

Seit einem Monat ist das Rilke-Projekt auf Tour durch Deutschland. Neben Nina Hoger und Dietmar Bär ist auch Ralf Bauer dabei. Der Schauspieler liebt Lyrik, vor allem Gedichte von Rainer Maria Rilke. Ein Gespräch.

Viele deutsche Stars waren schon dabei: Iris Berben, Udo Lindenberg, Mario Adorf - wie bist du dahin gekommen?

Ralf Bauer: Ich habe schon während der Schauspielschulzeit ein großes Faible für Gedichte entdeckt. Dazu gehörte unter anderem auch ein Gedicht von Rilke. Ich habe vor 25 Jahren angefangen, Gedichte auf die Bühne zu bringen, und da gab es unter anderem auch ein Rilke-Gedicht, "Östliches Taglied", zusammen mit einer Sängerin. Das ist irgendwie an die beiden Schöpfer Angelica Fleer und Richard Schönherz gedrungen. Und als sie vor drei Jahren jemanden für die Tournee gesucht haben, kam die Anfrage auch bei mir an.

Und die beiden haben dann gesagt: "Ralf, such du dir ein schönes Rilke-Gedicht aus" - oder wie lief das?

Das Rilke-Projekt ist noch an folgenden Terminen zu erleben:

  • Freitag, 21. Oktober: Bremen, Die Glocke
  • Samstag, 22. Oktober: Hamburg, Laeiszhalle

Bauer: Nein, Angelika und Richard, die das vor 21 Jahren zum erstmal auf den Markt gebracht haben, haben ein wunderbares Gefühl dafür, Textpassagen und Gedichte herauszusuchen und die für so einen wunderbaren Abend zusammenzustellen. Man bekommt die Sachen dann vorgelegt, eigentlich wie ein Textbuch.

Welches Gedicht trägst Du auf der Bühne vor?

Bauer: Das sind mehrere. Es sind wunderbare Textpassagen aus irgendwelchen Briefen und Büchern. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von Malte Laurids Brigge, dass Menschen mehrere Gesichter haben. Einige haben jahrelang ein Gesicht, die reinigen das nicht mal, die tragen das aus, das weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Aber was passiert mit den anderen Gesichtern? Weil ja jeder mehrere Gesichter hat. Da kommen wir zu einem sehr schönen Schlusspunkt, den ich jetzt aber noch nicht verraten möchte, weil die Geschichte so schön aufgebaut ist.

Ich spreche auch mit Nina Hoger zusammen ein sehr schönes Gedicht, oder einen Text, wie Verse entstehen können, aus der Sicht von Rilke, "Weltenweiter Wandrer" - wirklich wunderbare Texte. Dietmar Bär ist auch mit dabei und sagt auch wunderbare Gedichte auf. Das ist ein wirklich sehr schönes Programm, und die Leute sind danach immer hin und weg.

Ihr interpretiert nicht nur Gedichte, sondern es ist auch Musik dabei. Das macht das Ganze noch viel emotionaler, oder?

Bauer: Ja, auch Gedichte, die vertont wurden. Das "Liebes-Lied" vom Richard Schönherz selber gesungen: "Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt?" Das kennen vielleicht viele. Das ist ja das Schöne bei Musik - und bei Rilke manchmal auch essenziell, weil Rilke manchmal Bilder kreiert, die nicht immer direkt offensichtlich sind. Und wenn Musik als "Teppich" mit dabei ist, damit sich diese Bilder besser entfalten können und damit sie klarer sind, ist diese Mischung zwischen Literatur und Musik beim Rilke-Projekt essentiell. Wobei man das für diesen Abend nicht braucht.

Angelika und Richard haben für die 20-jährige Jubiläumstournee ein sehr schönes Programmheft gemacht, wo ganz viele Texte, die wir abends auf der Bühne sprechen, mit abgedruckt sind. Denn jedes Mal, wenn man ein Rilke-Gedicht liest, sieht man immer ein neues Wort, eine neue Kreuzung von Wörtern. Das regt bei vielen Menschen etwas an und bringt im besten Fall das Herz zum Schwingen, zum Pulsieren.

Ich habe im Internet gesehen, dass Du bei den Proben sogar getanzt hast. Das geht also auch?

Bauer: Ja, weil das eine bestimmte Stimmungslage, ist. Wir haben ganz viele unterschiedliche, von heiter bis verträumt. Das ist etwas ganz Schönes, weil wir als Sprecher direkt ins Publikum sprechen, was sonst nicht gang und gebe ist, dass man das Publikum wahrnimmt. Aber in diesem Fall sehen wir oft die Zuschauer. Viele sitzen dort händchenhaltend oder Arm in Arm und hören sich diese Rilke-Gedichte und Textpassagen an.

Rilke war viel unterwegs in der Welt, immer auf der Suche. Du bist auch viel unterwegs in der Welt - ist das ein bisschen ähnlich?

Bauer: Ja, ich glaube, die Suche verbindet uns. Ich habe durch die vielen unterschiedlichen Kulturen, in die ich eintauchen durfte, viele Blickwinkel kennengelernt. Bei Rilke manchmal auch in Texten. Nehmen wir eines seiner berühmtesten Gedichte, "Der Panther". Er schreibt am Anfang: "Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält." Wenn man das in einem Buch schreiben würde, würde jeder Lektor sagen, dass die Stäbe nicht vorübergehen, sondern der Panther. Dieser andere Blickwinkel auf die Welt, den er hatte, ist etwas ganz Tolles. Das ist so, als wenn er sich aus dem System rausgenommen hat oder oben auf einem hohen Gipfel steht und von oben die Welt betrachtet. Dominik Steegmüller, ein wunderbarer Sänger, der mit dabei ist, singt: "So singt die Welt zu klingen deine Sterne." Ich kenne das eigentlich nur aus Asien, vom Yoga oder vom tibetischen Buddhismus, weil sie manchmal einen anderen Blickwinkel haben auf die Welt und all das, was dazugehört. Das hat Rilke auch gehabt.

Das Rilke-Projekt heißt: "Das ist die Sehnsucht". Was macht das für Dich in der jetzigen Zeit, wo so viel um uns herum passiert, so besonders?

Bauer: Dietmar Bär liest einen Text, der sich wunderbar damit auseinandersetzt. Ich glaube, es ist ein Auszug aus einem Brief, wo es um die Welt geht und was wir damit machen. Dietmar hat ganz bewusst das Datum, wann dieser Brief geschrieben wurde, ans Ende versetzt, und es ist interessant, die Reaktion des Publikums zu beobachten, weil der Brief vor 110 Jahren geschrieben worden ist, er könnte aber nicht aktueller sein.

Ich bin in einem kleinen Dorf groß geworden ist, wo die Bewohner Hand in Hand gearbeitet haben. Wenn Heu eingefahren wurde, war das ganze Dorf auf den Beinen, um dem Nachbarn zu helfen. Auch der Umgang mit den Tieren war ganz ursprünglich, sie haben normales Essen bekommen und wurden nicht angefüttert mit irgendwelchen Zusätzen. All das, was Chemie angeht, was der Körper nicht verarbeiten kann und was dementsprechenden zu vielen Krankheiten führt - das hat Rilke vor 100 Jahren schon gesehen.

Hannelore Elsner war auch mal beim Rilke-Projekt dabei. Sie hat erzählt, wenn sie Rilke liest, mache sie das einfach glücklich. Wie ist das bei dir?

Bauer: Ich schwelge dahin. Nina Hoger ist schon seit 2004 dabei, und was sie aus diesen Texten macht, da schwelge ich dahin. Oder wenn Richard singt, wenn die Musiker einen ein Gedicht untermalen. Das ist wunderbar, das ist kaum zu vergleichen. Obwohl ich das schon wahnsinnig oft gehört habe, weil das schon die dritte Tournee ist, bei der ich mit dabei sein darf, ist jeder Abend außergewöhnlich schwelgend.

Hast du eine kleine Kostprobe?

Bauer: "Ich lerne sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, es geht alles tief in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht wusste. Alles geht jetzt dorthin. Ich lerne sehen. Zum Beispiel, wie viele Gesichter es gibt. Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter. Denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang. Natürlich nützt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfachen Leute. Sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie. Und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben: Was tun sie mit den anderen? Sie heben sie auf, ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, dass ihre Hunde damit ausgehen, weshalb auch nicht. Gesicht ist Gesicht.

Woher stammt das?

Bauer: Das ist aus Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von Rainer Maria Rilke, wo er Malte die Weltanschauung nahegelegt hat.

Das Gespräch führte Martina Gilica.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Kulturspiegel | 18.10.2022 | 19:00 Uhr

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