App-Stadtrundgang in Göttingen zum postkolonialen Erbe
Der Stadtrundgang mit acht Stationen per App ist ein Projekt von "Göttingen Postkolonial" von Vereinen und Einzelpersonen. Die 19-jährige Lara Krause hat die App getestet: etwa am Wilhelmsplatz.
Ein Denkmal für Völkermörder? Ein Kaiser, der Sklaverei befürwortete? Das und noch viel mehr kann man jetzt mithilfe einer App in Göttingen erfahren. Insgesamt acht Stationen können bei einem Stadtspaziergang über die Göttinger Kolonialgeschichte erkundet werden.
Postkolonialer Stadtrundgang in Göttingen informiert über Vergangenheit

Die 19-jährige Lara Krause nutzt die App für den postkolonialen Stadtrundgang zum ersten Mal. Sie steht am Denkmal von Kaiser Wilhelm IV. Die erste Station überrascht die gebürtige Göttingerin. "Ich finde den Platz total schön. Jeder kennt den Namen Wilhelmsplatz. Wenn man überlegt, dass der Rassismus reproduziert und Sklaverei befürwortet hat, ist das total schockierend." Sie könne sich vorstellen, dass viele Leute in Göttingen das nicht wüssten.
Projekt "Göttingen Postkolonial" soll Strukturen sichtbar machen
Der Stadtrundgang ist ein Projekt von "Göttingen Postkolonial", einem Zusammenschluss mehrerer Vereine und Einzelpersonen. So wie Chris Herrwig vom entwicklungspolitischen Informationszentrum Göttingen.
Er möchte mit der App postkoloniale Strukturen sichtbar machen. "Viele Themen, auch die in so einem Wissenschaftskontext - und gerade hier in Göttingen als Universitätsstadt, stecken viel der Auseinandersetzung in akademischen Kreisen." Die App mit ihren Informationen diene ein bisschen dazu, die ein bisschen rauszuholen und so einem viel größeren Publikum zugänglich zu machen, erklärt Chris Herrwig.
Die Diskussion über Rassismus sei ihm oft viel zu verkürzt. "wir schieben das so in die rechtsextreme Ecke ab und sagen, 'das Problem liegt da'. Die Wissenschaft zeige aber immer wieder, "dass der heutige Rassismus nicht zu verstehen ist, ohne seine Geschichte und die Kontinuitäten, die man sich da eben anschauen kann."
Die Geschichte einzelner Orte wird in dem App-basierten Stadtrundgang erzählt. Etwa die eines Denkmals im Süden Göttingens. Es erinnert an vier Göttinger Soldaten, die in Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia, verstorben sind. Was hier keine Erwähnung findet: Der Völkermord an den Herero und Nama, den deutsche Kolonialtruppen Anfang des 20. Jahrhunderts begangen haben.
Auf Gräueltaten aus der Geschichte im Stadtbild hinweisen
Auf diese Gräueltaten sollte zumindest hingewiesen werden, meint Herrwig. "Insbesondere Menschen, die von heutigem Rassismus betroffen sind, für die ist das ein Riesenaffront, oder eine total schmerzhafte Erfahrung, dass dieses Denkmal weiterhin relativ unwidersprochen im Göttinger Stadtbild sichtbar ist."

Lara Krause kannte das Denkmal vor dem Stadtrundgang nicht. Jetzt kennt sie die Geschichte und fordert nun eine öffentliche Informationstafel. "Die Argumentation, dass es früher passiert ist oder dass es früher anders war, finde ich schwierig" Das hieße nicht, dass man nicht über die Dinge informieren könne. "Für mich macht das einen Unterschied, ob man Leute informiert oder, ob man Leute ehrt, die so etwas tun." Wenn man Leute ehre, hätte es für Krause keinen so schönen Beigeschmack.
Dank des Stadtrundgangs blickt sie nun mit anderen Augen auf den ein oder anderen Ort in Göttingen. "Ich kann mir vorstellen, dass es auch für Leute, die nicht aus Göttingen kommen, toll ist mal zu sehen, was hinter den Orten steckt, an denen man so viel Zeit verbringt. Deshalb hoffe ich, dass viele Leute etwas lernen können und Dinge hinterfragen."
Das wünscht sich auch das Team rund um Chris Herrwig. Neben gemeinsamen Stadtrundgängen möchten sie auch zu Gesprächen anregen. Dabei wollen sie besonders offen sein, für andere Perspektiven. Denn die aktuellen Texte spiegeln nur ihren Blickwinkel wider.
